Kampf gegen die Drogen

Heroin auf Rezept für Schwerstabhängige

Modellprojekt in Hannover: Thomas Peschel beaufsichtigt im Jahr 2006 einen "Schuss".
Modellprojekt in Hannover: Thomas Peschel beaufsichtigt im Jahr 2006 einen "Schuss". © picture alliance / dpa / Peter Steffen
02.09.2016
Bessere medizinische Versorgung und staatlich kontrollierte, legale Abgabe harter Drogen - das ist nach Ansicht der früheren Schweizer Bundespräsidentin Ruth Dreifuss der richtige Weg in der Drogenpolitik. In der Schweiz gibt es das seit 20 Jahren.
Der "War on Drugs" gilt inzwischen weithin als gescheitert. Insofern plädiert die frühere Schweizer Bundespräsidentin und jetzige Kommissarin der Weltkommission für Drogenpolitik, Ruth Dreifuss, für eine andere Drogenpolitik und verweist auf das Beispiel der Schweiz: Dort können Schwerstabhängige seit 20 Jahren legal und staatlich kontrolliert von Ärzten Heroin bekommen.

Programmtipp: Sa., 3.9.2016, 18.05 Uhr - 19 Uhr Feature Illegale Drogen töten - Alternativen zum gescheiterten Prohibitionskrieg und Multimedia-Projekt

Das gelte nur für Abhängige, die schon verschiedene Versuche gemacht hätten, von der Droge loszukommen, betont Dreifuss. Und auch sonst sind die Hürden hoch: "Man muss den Führerschein abgeben, man muss jeden Tag ein- oder zweimal oder dreimal sogar in eine Poliklinik gehen. Und in diesem Sinne ist das nicht ein Weg, der sehr einfach ist für die Konsumenten."
Es gehe dabei nicht darum, Menschen dazu zu verleiten, Drogen "als etwas Lustiges zu betrachten", sondern darum, sehr kranken Menschen zu helfen, so Dreifuss.

Das Interview im Wortlaut:
Nana Brink: Bald wird überall in Deutschland wieder die Schule anfangen und viele Eltern von Teenagern werden sich wieder Sorgen machen, dass auf dem Schulhof nicht nur geraucht wird, sondern auch harte Drogen im Umlauf sind. Das Thema ist leider ein Dauerbrenner, auch weil der War on Drugs – übrigens ein Begriff, den mal der US-Präsident Nixon Anfang der 1970er-Jahre geprägt hat – offensichtlich gescheitert ist.
Die Gewinne der Drogenkartelle vor allem in Mexiko und Kolumbien steigen ins Unermessliche, morgen sendet Deutschlandradio Kultur das Feature "Illegale Drogen töten" von Christian Lerch, dem es gelungen ist, mit einem kolumbianischen Dealer zu sprechen, und vom erfolglosen Krieg des Staates gegen die Drogen berichtet. Und dazu haben wir auch eine umfangreiche Online-Berichterstattung, dazu komme ich gleich noch.
Erst mal spreche ich mit Ruth Dreifuss, der Grande Dame der Schweizer Sozialdemokratie, ehemals Bundespräsidentin. Und ihr war die Drogenpolitik als aktive Politikerin ein ganz wichtiges Anliegen, unter anderem setzte sie mit durch, dass in der Schweiz Heroin seit über 20 Jahren legal und staatlich kontrolliert durch Ärzte abgegeben wird. Ich grüße Sie, Frau Dreifuss!
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Die frühere Schweizer Bundespräsidentin und jetzige Kommissarin der Welkommission für Drogenpolitik, Ruth Dreifuss© picture alliance / dpa / Salvatore Di Nolfi
Ruth Dreifuss: Guten Morgen!

Eine falsche Drogenpolitik ist schädlicher als Drogen

Brink: Sie sind jetzt Kommissarin der Weltkommission für Drogenpolitik und sagen, der sogenannte "War on Drugs", also der Krieg gegen die Drogen ist gescheitert. Warum?
Dreifuss: Es ist gescheitert nach der eigenen Messlatte, die sich die Politik gegeben hat. Es ist gescheitert in dem Sinne, dass die Produktion gestiegen ist, der Konsum gestiegen ist, die Gefährlichkeit der Drogen auch gestiegen ist. In diesem Sinne haben wir eben das Gegenteil erreicht, als die Ziele waren.
Brink: Warum ist das so?
Dreifuss: Weil die Repression an sich schon Probleme stellt, in dem Sinne dass der Drogenhandel dann einfach in die Klandestinität, im Untergrund verschwindet und in die Hände von kriminellen Organisationen, die natürlich keinen Grund haben, diese sehr lukrative Aktivität aufzugeben. Der Konsum ist da, die Nachfrage ist da und deswegen werden sich ja auch die … sagen wir: der Handel nicht drosseln lassen. Aber es ist nicht nur das, es sind die Folgen der Klandestinität, des Untergrundkonsums, die sehr gravierend sind.
Ich meine, in dem Sinne, dass dann der Drogenkonsum noch viel gefährlicher wird, weil er in einem Umfeld gemacht wird, wo die Drogen schlechter Qualität sind, wo die Leute Angst haben, sich, sagen wir, zu outen und dadurch auch Hilfe zu … den Anspruch auf Hilfe zu erhöhen. Und in diesem Sinne sagt Kofi Annan ganz klar: Drogen sind gefährlich, bringen Schaden mit sich, aber eine falsche Drogenpolitik bringt noch viel mehr Schaden.

