Kapitalismus und Christentum

"Die Wirtschaft nicht verteufeln"

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Peter Barrenstein, Vorsitzender des Arbeitskreises Evangelischer Unternehmer © imago/epd
Peter Barrenstein im Gespräch mit Philipp Gessler · 08.03.2015
Die Soziale Marktwirtschaft müsse auch die Schwachen in der Gesellschaft berücksichtigen, meint Peter Barrenstein, Vorsitzender des Arbeitskreises Evangelischer Unternehmer. Im Bildungsbereich gebe es immer noch eine Klassengesellschaft.
Philipp Gessler: Gerade die evangelische Kirche tut sich nicht so ganz leicht mit den hiesigen Wirtschaftsführern. Die Topmanager der Republik meiden in der Regel solche Veranstaltungen wie die Kirchentage, weil sie sich häufig nicht verstanden wissen. Dennoch gibt es Manager, die sich in der Evangelischen Kirche in Deutschland engagieren. Einer von ihnen ist der frühere McKinsey-Mann Peter Barrenstein. Der Protestant ist der Vorsitzende des Arbeitskreises Evangelischer Unternehmer - einer alten, ehrwürdigen Vereinigung - und Mitglied des Kirchenparlaments, der Synode der EKD.
Ein Brückenbauer, so könnte man ihn ein wenig pathetisch nennen. Mit Peter Barrenstein habe ich über den schnöden Mammon gesprochen, genauer: über das schwierige Verhältnis zwischen Kapitalismus und Christentum. Meine erste Frage an ihn war, ob ihn das mittlerweile berühmte Diktum "Diese Wirtschaft tötet" von Papst Franziskus verletzt habe.
Papst Franziskus bei seiner Neujahrspredigt 2015.
Papst Franziskus bei seiner Neujahrspredigt 2015.© AFP/Andreas Solaro
Peter Barrenstein: Nein, das hat mich nicht verletzt. Ich habe das im Kontext sozusagen der Herkunft dieses Papstes gesehen. Der kommt natürlich aus einer Gegend, Südamerika, Argentinien jetzt spezifisch, die tatsächlich sehr noch geprägt ist von einem kapitalistischen Gedankengut, also von der Macht der Wirtschaft, die sich zum Teil auch wirklich relativ rücksichtslos durchsetzt. Und das hat mit dem, was wir hier in Deutschland mit der sozialen Marktwirtschaft haben, nichts zu tun. Von daher kann ich das sogar in gewisser Weise nachvollziehen.
Gessler: Glauben Sie wirklich, er hat das nur bezogen auf die Wirtschaft in Lateinamerika?
Barrenstein: Das weiß ich nicht, aber ich habe mir den Schuh nicht angezogen. Also, wo er ... Ich kenne ihn ja nicht! Außerdem, ich bin evangelisch und er ist katholisch. Aber ich unterstelle dabei, dass er von seiner Prägung her, von seiner Historie her das, was wir hier als Wirtschafts- und Gesellschaftsform, als Werteordnung haben, nicht kennt.
Gessler: Warum oder wie ist es denn entstanden, dass doch relativ viele evangelische Christen denken, Kapitalismus und Christentum, das ist ein gewisser Widerspruch?
Barrenstein: Ja, das ist Unkenntnis zum Teil. Also, man muss ja ... Wenn man in die Geschichte unserer sozialen Marktwirtschaft hineingeht, dann ist es ja ganz spannend zu lernen, dass das losging 1942, 1943. Damals gab es diesen Freiburger Kreis, also, zur Zeit der Nazis gab es eine Gruppe von Menschen unterschiedlichster Berufsgruppen, unter anderem aber auch eben halt Unternehmer, die sich Gedanken machten über die Werte und Gesellschaftsordnungen nach Hitler. Also, praktisch mitten im Tausendjährigen Reich gab es da mutige Männer, so weit mutig, dass einige von denen - Bonhoeffer war dabei - eben halt das nicht überlebt haben, weil sie noch zum Teil halt unter Hitler geschnappt wurden und dann auch getötet worden sind. Einer dieser dortigen Teilnehmer - übrigens dann auch Gründer unseres Arbeitskreises Evangelischer Unternehmen, er ist der Vorstand dieser Vereinigung - war ein Unternehmer, der in hohem Maße halt eine christlich fundierte Werteordnung formulierte, diese soziale Marktwirtschaft. Und viele, die heute halt sehr kritisch über Marktwirtschaft reden oder soziale Marktwirtschaft, verkennen diesen Einfluss, der im Grunde genommen ganz, ganz stark christlich gewesen, ganz stark auch protestantisch geprägt worden ist.
Gessler: Dennoch gibt es, hat man so den Eindruck in den letzten Jahren, eine leicht linke grün-bürgerliche Grundströmung im deutschen Protestantismus. Stört Sie das manchmal?
