Kardinal Joseph Ratzinger, Wahrer der reinen Lehre

Von Karla Sponar · 13.04.2005
Die Gemeinschaft der Katholiken in Südamerika, Asien und Afrika steigt. Dort leben deutlich mehr Katholiken als in Europa. Die Verteilung der Nationalitäten im Konklave verhält sich dazu proportional umgekehrt: Es gibt 57 Europäer. Darunter sind nur sechs deutsche Kardinäle, die den Papst mitwählen dürfen. Und dennoch ist für das "Time-Magazin" ausgerechnet ein Deutscher der Favorit, wenn es um die Wahl des 265. Oberhauptes der katholischen Kirche geht: die US-amerikanische Zeitschrift tippt auf Kardinal Joseph Ratzinger.
In Kirchenkreisen heißt es, er könne ein idealer Übergangspapst werden. Denn der Bayer ist weder zu jung, noch zu alt. Wer ihn beim Begräbnis des Papstes beobachtete, mag sich gefragt haben: Redet so ein Panzerkardinal? Diesen Namen gaben ihm Kritiker, weil er so eisern über die reine Lehre der katholischen Kirche wachte.

Mit dem umstrittenen Dokument "Dominus Jesus" im Heiligen Jahr 2000 hat er den protestantischen Glaubensgemeinschaften den Kirchenstatus abgesprochen. War Ratzinger damit sogar dem Papst zu eigenmächtig geworden? Karol Wojtyla ließ es sich nicht offen anmerken. Aber Kenner des Vatikans haben es vermutet, zumal Ratzinger kurz darauf mit Karl Lehmann und Walter Kasper zwei neue Kardinalskollegen bekam, die sich deutlich von seiner konservativen Linie unterscheiden.

Einst galt der Sohn eines Polizeioffiziers als Hoffnungsträger der Reformhungrigen. Viele bewunderten ihn als brillanten Theologen, während er in Freising, Bonn, Münster, Tübingen und Regensburg lehrte. Mit nur 35 Jahren wurde der messerscharfe Denker Berater für das II Vatikanische Konzil.

Papst Johannes Paul II beruft ihn 1981 zum obersten Glaubenswächter in die Kongregation für die Glaubenslehre. Es ist die älteste und ranghöchste Institution, allerdings mit einer unrühmlichen Vergangenheit – hervorgegangen aus der Inquisition.

Große Gestalten wie Thomas Morus, Kardinal Newmann oder Dietrich Bonhoeffer, nennt Ratzinger als Vorbilder – Menschen die stark genug waren, gegen den Strom zu schwimmen. Und wie sieht es mit der eigenen Stärke aus? Ratzingers Bruder charakterisierte den mächtigen Kirchenmann so:

"Stärke muss er sich abringen, wenn dann aber der Kampf gefordert ist, da macht er seine Sache schon von seinem Gewissen her."

Noch 1982 ist er der Meinung, dass er die Macht der umstrittenen katholischen Vereinigung Opus Dei einschränken sollte. Gut anderthalb Jahrzehnte später schwenkt er um und nimmt die Ehrendoktorwürde von der Opus-Dei-Universität in Pamplona an.

Den rechten Glauben will Ratzinger vor Irrlehren schützen, indem er Wahrheit vor Güte stellt. Wen das an den Großinquisitor erinnert, dem entgegnet Ratzinger: Er verstehe Güte hier als falsche Gutmütigkeit, die sich lediglich Ärger vom Leibe halten will. Andererseits fürchtete er, dass die Kirchen an ihrer institutionellen Macht zu ersticken drohen. Es klingt wie Selbstkritik - Ratzinger war bald ein Vierteljahrhundert Teil dieser Macht.
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