Kampnagel Hamburg

Theater zwischen Sauna und Zelten

Besucher stehen am 24.05.2012 vor dem Eingang einer großen Foyer-Halle des Theaters Kampnagel in Hamburg.
Theater Kampnagel in Hamburg © picture-alliance / dpa / Georg Wendt
Von Alexander Kohlmann · 28.09.2014
Barrikaden, Gerüste, Zäune. Eine Bühne wie ein Abenteuerspielplatz für Erwachsene. Mit einer aktivistischen Versammlung ist der Kampnagel in Hamburg in die neue Spielzeit gestartet.
Dass der Begriff Versammlung durchaus weitläufig interpretierbar ist, erfährt schon, wer sich im Eingangsbereich der Halle einen großen Wohnwagen einmal genauer ansieht. In ihm haben zwei Künstler eine mobile Sauna installiert, denn das nackte gemeinsame Saunieren habe doch sehr viel mit einer Versammlung zu tun.
"Also in unserer Sauna ist es nie wirklich ruhig, man kommt ins Gespräch, man kommt mit fremden Leuten ins Gespräch, was, wenn ich jetzt in eine andere normale, ich sag jetzt mal normale Sauna gehe, ist das ja eher immer sehr verhalten, man spricht mit dem Gast, vielleicht mal über ein Handtuch oder so, aber man kommt ja nicht wirklich so ins Gespräch, hier findet Versammlung statt."
Während die Sauna inklusive öffentlicher Dusche zum Entspannen einlädt, befindet sich auf der anderen Seite der Halle das Schlaf-Camp. In kleinen, mit Tüchern abgehängten Parzellen campieren die internationalen Gäste, Vertreter politischer Organisationen und Künstler, die das Interesse an der Versammlung im öffentlichen Raum eint.
Eine Frau, die wie viele hier ihren Namen nicht verraten will, aber doch irgendwie zur Leitung gehört, erklärt:
"Dass wir die Praxis des sich Versammelns einfach auf neue Weise würdigen wollen, weil wir glauben, dass das ein ganz entscheidendes Geschehen ist, das im Zusammenhang mit der politischen Arbeit in der Finanzkrise passiert ist. Dass wir alle erkannt haben, dass das Assembly einfach der wichtigste Ort ist, um gemeinsam Entscheidungen zu treffen, um Wissen zu teilen, um, ja, um sich zu organisieren."
Freie Wildbahn der Berufsdemonstranten
Zwischen Sauna und Zeltstadt haben die Macher eine Art Abenteuerspielplatz für Erwachsene gebaut. Hölzerne Barrikaden und Gerüste, Baggerführerstände und Sperrholzzäune. Die freie Wildbahn der Berufsdemonstranten ist so zu einer theatralen Kulisse geworden. Und wird Stück für Stück von den eingeladenen Kollektiven bevölkert. Das Theater, es ist hier eine Art riesige Versuchsaufstellung mit ungewissem Ergebnis.
"Und wir wollten gerne ein Forum schaffen, wo all diese Leute zusammen kommen können, um sich auszutauschen, um einfach Praktiken des sich Versammelns zu teilen - und wieder in die Kontexte zu bringen, aus denen die Leute kommen, das sind ja alles Kontexte, in denen es um die Organisation eines gemeinsamen Lebens geht, in denen es uns allen gut geht und nicht nur den Wenigen und nicht nur den einen Prozent, sondern allen."
Die Wenigen und die Vielen. Das Kollektiv als Gegenteil zur repräsentativen Herrschaft einer kleinen Gruppe. Es ist diese Utopie, die fast alle Teilnehmer eint. Schon deshalb verraten viele ihre Namen nicht. Und wie bei jedem echten Kollektiv, wird es immer dann kompliziert, wenn es konkret wird.
Das erst Panel beschäftigt sich mit den abstrakten Themen "Materialität" und "Geld". Tagelang hat die Künstlergruppe mit Teilnehmern aus ganz Europa hübsch gemeinschaftlich eine echt kollektive Performance erarbeitet - bis sich eine Nacht vor der Premiere herausstellte, dass manche Teilnehmer eine Gage für ihre Teilnahme bekamen, andere dagegen nicht. Das führte zu so großen Überwerfungen, dass das Kollektiv kurzerhand den Plan umwarf. Und die Zuschauer, die zwischen den künstlichen Barrikaden sitzen, Zeuge einer öffentlichen Diskussion ums Geld werden.
Im Zweiergespräch wird es richtig interessant
Es wäre sehr leicht derartige Kinkerlitzchen als eine Wiederauflage eines Parteitags der Piraten-Partei abzutun. Für die schlichte Erkenntnis, dass auch im Kollektiv immer einer das Sagen haben muss, hätte es dieses Aufwandes ganz gewiss nicht bedurft. Doch wie bei jeder echten Konferenz, ergeben sich die interessanten Gespräche dann doch nicht im Plenum, sondern ganz individuell, im Zweiergespräch. Denn die Frage, ob die Protestbewegungen auf der Straße nicht durch die Betrachtung als Performance entwertet werden, beschäftigt durchaus auch die angereisten Künstler und Aktivisten.
"Ich habe im Athener Syntagma Platz die Platzbesetzungen 2011 mitgemacht, ich habe das erfahren, heute schreibe ich meine Doktorarbeit dazu",
erzählt eine der Vielen. Eine endgültige Antwort auf die Frage nach der Sinnhaftigkeit dieses Protest-Labors, will sie nicht geben.
"Wir fragen uns genau dieselben Fragen. Sollen wir das in eine Performance packen oder sollen wir das vielleicht lieber nicht in eine Performance packen. Ästhetisieren wir eigentlich nicht die politischen Ereignisse, wenn wir jetzt daraus Kunst machen, oder ist es nicht eben gut, daraus Kunst zu machen, weil man damit andere politische Vermittlungsformen von politischen Inhalten findet, als immer nur dieses Sprechen über, und das stundenlange Diskutieren. Diese Fragen haben Vor- und Nachteile und genau das sind auch die Widersprüche, die sich hier finden."
Widersprüche und Nachteile. Ein Ergebnis dieser Konferenz ist mit Sicherheit das gemeinsame Zweifeln, ob es überhaupt wünschenswert ist, so viele Gruppen ohne eine gemeinsame politische Überschrift zu versammeln.
Denn, das lehrt schon die Soziologie, eine soziale Gruppe formt sich erst durch ein gemeinsames Ziel, und genau das fehlt bei der dieser Kampnagel-Spielzeiteröffnung: Bei der dann nur die Hoffnung bleibt, dass sich aus der planlosen Zusammenkunft der Vielen doch noch etwas Bleibendes entwickelt.
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