Kampf gegen das Vergessen

Von Wolfgang Martin Hamdorf · 20.12.2010
Patricio Guzman zählt zu den bedeutendsten Dokumentarfilmern des lateinamerikanischen Subkontinents. Auch in seinem jüngsten Film, "Nostalgia de la Luz", kommt er immer wieder auf das Trauma seiner chilenischen Heimat durch den Putsch Pinochets und der Diktatur zurück.
Auf dem roten Sand strahlen die weißen, fast futuristischen Sternwarten. Die Atacama Wüste im Norden Chiles ist ein Paradies für Astronomen. Der neuste Film von Patricio Guzman führt in eine Landschaft, so trocken und unwirtlich, dass sie selbst schon wie ein anderer Planet wirkt. Eine Landschaft, hinter der sich eine lange Siedlungsgeschichte von Handel, Bergbau, von Ausbeutung und Terror verbirgt. Nostalgia de la Luz ist ein ungewöhnlicher Essayfilm über unser Verhältnis zur Zeit und zur Vergangenheit und bringt dabei ganz unterschiedliche Themen in Zusammenhang.

"”Es ist ein Hin- und Rückweg, der Film führt uns von der Wüste weg und wieder zurück, von der Erde weg, ins Weltall und wieder zurück in die Wüste zu den Knochen, den sterblichen Überresten, der Opfer. Nostalgia de la Luz ist eine Reflexion über Leben und Tod, voller Metaphern über die kollektive Erinnerung in allen Zeiten. Es hat mir aber auch Freude bereitet, all diese Grenzen zu überschreiten, die man sonst nicht überschreitet, aber es hat natürlich auch die Produktion sehr schwer gemacht, dann die meisten Fernsehanstalten sagte nur, sie sind doch verrückt, sie machen einen archäologischen Film, oder einen mystischen oder metaphysischen, politisch, philosophisch, was machen sie eigentlich?""

Das Licht in Patricio Guzmans Film leuchtet aus der Vergangenheit: das Licht toter Sterne und Planeten, die längst aufhörten zu existieren, bevor ihr Licht unsere Erde erreicht. Die Vergangenheit, die die Astronomen aus dem All empfangen, ist ganz anders, als die Vergangenheit der Archäologen und ihrer über tausend Jahre alte Mumien im Wüstensand suchen und wieder ganz anders als die jüngste Vergangenheit. In der Wüste lag ein berüchtigtes Konzentrationslager während der Pinochet Diktatur. Im Film kommen die Überlebenden des Lagers zu Wort und auch die alten Frauen, die seit Jahren im Wüstensand nach den Resten ihrer ermordeten Angehörigen suchen, deren Körper zerstört und in der Wüste zerstreut wurden.

"”Chile war, wie ich am Anfang des Films sage, ein sehr ruhiges, friedliches Land, ein sehr arbeitsames Land, mit vertrauenswürdigen demokratischen Institutionen und Pinochet machte ja nicht nur der Linken, den Kommunisten und Sozialisten des Garaus, sondern unter Pinochet ging es allen an den Kragen: der Republik, der Verfassung, der Universität, den Gewerkschaften, mit der Zivilgesellschaft schlechthin. Mit dem Vorwand eine sozialistische Regierung zu stürzen zerstörte er eine demokratische Tradition, die Chile in 200 Jahren aufgebaut hatte.""

Der Chilene Patricio Guzman zählt zu den bedeutendsten Dokumentarfilmern des lateinamerikanischen Subkontinents. Immer wieder kommt er in seinen Filmen auf das tragische Schicksal seines Landes, auf den Putsch und die nachfolgende Diktatur zurück:

"Wenn du heute jemand in Chile nach der Vergangenheit fragst ist die häufige Antwort: "Ich war nicht dabei, ich habe nichts gesehen, ich habe nichts damit zu tun gehabt." Aber wenn man keine Verantwortung für die Vergangenheit übernimmt, gibt es auch keine Perspektive für die Zukunft."

Der Film führt parallele Erzählstränge zusammen, die Astronomen, die Archäologen, die Angehörigen der Opfer auf der Suche nach der Wahrheit, etwa die junge Sternenforscherin Valentina, deren Eltern während der Diktatur ermordet wurden und die alten Frauen in der Wüste und ihrem zähen Kampf gegen das kollektive Vergessen:

"”Die Frauen, die im Norden unermüdlich nach den Resten ihrer Angehörigen suchen, leben mit einer tiefen offenen Wunde. Sie leben mit dem Schmerz und dieser Besessenheit, die sie bis an das Ende ihres Lebens begleiten wird. Valentina ist ein Mädchen aus der Stadt, eine ganz andere geht einen ganz anderen Weg. Sie ist ein Mädchen aus der Stadt, mit einer ganz anderen Herkunft mit ganz anderen Wurzeln, einer anderen Ausbildung. Sie hat es dank ihrer Großeltern geschafft, ihr Leben neu einzurichten, wieder glücklich zu sein und dabei trotzdem nicht zu vergessen. Valentina ist eigentlich eine Idealfigur, das perfekte Beispiel für die Bewältigung der Vergangenheit. Aber auch die Frauen in der Wüste verdienen unseren höchsten Respekt.""

Nostalgia de la Luz die Frage nach dem Verhältnis des Menschen zum Kosmos, zur Wiederkehr des Kleinen im Großen, des Mikrokosmos und des Makrokosmos, ist transzendent, ohne metaphysisch zu werden und verbindet über die Topografie der Wüste im Norden Chile die Frage nach unserem Verhältnis zur Vergangenheit und zur Gegenwart, der Unendlichkeit des Weltraums und die Aufarbeitung der jüngeren traumatischen Vergangenheit Chiles. Nostalgia de la Luz ist ebenso poetisch wie politisch, lebt von seinen beeindruckenden Landschaftsaufnahmen, den faszinierenden Bildern des Weltalls und der Kraft seiner Protagonisten.