"Kambodschas Nürnberger Prozess"

Erich Follath im Gespräch mit Dieter Kassel · 26.07.2010
Das Verfahren zur Aufarbeitung der Khmer-Verbrechen habe eine reinigende Wirkung auf die Gesellschaft Kambodschas, sagt der "Spiegel"-Korrespondent Erich Follath. Nach dem Urteil gegen den Gefängnisleiter Kaing Guek Eav müssten nun aber weitere Prozesse folgen.
Dieter Kassel: Unser Korrespondent Bernd Musch-Borowska über den Prozess gegen den ehemaligen Leiter des berüchtigten Foltergefängnisses in Phnom Penh, Kaing Guek Eav, der übrigens – und das sollten wir jetzt mal klären, weil Sie das glaube ich in den nächsten Stunden und Tagen noch oft beides hören werden – zwei verschiedene Versionen seines sogenannte nom de guerre, den er sich selbst gegeben hat, selber auch benutzt hat: "Duc" – wie gerade auch gehört, und "Duch", eigentlich häufiger in Deutschland gehört. Es handelt sich jeweils um den gleichen Mann und über ihn, den Prozess und vor allen Dingen die Bedeutung für das Volk in Kambodscha wollen wir jetzt mit Erich Follath reden. Er ist diplomatischer Korrespondent des "Spiegel", hat lange in Asien gelebt, auch in Kambodscha, und im vergangenen Jahr das Buch "Die Kinder der Killing Fields" veröffentlicht. Schönen guten Morgen, Herr Follath!

Erich Follath: Schönen guten Morgen!

Kassel: Wir haben da jetzt von zwei Kambodschanern ganz positive Reaktionen gehört. Das ist verständlich, aber insgesamt: Welche Bedeutung hat dieser eine Prozess und dieses eine Urteil für die Bevölkerung?

Follath: Ja, schon eine sehr große, weil es natürlich eine Aufarbeitung ist. Es ist, wenn Sie so wollen, Kambodschas Nürnberger Prozess, es ist der Versuch, jetzt endlich mal nach so vielen Jahren, nach über 30 Jahren, auch gerichtlich, juristisch etwas aufzuarbeiten, etwas zu beenden, etwas zu vergelten. Nur muss ich dazu sagen: Ich sehe das etwas skeptischer, ob das gelingt und wie das gelingen wird. Schon jetzt gibt es ja um dieses Urteil herum, in diesen Minuten, große Diskussion in Phnom Penh: Es gibt Menschen, die sagen, Moment mal, 40 Jahre hatte die Staatsanwaltschaft beantragt, das war schon relativ wenig, also jedenfalls kein lebenslanges Urteil, was das Gericht ja hätte aussprechen können. – Kein Todesurteil, das war verboten, das war vom internationalen Gericht, diesem Zwittergericht, zwischen kambodschanischen Recht und internationalen Recht untersagt; aber es wäre ja möglich gewesen, 40 Jahre wenigstens, wie die Staatsanwaltschaft gefordert hat. Nun wurden 35 daraus, von diesen 35 wird er vielleicht tatsächlich nur 18 absitzen müssen, wenn denn angerechnet wird, wie man jetzt hört, diese fünf Jahre Haft unter Militärdiktatur, also unter militärischen Um…, und dann noch wie lang er gesessen … Also 18 Jahre und ein paar Monate – wenn es denn so kommt. Er ist jetzt 67, andere sagen 68, wir rechnen das mal hoch, also er könnte schon noch mal in Freiheit entlassen werden. – Eine für viele der Opfer natürlich sehr schwer vorstellbare Entwicklung.

Das ist das eine; dieses Gericht hat sich jetzt diesen Leiter des Foltergefängnisses vorgeknöpft, das war der einfachste Fall, klar dokumentiert, es gab nie einen Zweifel, es gab letztlich auch ein Schuldeingeständnis von Duch. Aber wenn das es denn wäre an der internationalen Gerichtsbarkeit, wenn das die Aufarbeitung, die juristische, allein wäre, ich glaube, viele Kambodschaner wären zu Recht enttäuscht und würden diesen Prozess und das ganze Drumherum, den Internationalen Gerichtshof, eher als eine Farce als eine Befreiung finden.

