Kampf um Entschädigung und Gerechtigkeit

04.10.2012
Das Schicksal jüdischer Migranten war das Thema ihres ersten Buches "Shanghai fern von wo". In Ursula Krechels zweitem Roman "Landgericht" geht es um einen jüdischen Richter, der 1948 aus dem Exil nach Deutschland zurückkommt - und herbe enttäuscht wird.
Es scheint so, als hätte die Lyrikerin und Essayistin Ursula Krechel mit ihren Romanen über jüdisches Exil ihr Lebensthema gefunden. In ihrem Erstling "Shanghai fern von wo" (2008) hatte sie vom Schicksal deutscher Emigranten erzählt, die nach China geflohen waren. Mit "Landgericht" knüpft sie an jenes fulminante Stationendrama an und richtet den Fokus auf eine einzige Figur, die paradigmatisch für den Neubeginn im Nachkriegsdeutschland steht, für die bestürzende Mitleidlosigkeit, die den Rückkehrern allerorten entgegenschlug.

1948 kommt der jüdische Richter Richard Kornitzer nach zehnjährigem Exil aus Havanna zurück, in der trügerischen Hoffnung, sein Leben "vor den Nazis" wiederaufnehmen zu können. Mit der Machtübernahme war er "aus dem Dienst entfernt" worden und hatte bis zu seiner Emigration an ein schnelles Ende der Diktatur geglaubt.

Obwohl er am Landgericht Mainz bald als Richter eingesetzt wird, gelingt es ihm nicht, in der Wiederaufbaueuphorie Tritt zu fassen. Umgeben von alten Nazi-Kollegen, die ihr Fähnlein hurtig in den neuen Wind der Besatzungsmächte hängen, von Einheimischen, für die nur das eigene Elend in der zerstörten Stadt zählt ("geplündert - verhaftet - verschollen - vergewaltigt"). Was ihm widerfuhr ("abgezockt - aus dem Land gejagt- erniedrigt") zählt nicht, weil er den Krieg nicht durchmachen musste.

Ursula Krechel erzählt Kornitzers Geschichte in ausschweifenden Bögen, kühl und ohne Betroffenheitspathos. Sie blickt zurück auf die kubanischen Jahre, auf die Zeit vor der Flucht, als die Demütigungen und die wachsende Angst um Besitz und Leben unbezwingbar werden. Sie erzählt, wie Kornitzer und seine Frau ihre kleinen Kinder in letzter Minute einem Kindertransport nach England anvertrauen. Nach dem Krieg werden die inzwischen fast Erwachsenen ihre englischen Pflegeeltern nicht verlassen; Vater und Mutter, die ihnen fremd geworden sind, besuchen sie nur widerwillig.

Nachdem der Versuch, die eigene Kleinfamilie wiederzubeleben gescheitert ist, verstrickt Kronitzer sich in einen verzweifelten Kampf um Entschädigung und Gerechtigkeit. Wie seine immer neuen Anläufe, sich Recht zu verschaffen, in den Mühlen der Bürokratie unbarmherzig zermahlen werden, wie aus dem redlichen Richter, der sich unentbehrlich glaubt für den Aufbau einer neuen Gesellschaft, am Ende ein lästiger Störfaktor wird, der nur seine eigene Genugtuung im Visier hat - das wird mit großer Wucht geschildert.

Wie schon im Shanghai-Roman stützt sich Krechel auf authentische Zeugnisse, auf Briefe, Berichte und Amtskorrespondenzen, die in ihrer kalten Bürokratensprache mitten durchs Herz schneiden. Dieses Verfahren wirkt umso eindringlicher, als die Dokumente wie schroffe, unbewohnbare Eilande aus den plastisch-sinnlich entworfenen Alltagsszenen der Nachkriegsgesellschaft herausragen.

Mit ihren Historie und Fiktion verwebenden Arrangements gelingt Ursula Krechel ein Zeitroman, der mit vielen atmosphärischen Details bestechend genau das Leben nach der Stunde Null umkreist. Ausgeklügelte Figurenporträts, die mit knappen, kräftigen Strichen auch das Randpersonal glänzen lassen, brillante innere Monologe, eine von Empathie getragene, vielfach gebrochene lyrische Sprache machen "Landgericht" zu einem beeindruckenden Nachruf auf eine tragische, zum Scheitern verurteilte Heimkehr.

Besprochen von Edelgard Abenstein

Ursula Krechel: Landgericht
Jung und Jung-Verlag, Salzburg und Wien 2012
496 Seiten, 29,90 Euro
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