Kapitalismus-Kritik

Politik der Genügsamkeit

Von Johannes Kaiser · 22.01.2014
Was braucht der Mensch, um ein gutes Leben zu führen? Viel weniger als der ungebremste Kapitalismus nahelegt, so die Autoren. Sie geben Denkanstöße für einen klimaschonenderen, gerechteren Lebensstil.
Einschränken, maßhalten, verzichten – das sind in der Politik verbotene Begriffe. Dabei ist eigentlich allen klar, dass es ein Weiter-so nicht geben kann. Ungebremstes, unbegrenztes Wirtschaftswachstum wird die Erde nicht mehr lange verkraften. Es ist verantwortlich für Klimawandel, Ressourcenknappheit, Nahrungsmittelkrise. Die Probleme sind von der Wissenschaft benannt und der Politik bekannt, dennoch scheut man die Konsequenzen.
Es ist dann auch für die beiden Autoren Zeit für eine neue Politik: die Suffizienz. Das bedeutet so viel wie "ausreichen" und fragt, wie viel braucht man eigentlich, um ein gutes Leben zu führen. Die Antwort der Sozialwissenschaften ist eindeutig: Sind die Grundbedürfnisse wie Essen, Gesundheit und Wohnen befriedigt, führen steigendes Wirtschaftswachstum und höheres Einkommen kaum noch zu einer Steigerung der Zufriedenheit. Wohlbefinden und materieller Wohlstand sind also nicht aneinandergekoppelt.
Genau hier setzt die Idee der Suffizienz an. Statt rascher, schneller, mehr, setzten ihre Vertreter auf Entschleunigung. Beispiel Mobilität: Bei Tempo 30 wird die Luft besser, es wird weniger CO2 ausgestoßen, der Lärmpegel sinkt und es passieren weniger Unfälle. Stellt man wie in der Stadt Graz die Ampeln für Fußgänger auf Dauergrün, müssen sich die Autofahrer anmelden und die Wartezeiten für Fußgänger werden kürzer. Je entspannter und angenehmer das Stadtleben wird, desto weniger Familien ziehen aufs Land, und damit sinkt auch der Flächenverbrauch und die Natur wird geschont.
Suffizient bedeutet auch Entflechtung. Darunter verstehen die Autoren statt globalem Preisdumping ein Zurück zur regionalen Wertschöpfung. Menschen wissen dann wieder, woher die Produkte stammen und die Produzenten fühlen sich ihrer Region verpflichtet. Anonyme Ausbeutung wie etwa in den Entwicklungsländern wird so zurückgedrängt.
Man muss nicht alles selbst besitzen
Auch Entrümpelung zählt zu den neuen Werten: Was der eine aussortiert, kann der andere noch gut gebrauchen. Statt Obsoleszenz, statt kurzlebiger Konsumgüter langfristige Garantiezeiten, reparaturfreundliche Geräte. Statt auf dem Müll landen gebrauchte Bauteile auf Bauteilbörsen.
Bleibt noch der vierte Suffizienz-Gedanke: Entkommerzialisierung. Man muss nicht alles selbst besitzen, kann gemeinschaftliche Einrichtungen nutzen. Das reicht von der Bücherei über gemeinsam genutzte Werkstätten bis zu Gemeinschaftsgärten. Selbermachen, Reparieren, Selbstorganisieren bringt Fähigkeiten zurück, die den Einzelnen zufrieden machen.
Uwe Schneidewind und Angelika Zahrnt plädieren für ein entsprechendes Umdenken in allen Politikfeldern und eine andere Form der Wirtschaft, einen verantwortungsbewussten Kapitalismus. Sie nennen zahlreiche Stellschrauben, um das individuelle Wohlbefinden der Bürger ohne stetes Wachstum zu steigern. Das geht ohne Zwang, einfach indem man die Rahmenbedingungen ändert. Ein sinnvoller Denkanstoß für ein besseres Leben.
Uwe Schneidewind, Angelika Zahrnt: Damit gutes Leben einfacher wird. Perspektiven einer Suffizienzpolitik
Oekom Verlag, München 2013
271 Seiten, 12,95 Euro
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