Kampf um die Freiheit

Von Volkhard App · 21.05.2012
Die Theaterwerkstatt Hannover veranstaltet in diesen Tagen ein Festival, zu dem 49 Theatermacher aus dem Nahen Osten und Nordafrika eingeladen wurden. Für fast alle Schauspieler und Regisseure aus dem Irak, aus Ägypten, Palästina, Tunesien, Algerien und Marokko ist es das erste Mal, dass sie ihre Stücke in Europa aufführen.
Das ist schon ungewöhnlich: noch bevor die Aufführung der "Creation Group” aus Ägypten beginnt, bittet der Leiter das Publikum, sich zu einer Schweigeminute zu erheben - im Gedenken an die Opfer des "Arabischen Frühlings”, des Kampfes um die Freiheit.

Dann erst fängt das Stück an, das in ein Gleichnis gebettet ist: Es spielt auf einst blinde Katzen an, die sehen lernen, sich mit den Verhältnissen aber nicht abfinden wollen:

Schon vor dem Sturz Mubaraks hatte dieses durch Worte und Choreografie gleichermaßen geprägte Werk Premiere in Ägypten. Über die Rolle, die moderne Medien in der Revolution gespielt haben und noch immer spielen, wurde viel gesprochen. Über den Beitrag der traditionellen Künste war nicht soviel zu erfahren. Regisseur Ahmed Ezzat:

"Die Kunst hat eine große Rolle gespielt. Zu unterscheiden sind dabei zwei Perioden: die Kunst vor und die nach der Revolution. Vorher gab es Unfreiheit, eine Zensur der Kunst und damit auch der Theaterstücke. Nicht nur auf moralischer Ebene: ob Leute auf der Bühne nackt oder halbnackt sein dürfen.

Es ging auch um politische Fragen: Die Person Mubarak durfte nicht angegriffen werden. Wir haben versucht, das Regime mit verschlüsselten Themen und Bildern zu überlisten. Da stand ein Zug dann als Metapher für das ganze Land, und die Zuschauer waren die Passagiere."

Und die Situation in der Gegenwart?

"Nach der Revolution können wir unsere Gedanken frei ausdrücken, unsere Ziele formulieren. Aber es gibt immer noch Ängste, und die beziehen sich auf die Islamisten. Falls sie die Macht ausüben, werden sie Vieles steuern und begrenzen.

Wir sind in der Mehrheit zwar Muslime, und der Islam an sich ist eine Religion der Freiheit und des Respekts gegenüber anderen, aber es existiert eben auch eine Minderheit von Fanatikern. Deshalb gibt es nach der Revolution diese Front, die verhindern soll, dass diese Leute an die Macht kommen."

Am Ende der Inszenierung reißen die sechs Akteure den Gazevorhang vor der Bühne herunter und stürmen mit lauten Rufen in den Saal: Aufbruch in eine neue Zeit. Auch eine algerische Gruppe greift mit ihrer roh gezimmerten Szenenfolge eine zugespitzte politische Situation auf.
Da präsentiert sich immer wieder in einem engen Bilderrahmen selbstgefällig ein vermeintlich allmächtiger Herrscher. Doch dieser Rahmen zerbricht, die Untertanen entdecken die Freiheit. Der Unmut äußert sich zwischendurch sogar in westlicher Rhythmik.

Erst wenige Tage vor dem Theatertreffen hatten die Akteure in Algerien ihre Visa bekommen - als nach Missverständnissen endlich klar wurde, dass es sich hier nicht um potenzielle Wirtschaftsflüchtlinge handelt. Doch nicht alle Mitglieder durften reisen, bei der Aufführung in Hannover musste viel improvisiert werden.

Trotz der etwas holprigen Darbietung teilte sich der Geist der Rebellion in den Bildern eindrucksvoll mit. Regisseur Mohamed Ali Chicha ist überzeugt, dass diese Geschichte vom obsoleten Herrscher nicht nur in seiner Heimat von Bedeutung ist, sondern auch andernorts Gültigkeit besitzt. Über seine gegenwärtige Arbeit, die mögliche Unfreiheit oder innere Zensur, sagt er:

"Es kommt gar nicht in Frage, dass ich Grenzen akzeptiere und mich womöglich selber zensiere. Jeder Künstler kennt natürlich eine Art innere Kontrolle und überprüft die Qualität. Aber es wäre nicht akzeptabel, meine Stücke wegen äußerer Umstände zu verändern. Ich drücke meine Sicht der Dinge aus, damit habe ich keine Probleme."

Die Theater-Gruppen, die hier gastieren, sind in den jeweiligen Ländern an Hochschulen angesiedelt und haben dadurch offenbar mehr Spielraum. Mit großer Ausdauer erzählen die Schauspieler abends in Publikumsgesprächen von ihren Erfahrungen und tauschen sich in täglichen Workshops mit hiesigen Schauspielern und Studenten aus. Ein Medienzentrum vor Ort ermöglicht zudem internationale Kontakte, und "Arte” hat Sendungen zum "Arabischen Frühling” zur Verfügung gestellt.

Gastgeber in Hannover sind das Kulturzentrum "Pavillon” und die dort beheimatete traditionsreiche Gruppe "Theaterwerkstatt”. Sabine Trötschel ist überzeugt, dass die deutschen Künstler von den Gästen vielfältige Impulse erhalten:

"Für mich ist es eine tolle Gelegenheit, so viele junge Leute zu erleben, die gerade gemeinsam ihr Theaterbild suchen. Unsere Aufbruchsgesellschaft hat in den Sechziger- und Siebzigerjahren stattgefunden, als sich politische Formationen und Theater bildeten. Und mit den Theatern sind auch viele Akteure älter geworden.

Deshalb ist es großartig, die physische Kraft und den Esprit dieser jungen Leute kennenzulernen, denen man anmerkt, dass sie etwas für ihr Leben erreichen wollen und dafür eine ästhetische Form suchen."

Zu den positiven Erfahrungen gehört, dass diese Veranstaltung schnell realisiert werden konnte. Das Goethe-Institut hat die Flüge finanziert, und auch von der Stadt und vom Bundesland fließen Gelder, so dass ein wirkliches Theatertreffen möglich ist: Alle Akteure bleiben bis zum Ende vor Ort.

Ein vielfältiges Programm erwartet die Zuschauer - bis zum palästinensischen Stück über einen Totengräber im Westjordanland. Der Schwachpunkt in den Anfangstagen war die fehlende Übersetzung der Dialoge - an einer Lösung wird jetzt erst gearbeitet. Allgemein aber sind die Eindrücke auch bei den Gastgebern positiv, gewisse kulturelle Unterschiede sind eher am Rande zu spüren:

Trötschel: "Es wird weniger effektiv und konkret kommuniziert. Man hört, wenn man eine Technikbesprechung anfängt, zum Beispiel erst einmal eine große Danksagung, eine Wertschätzung und Anerkennung der Arbeit, bevor wir zu den Fakten kommen."