Kassel: Wie ist es denn im kambodschanischen Alltag? Ich habe immer wieder Artikel gelesen, habe es auch selbst in dem Land gehört, dass man regelmäßig in Regionalverwaltungen gehen kann zu dem einen oder anderen Bürgermeister in kleineren Städten und trifft dort einen ehemaligen Angehörigen der Roten Khmer. Ist das wirklich immer noch so?

Follath: Ja, das ist in der Tat so. Man muss sich das so vorstellen, auch bei uns gab es ja die Globkes direkt nach der Niederlage oder nach dem Sieg der Alliierten und nach dem Beginn der Bundesrepublik. Es gab keine direkte Aufarbeitung der Verbrechen. Man muss sich das so vorstellen, dass die Kinder in Kambodscha in ihren Schulbüchern praktisch die Zeit der Roten Khmer ausgeblendet hatten, diese schrecklichen mehr als drei Jahre, die ja dazu führten, dass 1,7 Millionen, also fast ein Viertel der gesamten Bevölkerung ausgerottet wurde. Und der Leiter, es gibt da einen Chef des Dokumentationszentrums – es ist schon alles sehr gut dokumentiert, aber das sind meistens Leute, die fast außerhalb der Gesellschaft stehen, die von westlichen großen Instituten, Universitäten finanziert sind. Also dieser Chef des Dokumentationszentrums in Phnom Penh, der hat mir mal gesagt, Sie müssen sich das so vorstellen, als erführen deutsche Schüler nichts über die Nazis und den Holocaust. Nichts, nichts in den Schulbüchern.

Das beginnt, sich zu ändern. Der Prozess hatte insofern eine reinigende Wirkung, er wurde übertragen. Am Anfang haben die Leute noch sehr vorsichtig eher darauf reagiert, zugehört. Sie glaubten nicht daran, dass die Verbrechen wirklich richtig zur Sprache kämen. Dann, wie das Urteil heute, wurde das in allen Fernsehsendern, in allen Rundfunksendern übertragen. Es gibt schon etwas wie eine reinigende Wirkung. Die Frage ist nur: Beendet man das mit diesem ersten Fall, der ja, wenn Sie so wollen, ein doch relativ überschaubarer Fall ist. Der Leiter dieses furchtbaren Foltergefängnisses war ja keiner aus der absoluten ersten Garde der Täter.

Kassel: Nun ist aber doch auch die Frage, Sie sprechen das glaube ich jetzt gerade auch an mit dem, was Sie zum Schluss gesagt haben: Wie sehr können solche Prozesse auch ein Alibi sein? Denn man hat ja nun jemanden herausgegriffen – Sie haben es selber gesagt, die Beweislage war klar, er hat alles, was man ihm beweisen konnte, auch sofort zugegeben –, drei weitere Fälle werden vor Gericht landen, aber kann das nicht auch zu einer Alibigeschichte werden, indem man sagt, wir haben ja aufgearbeitet und jetzt muss mal Schluss sein?

Follath: Ja, das ist genau der Punkt. Also, ich glaube, die Regierung Hun Sen, der jetzige Premierminister, der ja schon sehr viele, also schon fast drei Jahrzehnte jetzt auch schon an der Macht ist …

Kassel: … und der doch selber am Anfang mal Roter Khmer war …

Follath: … ja, genau, der kam ja als ein kleiner, mittlerer Kader der Roten Khmer, ging dann auf die andere Seite zu den Vietnamesen, gehörte dann, wenn Sie so wollten, zu den Befreiern. Das ist schon in Ordnung. Nur unbestritten ist, dass er ja zu einer bestimmten Zeit auch ein mittlerer Khmer-Kader war. Und Sie haben in dieser Regierung heute noch einen Finanzminister, der für Pol Pot gedolmetscht hat. Sie haben andere hochrangige Leute, die zumindest eine sehr dubiose Vergangenheit haben. Also es ist keinesfalls so, dass die Elite, die kambodschanische Elite, Rote-Khmer-frei wäre, ganz im Gegenteil. Und daraus folgert nun wiederum, dass Hun Sen, der Premierminister, gesagt hat, ich werde auf keinen Fall aussagen, ich werde auch meinen Leuten aus den obersten Regierungsetagen verbieten, vor diesem Gerichtshof auszusagen.

