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Osteuropa
Medienlandschaft im Strukturwandel?

Von Cornelius Wüllenkemper | 17.03.2016
    Der ungarische Premierminister Viktor Orban erklärte bereits 2014, er wolle aus seinem Land einen "illiberalen Staat" machen und hat seitdem einige Gesetze gegen Minderheitenrechte und Pressefreiheit verabschiedet. In Polen hat die Regierung unlängst verlauten lassen, dass sie keine Flüchtlinge aus Bürgerkriegsgebieten aufnehme. Zeitgleich wurde der bis dato freie öffentlich-rechtliche Rundfunk unter die direkte Kontrolle der Regierung gestellt. Vadim Makarenko, Leiter der Abteilung für Datenanalyse der linksliberalen polnischen Tageszeitung Gazeta Wyborcza spricht von einem Rückfall in sowjetische Zeiten.
    "Polens Regierung ist dabei, das gesamte System auszuhebeln, das wir uns in der Transformationszeit erarbeitet haben. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk wird von einem unabhängig arbeitenden Unternehmen zu einer Regierungsagentur umgestaltet. Die Finanzierung erfolgt nicht mehr über Gebührengelder, sondern direkt aus dem polnischen Staatshaushalt. Als Nächstes will die Regierung eine Agentur schaffen, die staatliche Werbeaufträge zentral vergibt. Diese Aufträge gehen dann natürlich an regierungsfreundliche Medien. Das wird auch private Medien wie die Gazeta Wyborcza früher oder später treffen."
    Dabei sieht Makarenko einen fundamentalen Unterschied zur Medienlandschaft in Russland. Dort gibt es keinerlei öffentlich-rechtlichen Rundfunk, sondern so genannte Staatsmedien mit direkter Verbindung in den Kreml. Auch die strategische Desinformation der Bevölkerung, indem etwa vom Staat beauftragte Internet-User massenhaft manipulierte Inhalte erstellen, kommentieren oder teilen, gebe es in Polen nicht. Protestmärsche und die steigende Auflagenzahl regierungskritischer Zeitungen belegten dagegen, dass die polnische Zivilgesellschaft sich zu Wort melde, so Makarenko. Kritischer sah das auf der Tagung der Mainzer Kommunikationswissenschaftler Prof. Christian Schemer. Polens Regierung sei dabei, kritische Stimmen konsequent zu unterdrücken.
    "...dadurch, dass ich kritische Medien wirtschaftlich austrockne, dass ich versuche, unliebsame Personen aus Führungspositionen zu bugsieren. Das sind so die üblichen Mittel und Wege, wie das in totalitären Systemen passiert ist, und was diese Systeme – sei es jetzt Polen oder Ungarn – in diese Richtung treibt, nämlich in Richtung Diktatur. Nach der Leninschen Pressetheorie funktionieren die Medien eigentlich nur als Verlautbarungsorgan der Regierung. Und genauso agiert eigentlich auch Putin in Russland. Das sind mustergültige Beispiele für die Leninsche Pressetheorie."
    Gemeinsame Nenner der rechts-konservativen Strömungen in Osteuropa
    Zugleich weist Christian Schemer darauf hin, dass auch im Westen sowohl den privaten als auch den öffentlich-rechtlichen Medien Fehler in der Berichterstattung über Osteuropa, insbesondere über den Bürgerkrieg in der Ukraine unterlaufen seien. Dies führt der Kommunikationswissenschaftler vor allem auf Kostendruck und die daraus resultierende Verkürzung der Recherche und Vereinfachung in der Berichterstattung zurück. In Russland dagegen werde aktiv Regierungspropaganda betrieben und Meinung zensiert. Mittlerweile genüge ein weitergeleiteter Blog-Eintrag mit einer kritischen Meinung zur russischen Ukraine-Politik, um inhaftiert zu werden. Die Unvorhersehbarkeit der Verfolgung habe bei den Russen eine Art Selbstzensur entstehen lassen. Die Professorin für Medienwissenschaften Sarah Oates von der University of Maryland beschrieb die Ambivalenz der russischen Bevölkerung gegenüber ihren Medien:
    "Die Menschen in Russland können Nachrichten durchaus analysieren und einordnen. Einer der Mythen über die Russen ist ja, dass sie auf die Erleuchtung durch die objektiven Medien aus dem Westen angewiesen sind. Das ist lächerlich! Die russischen Medienkonsumenten sind einfach auf der Suche nach einem Narrativ, dass von der Größe und Stärke ihres Landes erzählt. Die Russen fühlen sich wirtschaftlich und geostrategisch bedroht, ihre Werte sind bedroht. Genau damit spielen die Putin-treuen Medien. Es ist dabei nicht immer einfach, eine klare Trennlinie zwischen Propaganda und Nachricht zu ziehen – und viele Russen wollen das auch gar nicht. Wieso sollten sie Geschichten über die Größe des eigenen Landes hinterfragen?"
    Die russische Verlegerin Irina Prokhorowa sprach von der "Ideologie-Lücke" zwischen dem überkommenen Sowjet-System und der liberalen Marktwirtschaft. Das mache es autoritären Politikern in den östlichen Transformationsländern einfach, die Mehrheit der Bevölkerung auf einen konservativ-restriktiven Kurs einzuschwören. Ein antiliberales Gesellschaftsbild wird dabei oft gleichgesetzt mit dem Widerstand gegen die liberale Markwirtschaft und den frei galoppierenden Kapitalismus als Import aus dem Westen. Die Historikerin Dr. Gabriele Freitag von der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde führte eine weitere Gemeinsamkeit der autoritären Regime in Osteuropa an: Den Anspruch, für die schweigende Mehrheit zu sprechen, für diejenigen Bevölkerungsschichten, die während der Transformationszeit nach 1990 vernachlässigt wurden.
    "Interessanterweise funktioniert das, den Wert der sozialen Gerechtigkeit, der in Russland eine große Rolle spielt, für sich starkzumachen, gleichzeitig aber ein System von Oligarchen zu haben, das von der Bevölkerung einerseits kritisiert, dann aber auch als gegeben hingenommen wird. Ein System wie das russische hat den Anspruch, bestimmte Werte umzusetzen, tut es nicht, von der Bevölkerung gibt es aber nicht den Protest, den man erwarten würde. Das hängt in Russland sicherlich auch damit zusammen, dass die Gesellschaft zunehmend eingeschüchtert wird."
    Die Enttäuschung über die nicht eingelösten Zukunftsversprechen nach 1990 und ein dramatisch wachsendes Wohlstandsgefälle sind zwei gemeinsame Nenner der rechts-konservativen Strömungen in Osteuropa – das war ein Konsens auf der Tagung in Mainz. Der Antiliberalismus als Politik- und Gesellschaftsentwurf kann dabei nur so lange aufrechterhalten werden, wie damit zugleich das Versprechen der nationalen Stärke und Bedeutung verbunden wird. Zweifel an diesem Narrativ werden deswegen - offensiv wie Russland oder eher mittelbar wie in Polen - unterdrückt. Dabei betonten die Tagungsteilnehmer, dass die kritische Zivilgesellschaft in den Transformationsländern Osteuropas zugleich an Wirkungsmacht gewinne.