"Mich stört diese Schwarz-weiß-Argumentation"
Barrenstein: Also, ich meine, wenn man Protestant ist und engagierter Protestant ist, dann muss man sich mit kritischen Diskussionen immer auseinandersetzen. Also, das per se stört mich nicht. Was mich zum Teil stört, was mich dann auch an meiner Kirche stört, ist diese Schwarz-weiß-Argumentation, diese Pauschalierung, dieses Nicht-Akzeptieren von fantastischen Entwicklungen, die wir in unserem Land gehabt haben und die wir auch nicht nur in unserem Land, sondern geprägt auch durch Unternehmer unseres Landes in der Globalisierung gehabt haben. Das wird zum Teil aufgrund von sicherlich noch anzusprechenden Missständen ... Also, diese Missstände sind ja da in der Welt, auch in Deutschland. Das wird zum Teil völlig weggeschoben. Und ich würde mir wünschen, dass meine Kirche oder die Repräsentanten dieser Kirche eben halt auch stärker mal akzeptieren würden, was sie alles Tolles erreicht haben, um dann zu sagen, darauf aufsattelnd: Ja, da gibt es noch ganz viel Verbesserungspotenzial.
Gessler: Sie haben das ja angedeutet, die Schere zwischen Arm und Reich in der kapitalistisch geprägten Globalisierung nimmt zu. Bald hat ein Prozent der Reichen der Welt mehr als 50 Prozent des weltweiten Reichtums. Das sind doch in der Regel die Argumente, die kommen, oder?
Barrenstein: Ja, das sind die Argumente, die kommen, und da muss man auch aufpassen, das sehe ich auch so. Ich meine, einmal muss man natürlich über die Faktenbasis reden, es gibt ja noch aktuelle Zahlen, die für Deutschland das verneinen, dass dort eine Entwicklung dieser Art da ist, also eine Auseinanderentwicklung von Arm und Reich. Aber für mich entscheidender ist die Frage, einerseits natürlich kleinere Frage, was machen die Reichen mit ihrem Geld, und was wird davon sozusagen getan, auch gesellschaftlich wirksam, positiv getan.
Und viel wichtiger die Frage: Wie entwickeln sich die Ärmeren, denen, denen es schlecht geht in dieser Gesellschaftsform? Und wenn - was nicht der Fall ist in Deutschland -, wenn sich diese Lücke immer weiter öffnen würde, dabei aber es den schlechter Gestellten immer besser gehen würde, würde ich sagen, das ist eine Entwicklung, die ich akzeptieren kann.
Gessler: Die Schere zwischen Arm und Reich, da kann man ja lange drüber diskutieren, ob sie wirklich auseinandergeht oder nicht. Aber offensichtlich ist schon, dass es tatsächlich eine Art von einfachem Arbeitnehmertum gibt, wo es tatsächlich nicht mehr reicht, eine Arbeit zu haben. Also, es gibt so etwas - und das nimmt zu - wie Working Poor. Entspricht das noch dem Prinzip der sozialen Marktwirtschaft?
Wir haben in Deutschland im Bildungsbereich eine Klassengesellschaft
Barrenstein: Jeder, der in dieser Gesellschaft eine Arbeit hat und Vollzeit beschäftigt ist, sollte davon leben können. Von daher gehöre ich auch zu denen, die sagen, es kann eigentlich nicht sein, dass dort Aufstockerregelungen angeschafft werden mussten oder eingesetzt werden mussten, um eben den Menschen, die 40, 45 Stunden, 50 Stunden in der Woche arbeiten, dann zu helfen zu überleben in Deutschland. Aber da gibt es ja eine ganze Menge von Instrumenten, mit denen versucht wird, diesen Menschen zu helfen.
Was mich ehrlicherweise mehr besorgt als das, was Sie hier schildern, ist, dass wir nach wie vor in Deutschland im Bildungsbereich - und das ist ja damit korrelierend - eine wirkliche Klassengesellschaft haben. Also, die Wahrscheinlichkeit, dass, wenn Sie in einer unteren sozialen Klasse, Schicht, definiert durch den Beruf und die Ausbildung und das Einkommen der Eltern, wenn Sie dort zur Welt kommen, ist Ihre Wahrscheinlichkeit, dort eine gute Ausbildung zu bekommen, dramatisch schlechter, als wenn Sie in einer höheren Klasse geboren worden sind. Und das ist für mich im Sinne dieser Chancengleichheit, die ja soziale Marktwirtschaft ganz stark auf der Fahne hat, das ist etwas, was halt nicht gegeben ist und was eigentlich für dieses reiche Land wirklich einen Skandal darstellt.
Ein Arbeitshandschuh in dem ein Fünf-Euro-Schein, eine Zwei-Euro-Münze, eine Ein-Euro-Münze sowie ein 50-Cent-Stück liegen.
