Kamm, Zahnbürste oder Diktiergerät

Markus Rothschild im Gespräch mit Marietta Schwarz · 03.05.2011
Eine DNA-Analyse zieht entweder Verwandte des Toten oder von ihm berührte Gegenstände heran. Auch Fotos oder Videos seien bei guter Qualität zur Identifizierung ausgesprochen hilfreich, sagt der Rechtsmediziner Markus Rothschild.
Marietta Schwarz: Osama bin Laden ist tot, das hat inzwischen auch eine DNA-Analyse bestätigt. Frage an Professor Dr. Markus Rothschild, er ist Leiter des Instituts für Rechtsmedizin an der Universität Köln: Herr Rothschild, wie läuft üblicherweise denn so eine DNA-Analyse ab?

Markus Rothschild: Wenn ich einen Verstorbenen habe, oder meinetwegen nicht mehr habe, aber ich habe eine DNA-Probe, die ich von ihm nehmen konnte, also DNA-fähiges Material, zum Beispiel Blut, oder einen Mundschleimhaut-Abstrich, oder Haare mit Haarwurzeln daran, dann kann ich einen sogenannten genetischen Fingerabdruck erstellen, der mir erst mal nichts übers Erbgut sagt, sondern das ist eben eine Sequenzanalyse. Und dann habe ich zwei Möglichkeiten: Entweder ich mache eine sogenannte Abstammungsbegutachtung, zum Beispiel wie ein Vaterschaftstest. Das heißt, ich benötige Personen, die mit dem Vermissten möglichst eng verwandt waren, möglichst in erster Linie, also die Elterngeneration, oder die Kindergeneration, oder auch Geschwister … erstelle auch deren genetischen Fingerabdruck und kann dann sagen, ja, der ist mit denen verwandt, und zwar genau so, das ist der Bruder, Onkel, Vater oder sonst was, oder der ist mit denen nicht verwandt. Dann ist es ein Ausschluss.

Die zweite Möglichkeit, die ich habe, ist, dass ich Vergleichsmaterial heranziehen kann, also zum Beispiel irgendetwas, was nur der Vermisste berührt oder, ich sage jetzt mal, mit seiner DNA behaftet haben kann, zum Beispiel einen Kamm, eine Zahnbürste, ein Diktiergerät, an dem eben Speicheltröpfchen dran sind, eine Briefmarke, die nur er beleckt haben kann, oder irgendetwas anderes.

Schwarz: Das zweite dürfte im Fall von Osama bin Laden vielleicht schwierig sein, oder?

Rothschild: Na ja, ich muss sowieso sagen, mit den Zahnbürsten zum Beispiel ist das so eine Sache. Wir sind oft ganz erstaunt hier auch im zivilen Bereich, wie sehr Zahnbürsten offenbar unter Familienmitgliedern auch geteilt werden. Das ist eh immer etwas unsicher, aber unter Umständen eben besser als nichts.

Schwarz: Jetzt ist die Leiche weg, das wissen wir. Die ist jetzt schon irgendwo in den Weiten des Meeres. Aber man kann wohl davon ausgehen, dass diese Leichenschau gemacht worden ist, wahrscheinlich von der CIA. Oder wer macht so was?

Rothschild: In Deutschland ist der Standard so, dass üblicherweise für Identifizierungszwecke bei Toten eine Leichenschau durch einen ausgebildeten Rechtsmediziner durchgeführt wird, wie zum Beispiel auch in Österreich und der Schweiz. Das mag in den USA oder in besonderen Gebieten anders sein, das weiß ich nicht. Ich persönlich kann natürlich nur über den Standard sprechen, den wir hier in Deutschland etabliert haben.

Schwarz: Im Internet, Herr Rothschild, kursierte dann gestern schnell ein Foto des toten bin Laden, von dem man inzwischen weiß, dass es eine Fälschung ist. Was taugen denn Fotos, wenn es um die Identifizierung von Leichen geht?

Rothschild: Wenn man natürlich keine Leiche zur Verfügung hat, dann ist ein Foto begreiflicherweise besser als gar nichts. Aber wir sind als Rechtsmediziner natürlich auch sehr vorsichtig. Das, was man machen kann, wenn man eine sehr gute Fotoqualität hat, dass man anthropometrische Vergleichsuntersuchungen durchführen kann, zum Beispiel wenn es von dem Vermissten gesicherte Fotos gibt, die man dann als Vergleiche heranziehen kann. Man kann dann eben schauen, wie sind die morphometrischen Merkmale in dem Gesicht von dem Foto, was mir jetzt vorgelegt wird, und von den Fotos des Vermissten. Da kann man Abgleiche unter günstigen Umständen vornehmen. Ansonsten wird das allein anhand eines Fotos natürlich sehr schwierig.

Schwarz: Der US-Geheimdienst hat den Einsatz ja offenbar im Headquarter live mitverfolgen können. Es gibt also auch Filmmaterial, auch wenn es nicht der Öffentlichkeit zugänglich ist. Herr Rothschild, Sie waren ja selbst auch schon mal im Kriegseinsatz im Kosovo. Sind solche Filmaufnahmen während eines Einsatzes üblich?

Rothschild: Die Dokumentation von Verstorbenen oder von Auffindesituationen von Verstorbenen wird durchaus regelmäßig durchgeführt. Meistens ist es eine fotografische Dokumentation. Man kann natürlich auch eine Videodokumentation machen. Das ist natürlich ausgesprochen hilfreich, denn man kann damit auch im Nachhinein noch mal Dinge aufzeigen, auch noch mal hinterfragen, wie hat ein Körper gelegen, wo hat er gelegen. Manchmal drängt die Zeit, man kann nicht alles aufnehmen, wie zum Beispiel ein Verstorbener bekleidet ist, wie welche Leichen wo lagen, und dann ist natürlich so etwas ausgesprochen hilfreich.

Schwarz: Vielen Dank an Professor Dr. Markus Rothschild, Leiter des Instituts für Rechtsmedizin an der Universität in Köln. Danke Ihnen!

Rothschild: Gerne, Frau Schwarz.
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