Hohe HIV- und Hepatitis-C-Infektionsrate zwang die Schweiz zum Handeln

Brink: Ist das der Grund, weshalb Sie dann dafür plädiert haben, staatlich kontrolliert Heroin und auch andere Drogen abzugeben in der Schweiz?
Dreifuss: Ja, wir waren wirklich konfrontiert mit einer sanitätischen Emergency-Situation. Ich meine, es war dramatisch in der Schweiz, die Ansteckung durch HIV und dann auch durch Hepatitis-C-Virus war so groß und die Todesrate auch durch Überdosis war so groß, dass wir unbedingt handeln mussten. Es gibt Länder, die das einfach nicht sehen wollen und dann eben alles in Schatten stellen oder in Untergrund.
Es gibt Länder wie die Schweiz, die sagen, nein, wir müssen den Menschen helfen, wir müssen die Menschenrechte auch dieser Menschen berücksichtigen. Und deswegen, wenn jemand wirklich abhängig ist, wenn jemand probiert hat, vielleicht abstinent zu werden, ohne Erfolg, wenn jemand sogar auf Methadon nicht antwortet, dann muss er einfach den Staat … einen sauberen, kontrollierten Stoff vom Staat bekommen.
Brink: Wie sind denn Ihre Erfahrungen nach 20 Jahren?
Dreifuss: Die sind sehr, sehr gut anerkannt auch von der Schweizer Bevölkerung, die darüber auch mehrmals abgestimmt hat und diese Politik akzeptiert hat. Ich meine, einerseits ist der Gesundheitszustand direkt der Konsumenten viel besser. Ich meine, die verschiedenen Folgen von Infektionen und so weiter sind in Kontrolle. Die Aids-Kontamination ist nicht größer unter Drogenkonsumenten als sonst in der Bevölkerung und hauptsächlich auch die kleine Kriminalität, die Beschaffungskriminalität ist absolut verschwunden, würde ich sagen, für diese Menschen, die eben eine kontrollierte … Abgabe ist vielleicht nicht das richtige Wort, aber Verschreibung durch Ärzte und die Verteilung in spezialisierten medizinischen, wie sagt man, Dispensaires, ich meine …

"Wir helfen kranken Leuten"

Brink: Dispositionen, ja … Ich wollte da aber doch einwenden: Wenn man etwas staatlich abgibt, akzeptiert man es dann nicht auch? Wird es dann nicht sozusagen ja auch reingewaschen? Muss man denn nicht junge Leute genau davor auch schützen, dass es so einfach zu bekommen ist?
Dreifuss: Es ist nicht einfach zu bekommen, es muss wirklich… Die Bedingungen sind ziemlich hoch gesteckt, man muss eben schon verschiedene Versuche gemacht haben, um den Drogenkonsum zu… sagen wir: in den Griff zu bekommen. Man muss den Führerschein abgeben, man muss jeden Tag ein- oder zweimal oder dreimal sogar in eine Poliklinik gehen. Und in diesem Sinne ist das nicht ein Weg, der sehr einfach ist für die Konsumenten. Es ist wirklich eine Lösung für Menschen, die krank sind, krank im Sinne, dass sie abhängig von dieser Droge sind …
Brink: Nun mag …
Dreifuss: … und alle Versuche, diese Abhängigkeit zu drosseln oder sich davon zu befreien, erfolglos waren. Wir helfen kranken Leuten. Das ist nicht eine Botschaft, die sehr attraktiv ist. Es ist nicht etwas, das wirklich die Menschen, sagen wir, dazu verleitet, Drogen als etwas Lustiges zu betrachten, im Gegenteil.

Die Schweiz allein kann das Problem nicht lösen

Brink: Aber wenn wir jetzt davon ausgehen, dass es den Menschen, wie Sie es gerade beschrieben haben, hilft … Aber hilft es dann zum Beispiel auch dem Bauer in Afghanistan, für den es sich einfach nicht lohnt, Getreide anzubauen? Das ist ja eigentlich auch das Problem.
Dreifuss: Es hilft in dem Sinne, dass einfach die Drogen, das heißt, in diesem Fall die Poppy-Blume legal kultiviert und verarbeitet wird. In diesem Sinne ist es einfach ein Weg hin zur Regulierung. Es hilft nicht direkt den Bauern in Afghanistan, weil verschiedene Gründe dafür sprechen, dass es eben eine Verbesserung geben sollte von der Kultur und so weiter, um diesen Stoff dort zu kaufen. Aber natürlich braucht es eine weltweite Regulierung. Ich meine, der schwarze Schweizer Markt ist nicht so, dass er das Problem der Produktion alleine lösen könnte.
Brink: Vielen Dank, Ruth Dreifuss! Sie ist Kommissarin in der Weltkommission für Drogenpolitik. Danke, Frau Dreifuss …
Dreifuss: Ich danke Ihnen!
Brink: … für Ihre Einschätzungen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.