8 Euro 50 sollen die meisten Arbeiter in der Stunde verdienen (Bild: dpa).© picture alliance / dpa
Gessler: Nun gibt es ja Bemühungen auch der gegenwärtigen Bundesregierung, da etwas zu tun, dass man tatsächlich von dem Einkommen, das man hat, auch leben kann. Und ein Instrument ist davon der Mindestlohn. Halten Sie das für ein gutes Instrument, der Mindestlohn?
Barrenstein: So, wie er heute verabschiedet worden ist: Nein. In dieser Pauschalität, wie er heute gesetzt worden ist. Weil diese heutige Situation ... Auf der einen Seite gibt es sozusagen einzelne Regelungen, die sicherlich überarbeitet werden müssen, ich denke an die Frage von Praktikanten und so was, da ist es einfach nicht opportun, so vorzugehen, wie heute vorgegangen worden ist.
Aber was mich mehr stört, ist dieser flächendeckende Charakter. Dass also im Grunde genommen unabhängig davon, ob wir jetzt im Westen, Osten, auf dem Land, in der Stadt sind, überall der gleiche Mindestlohn gesetzt worden ist. Meine Sorge ist, dass das in bestimmten Bereichen Deutschland - insbesondere natürlich im Osten unseres Landes - dazu führen wird, dass dort wirklich Arbeitsplätze verloren gehen. Und in dem Sinne würde ich mir wünschen, dass dort differenzierter vorgegangen wird, als es heute der Fall ist.
Gessler: Aber das Argument für den Mindestlohn ist doch, dass man tatsächlich diesen Lohn braucht, um davon leben zu können!
Barrenstein: Ja, aber sozusagen ... Das Geld, was Sie brauchen, um zu leben, ist halt je nach Region Deutschlands sehr, sehr unterschiedlich. Da zahlen Sie halt in Zwickau weniger für Ihren Lebensunterhalt, für die Wohnung, selbst für Ihre Lebensmittel als in München, wo ich herkomme, wo das halt deutlich höher ist. Und das sollte eigentlich Ausdruck finden auch in der Festsetzung des Mindestlohns.
Gessler: Eine Zeit lang war ja der Neoliberalismus eine starke Bewegung. Diese Bewegung scheint aber jetzt zu einem Ende gekommen zu sein. Begrüßen Sie das?
Neoliberalismus nicht verteufeln
Barrenstein: Na ja, da muss man mal definieren, was Neoliberalismus ist. Ich sage mal, Neoliberalismus hat ja auch über Ludwig Erhard eigentlich sozusagen die Anfänge unserer Sozialen Marktwirtschaft in höchstem Maße geprägt. Und Soziale Marktwirtschaft heißt, dass dort die wirtschaftlichen Kräfte in einem festen Rahmengerüst frei agieren sollen. Dieses feste Rahmengerüst ist immer die Diskussion, was ist das? Das sind Kartellgesetze, das sind Preisvorschriften, das sind Arbeitsrechte, die wir auch mit dem Mindestlohn zum Beispiel eben berührt haben. In dem Sinne sage ich, ich würde mir in manchem eine Rückkehr eher sozusagen zu diesen alten Diskussionen, auch zu den alten Traditionen des Neoliberalismus wünschen als eine heutige Diskussion, die zum Teil Wirtschaft in einem Maße verteufelt und in die Ecke stellt, wie es aus meiner Sicht nicht angemessen ist.
Gessler: Sie sehen keinen Widerspruch zwischen der Sozialen Marktwirtschaft und einer neoliberalen Marktwirtschaft?
Barrenstein: Nein, überhaupt nicht. Weil der Kern des Neoliberalismus so, wie ich ihn verstehe, in Deutschland - und ich kann ja nur jetzt von Deutschland reden - eben halt nicht sozusagen der kapitalistischen Kraft die Power gibt, sondern halt dem, was soziale Marktwirtschaft ausmacht. Und das ist das, was halt in einem Regelgefüge stattfindet. Einem Regelgefüge, was halt auch die Schwachen in der Gesellschaft mit berücksichtigen soll.
Gessler: Nun sagen ja viele, dass gerade, was Regeln angeht, beim internationalen Finanzkapitalismus ... oder bei den internationalen Finanzmärkten einiges aus dem Ruder gelaufen ist. Kann man tatsächlich diese Finanzmärkte irgendwie einbinden, global?
Barrenstein: Das hoffe ich sehr! Denn das ist ja sehr offenkundig, dass da ganz viel falsch gelaufen ist und dass dort halt über Spekulation, auch über kriminelle Aktivitäten, aber auch einfach über das Ausnutzen nicht vorhandener Regularien halt ziemlich viel Mist passiert ist. Und ich wünschte mir sehr, dass dort Regeln geschaffen werden, die das, was dort passiert, kanalisieren.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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