"Kaputt"

Rezensiert von Maike Albath · 05.04.2005
Curzio Malapartes Roman Kaputt ist ein überbordendes, grelles Kriegsgemälde. Abwechselnd nimmt der Erzähler die Gräuel an den Fronten von Finnland, Russland, der Ukraine, Jugoslawien und Rumänien in den Blick, schildert Pogrome, das Warschauer Ghetto, Judentransporte in Viehwaggons und den Alltag der Soldaten, und kontrastiert das Geschehen mit Beschreibungen der glanzvollen politischen Zusammenkünfte.
Malaparte, als Kriegsberichterstatter des Corriere della Sera zwischen 1942 und 1943 in Europa unterwegs, genoss höchstes Ansehen in sämtlichen diplomatischen Kreisen, galt als der bedeutendste italienische Schriftsteller und Journalist und war in den Häusern der führenden Nationalsozialisten ein gern gesehener Gast. Er besaß Narrenfreiheit und bekannte sich offen zu seinen Überzeugungen. Anders als in Deutschland waren in Italien die Zeitungen nicht gleichgeschaltet. Malapartes kruden Reportagen, die später in den Roman einfließen sollten, sorgten mehrfach für Proteste von Seiten der Deutschen. Schon 1942 prophezeite er den Sieg der Russen. Der Schriftsteller, bis 1931 Mitglied der faschistischen Partei, hatte wegen seiner regimekritischen Schriften und "antifaschistischer Betätigung im Ausland" bereits zwischen 1933 und 1939 fünf Jahre Haft und Verbannung verbüßt und wurde vor allem durch seinen Bewunderer Ciano, Mussolinis Schwiegersohn und Außenminister Italiens, vor Übergriffen geschützt.

Seine Ungeheuerlichkeit bezieht der Roman aus dem Gegensatz der verschiedenen Wirklichkeiten: die Nazis tafeln in den Gemächern des polnischen Adels, Damasttischtücher, kostbares Porzellan, Silberbesteck, üppige Speisen sind selbstverständlich, der Hausherr, Generalgouverneur Frank, gibt eine eindringliche Chopin-Interpretation zum besten und stellt sein vergeistigtes Wesen und seine feinsinnige Seele zur Schau. Gegenstand des Tischgesprächs ist die Überlegenheit des deutschen Wesens. Während des Essens erzählt Malaparte - der ebenso wie die Mehrzahl der politischen Vertreter unter seinem Klarnamen firmiert - von seinem Aufenthalt in Jassy, wo er Zeuge einer grausamen Hetzjagd auf die Juden wurde. Die Tischgesellschaft amüsiert sich und versichert, in Polen werde man ordentlichere Lösungen finden. Ein anderes Mal folgt auf kulinarische Exzesse ein Ausflug ins Warschauer Ghetto, wo der sensible Chopin-Interpret einem Soldaten vorführt, wie man die jüdischen Kinder am saubersten erschießt. "Die Deutschen sind ein gefühlvolles Volk", lässt der Held anlässlich einer Szene von halb verhungerten russischen Soldaten verlauten, die unter den Augen ihrer lachenden Bewacher die Leichen ihrer Kameraden verzehren, "sie sind das gefühlvollste und kultivierteste Volk der Welt. Das deutsche Volk isst keine Leichen. Es isst lebendige Menschen". Malaparte taucht die Feierlichkeiten der Nazis und die diplomatischen Zusammenkünfte der einstigen europäischen Elite in ein gleißendes Licht: die stilvollen Gelage bekommen einen apokalyptischen Zug. Eingearbeitet in das Kriegs-Fresko sind Tiergeschichten: die Tiere sind edlere Naturen als die Menschen, der Mörder bleibt immer ein Mensch und macht sein Opfer zu einem Tier. Der italienische Held tritt als Repräsentant einer Nation mit einem "gebrochenen Rückgrat" auf und hat sich einen Rest von Humanität bewahrt. Das mosaikartige Erzählprinzip mag effekthascherisch sein - dem Krieg mit seinen verheerenden Folgen und der menschenverachtenden Ideologie der Nazis kommt Malaparte auf die Spur.

Kolportage, überhitzte, drastische Darstellungen und ein kalter Realismus stürzen den Leser von einem Extrem ins andere. Als Kaputt im Oktober 1944 erschien, hatte der Roman durch seine unmittelbare Zeugenschaft und die ungefilterten Schilderungen des Frontgeschehens auch einen dokumentarischen Wert. Ende der vierziger Jahre machte das Buch in ganz Europa und Amerika Furore und sorgte gleichzeitig für erbitterte Diskussionen. Auf deutsch erschien Kaputt erstmals 1952. Ergänzt durch ein informatives Nachwort und eine Zeittafel legt der Zsolnay-Verlag jetzt eine Neuausgabe vor.

Curzio Malaparte, der als Sohn eines Deutschen und einer Italienerin 1898 in Prato geboren wurde und eigentlich Kurt Erich Suckert hieß, war eine schillernde Gestalt. Radikale Strömungen übten eine große Anziehungskraft auf den hoch kultivierten Schriftsteller aus. Er gefiel sich in einem theatralischen Lebensstil und pflegte ein mondänes Dandytum. Noch als Schüler hatte er freiwillig am Ersten Weltkrieg teilgenommen, sich für den Futurismus und das faschistische Gedankengut begeistert, war dann auf die Gegenseite gewechselt und Anhänger der "Stracittà" geworden, einer urbanen Erzählweise, die ästhetisch der europäischen Avantgarde verpflichtet war. Nach dem Krieg musste er sich mehrfach gegen den Vorwurf des Faschismus wehren. Bis zu seinem Tod 1957 blieb der international sehr erfolgreiche Malaparte eine unangepasste, streitbare Natur und ein lustvoller Provokateur. 1956 folgte er einer Einladung des sowjetischen Schriftstellerverbandes und der Volksrepublik China und bereiste Russland und China, wo er an Lungenkrebs erkrankte. Nach seiner Rückkehr trat er zum katholischen Glauben über. Seine Villa auf Capri vermachte er testamentarisch der chinesischen Volksrepublik.

Curzio Malaparte: Kaputt
Aus dem Italienischen von Hellmut Ludwig
Zsolnay Verlag 2005
590 Seiten, 29, 50 Euro