Karl-Heinz Ott: "Die Auferstehung"

Roman für den riskanten Erbfall

Das Wort Testament wird mit einem Kugelschreiber auf ein Blatt Papier geschrieben.
Unerträglich ist die Spannung vor der Öffnung des Testaments in Karl-Heinz Otts Roman "Die Auferstehung". © dpa / picture alliance / Jens Büttner
Von Wolfgang Schneider · 21.01.2016
Während die Leiche des Vaters noch auskühlt, erhitzen sich die Gemüter: Alle vier Geschwister können Geld gut gebrauchen, doch der Großteil des Erbes ist für eine fremde Frau vorgesehen. Karl-Heinz Ott hat mit "Die Auferstehung" eine wunderbare Komödie über Doppelmoral geschrieben.
Die heutige Bundesrepublik – eine Erbengesellschaft. Jahrzehntelang haben die strebsam-sparsamen Altvorderen Häuser gebaut und Vermögenswerte angehäuft, die nun vererbt werden an die privilegierten Kinder der Post-Achtundsechziger-Generationen. Karl-Heinz Ott hat mit "Die Auferstehung" den Roman für den riskanten Erbfall geschrieben.
Vier Kinder hat er gehabt, der soeben verstorbene Ulmer Unfallchirurg, der nach Feierabend immer das Inbild des biederen deutschen Familienvaters abgab: brummig und zu müde für die Kulturambitionen seiner Ehefrau. Von solch einer Geldverdiener-Existenz haben sich seine Kinder abgegrenzt. Joschi wurde marxistischer Rebell in Heidelberg, Uli verkiffter Aussteiger auf der Schwäbischen Alb, Jakob ein intellektueller Bohemien in Paris, dem die Kulturredaktionen seine von adornitischer Reflexion geprägten Film-Beiträge immer seltener abnehmen. Linda könnte vom Habitus her Karrierefrau sein; stattdessen stagniert die Kunsthistorikerin als Leiterin des "Art-Hauses" Memmingen (zwei Besucher am Tag).
Der Vater hat Tabus gebrochen, die Kinder sind sauer
Sie alle können dringend Geld gebrauchen. Als der Vater hochbetagt stirbt, eilen sie ins Elternhaus nach Geigingen. Während die Leiche neben ihnen auskühlt (noch wurden Arzt und Bestatter nicht verständigt), erhitzen sich die Gemüter. Denn ein großer Teil des Erbes droht verloren zu gehen an eine ominöse Frau, die den an Parkinson erkrankten Vater in den letzten Jahren gepflegt und offenbar auch erotisch gehegt hat. Sie wird von den einst rebellischen Geschwistern, die nun plötzlich die gutbürgerliche Moral für sich gepachtet haben, als "ungarische Hure" denunziert. Eine fulminante komödiantische Drehung der Dinge: Der Vater hat in seinen letzten Jahren genau das getan, was die Postachtundsechziger-Kinder so lange gepredigt haben: Er hat sich "befreit", hat "Tabus" gebrochen und die einengenden Normen des Anstands hinter sich gelassen.
Weil sie sogar versuchten, ihn zu entmündigen, hat der Vater ihnen am Ende Hausverbot erteilt. Und das Ferienhaus im Süden als Schenkung der Ungarin vermacht. Fällt ihr womöglich nun auch das Elternhaus zu? Unerträglich ist die Spannung vor der Öffnung des Testaments. Das aber befindet sich peinlicherweise in den Händen des Nachbarsohnes Max Schmeler, einem fernsehbekannten Karriere-Juristen, der bei den Geschwistern ebenso verhasst ist wie die Ungarin, seit er vor Jahrzehnten Schwester Linda sitzen ließ. Nun rufen sie ihn herbei, um die Sache irgendwie zu ihren Gunsten zu wenden, bevor der Tod und das Testament offiziell werden.
Ein kluger, relevanter Roman
Warten auf Max – darin besteht der Mittelteil des Romans, der die Lebensgeschichten der vier Geschwister ausführlich rekapituliert, Jakobs Kulturpessimismus viel Raum für Pointen gibt und zwischendrin auf den Spuren Pascals über die letzten Dinge nachsinnt. Und dabei ein bisschen weitschweifig geraten ist, zumal der Spott über die Irrungen der Protest-, Pop- und Alternativkultur der siebziger Jahre inzwischen etwas abgegriffen wirkt.
Gegen Ende aber gewinnt der Roman wieder Fahrt, wenn Max Schmeler zum Showdown eintrifft. Das klärende Gespräch wird zum trüben Sturzbach – eine Zimmerschlacht erster Güte. Karl-Heinz Ott hat einen klugen, relevanten Roman geschrieben. Wer noch zu erben hofft, sollte dieses Buch lesen.

Karl-Heinz Ott: Die Auferstehung
Carl Hanser Verlag, München 2015
352 Seiten, 22,90 Euro

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