Der ehemalige König Norodom Sihanouk, der einmal mit den Roten Khmer paktiert hat, dann wiederum von ihnen inhaftiert wurde und seine halbe Familie auch verloren hat, aber immerhin auch ein Teil dieses Machtzentrums war, hat sowieso gesagt, ich geh da nicht hin. Also, es ist nicht so, dass die Aufarbeitung durchgehend ist, sondern ein großer Teil der Elite entzieht sich dem. Und Hun Sen hat ja – deswegen dauerte es ja diese 30 Jahre, bis jetzt überhaupt irgendetwas passierte –, Hun Sen hat sich immer wieder gesperrt und sehr klare Bedingungen gestellt für dieses Tribunal, auf das dann in einem Kompromiss sozusagen die Internationale Gemeinschaft eingegangen ist. Sie bezahlt also nicht nur das Tribunal weitgehend, die Internationale Gemeinschaft, sondern sie hat sich auch darauf eingelassen, dass es also überall eine Doppelbesetzung gibt. Es gibt einen kambodschanischen Richter und einen internationalen Richter, und wenn die sich nicht einigen, dann ist es in einem komplizierten Verfahren eher so, dass die kambodschanische Seite das letzte Wort behält. Also, ich glaube, Hun Sen kann mit diesem Urteil sehr gut leben, die Regierung, er wird aber sehr auch darauf achten, dass die Aufarbeitung nicht zu breit …

Also es gibt, der Internationale Gerichtshof wollte jetzt schon wieder mehr als diese vier Leute irgendwie hinzuziehen, das hat er vorläufig verboten. Und man wird sehr genau sehen müssen, ob jetzt in der nächsten, im nächsten Stadium der Prozess gegen diese vier wirklich stattfindet. Da geht es wirklich um Leute aus der ersten Garde: Da ist Nuon Chea dabei – Ihr Korrespondent sagte es schon bereits –, das war die ehemalige Nummer zwei, eigentlich, wenn Sie so wollen, derjenige, der mit diese schrecklichen finalen Plan…, diese schrecklich Endlösung in Kambodscha herbeigeführt hat; dann der ehemalige Staatspräsident, das Aushängeschild der Roten Khmer; dann der ehemalige Außenminister, die Erziehungsministerin … Also das sind Leute aus der ersten Garde, die sind alle über 80 in der Zwischenzeit und alle zum Teil auch nicht mehr so richtig bei Gesundheit und die haben internationale Anwälte eben auch, die dieses so verzögern werden. Die Frage ist, wie spielt das alles zusammen? Also ich will dem Gericht nicht unterstellen, dass es nicht alles versucht, aber wann und wie werden die jetzt direkt und möglicherweise auch wegen Völkermordes vor Gericht kommen? Sie sind inhaftiert, die Verfahren sind abgeschlossen, in den nächsten Monaten wird man erfahren, ob Anklage erhoben wird, ich glaube das wird passieren. Ob diese Verfahren zu einem Ende geführt werden, der mit einer Verurteilung für diese vier Spitzenkader reicht, das wird man sehen. Und ohne das, glaube ich, wird diese Aufarbeitung höchst unvollständig bleiben.

Kassel: Vielen Dank! Erich Follath war das, "Spiegel"-Redakteur war das und Autor des Buches "Die Kinder der Killing Fields". Wir sprachen mit ihm über das allererste Urteil in einem Prozess gegen einen ehemaligen Angehörigen der Roten Khmer. Vor ungefähr drei Stunden ist es gefallen, offiziell 30 Jahre lang muss Kaing Guek Eav, auch bekannt unter seinem Kampfnamen Duch, für seine Verbrechen als Leiter des Foltergefängnisses S 21 in Phnom Penh ins Gefängnis.
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