Kairo

    Keine Spur von Hamed Abdel-Samad

    26.11.2013
    Der deutsch-ägyptische Politologe und Publizist Hamed Abdel-Samad wurde im Juni dieses Jahres von Islamisten für "vogelfrei" erklärt. Gestern wurde bekannt, dass der radikale Islamkritiker seit Sonntag in Kairo verschwunden ist. Weiterhin fehlt von Abdel-Samad jede Spur.
    Der deutsch-ägyptische Buchautor und Politologe Hamed Abdel-Samad bleibt weiterhin verschwunden, dies bestätigte eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes. Dessen Krisenstab und die deutsche Botschaft in Kairo seien alarmiert. Zudem würden Gespräche mit den ägyptischen Behörden geführt. Die ägyptische Polizei sucht nach Hamed Abdel-Samad und vermutet, dass er am Sonntagnachmittag in Kairo entführt worden sei. Im Juni hatte der 41-Jährige hier in einem öffentlichem Vortrag von "faschistoiden Strukturen in der Muslimbruderschaft“ gesprochen, die im Islam selber angelegt seien. Daraufhin wurde eine Fatwa über ihn ausgesprochen, "ein religiöses Gutachten, dass ihn de facto zu Freiwild gemacht hat“, so Korrespondent Hans-Michael Ehl.
    Er habe den Islam als von Menschen gemachte Religion bezeichnet und sei selbst vom Glauben abgefallen, so salafistische Prediger in einer ägyptischen Talkshow in Reaktion auf seine Rede. Sie riefen dort auch dazu auf, ihn zu töten. Dies führte dazu, dass er mehrere Morddrohungen bekam. Der Schluss läge nahe, dass das Verschwinden und diese Morddrohungen miteinander zu tun haben, so Hans-Michael Ehl weiter.
    In Deutschland ist Hamed Abdel-Samad für seine islamkritischen Analysen bekannt. Er war als Journalist während der Machtkämpfe in Ägypten gefragt. Im Wortwechsel in Deutschlandradio Kultur diskutierte er im Juni über die Entwicklungen in seinem Heimatland. Er erlebte die politischen Umwälzungen und den Höhepunkt der Proteste vor Ort und berichtete ausführlich darüber.
    Hamed Abdel-Samad sieht Islam nicht auf dem Vormarsch
    "Die islamische Welt hat ihr kulturelles und zivilisatorisches Konto überzogen und lebt sträflich über ihre Verhältnisse. Wäre der Islam eine Firma, dann wäre er längst pleitegegangen. Was der Islam nun braucht, ist eine geregelte Insolvenz, eine Inventur, durch die er sich endlich von vielen Bildern trennen muss: Gottesbilder, Gesellschaftsbilder, Frauenbilder, Vor- und Feindbilder."
    So äußerte sich Hamed Abdel-Samad in seinem Buch "Der Untergang der islamischen Welt – eine Prognose". Er ist ein konsequenter Kritiker des Islam, den er jedoch nicht auf dem Vormarsch sieht. Wir erlebten vielmehr "den Zerfall einer Religion, die keine konstruktiven Antworten bieten kann auf die Fragen des modernen Lebens." Abdel-Samad ist Sohn eines Imams, war mit 18 "ein glühender Islamist, der die USA und Israel verfluchte“, so beschrieb ihn Henryk M. Broder in seiner Rezension zum Buch. Nachdem er Ägypten verlassen hatte, um in Deutschland zu studieren, so Broder, sei er in kleinen Schritten "vom Glauben zum Wissen konvertiert."
    Hamed Abdel-Samads frühere Publikation "Mein Abschied vom Himmel“ ist ein autobiografischer Bericht über seine eigene Emanzipation – erzählt anhand der Geschichte eines in seiner Kindheit missbrauchten muslimischen Mannes. Darin spricht der Autor über die großen Tabuthemen der islamischen Welt – Religion, Sexualität und Gewalt – und sieht sich damit als Stellvertreter für eine ganze Generation junger Ägypter. "Eine wichtige Lektüre, die Einblick gibt in eine fremde und abgeschottete Welt (...). Der Autor besticht vor allem durch seine analytische Fähigkeit, in der er immer wieder der ägyptischen wie auch der deutschen Gesellschaft den Spiegel der Kritik vorhält", so Rezensent Abdul-Ahmad Rashid im Deutschlandradio Kultur.
    cwu mit dpa und epd
    Programmtipps:
    In der Sendung Fazit wurde gestern Abend über das Verschwinden von Hamed Abdel-Samad berichtet. Es ist auch Thema im heutigen Internationalen Pressegespräch um 12.50 Uhr. Zudem beschäftigt sich das Radiofeuilleton am Nachmittag mit dem Fall sowie die Ortszeit am morgigen Vormittag.
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