Kafka in Bildern

Von Volkhard App · 04.01.2011
Es ist Superman! Dabei ist der fliegende Held mit seinem blauen Wams und dem roten Umhang nur einer von vielen - neben Kollegen, die fledermausgleich durch die Nacht vagabundieren oder zwischen Wolkenkratzern ihre Netze spinnen. Um das junge Comicheft-Publikum mit Sensationen bei der Stange zu halten, wurde das Universum dieser Superhelden immer wieder umgewälzt: Da ging Batmans Heimat Gotham City mal eben durch Erdbeben zugrunde oder die Helden rissen sich die Masken herunter und lüften so ihre Identität. Und sie wechseln von Zeit zu Zeit die markanten Kostüme. Nicht einmal Hulk ist mehr auf seine Farbe Grün festgelegt.
Traditionsleser bekommen durchaus Orientierungsprobleme. Die besten Geschichten sind oft die alten, aber das junge Publikum will Novitäten und ständigen Wechsel - und möchte die Helden außerdem so erleben, wie es sie von der Leinwand her kennt.

Ungebrochen ist die Faszination der Manga, die vor 20 Jahren mit der Serie "Akira" erstmals auf dem deutschen Markt erschienen. Damals waren sie bei uns noch ganz normal von vorn nach hinten zu lesen. Immer weiter hat sich der Manga-Kosmos inzwischen verzweigt: mit Vampir-, Liebes- und Kriminalstories aus dem fernen Osten. Kai Schwarz ist in der Verlagsszene speziell mit Manga befasst:

"Die Art, wie die Autoren und Zeichner hier mit ihren Themen und ihrer Arbeit umgehen, hat eine Lockerheit und Verspieltheit in Wort und Bild, die man aus dem klassischen frankobelgischen Comic eher nicht so kennt. Comics können nach wie vor alles sein: schlichte Unterhaltungslektüre, aber sie können auch anspruchsvolle Inhalte transportieren."

Starke Bewegung gibt es derzeit auf dem Markt der anspruchsvolleren Geschichten: bei den Alben und buchdicken Ausgaben, in denen die Biografien rauer Musiker oder auratischer Politiker erzählt oder literarische Klassiker in Bilder verwandelt werden - von Kafka bis zu Saint-Exupéry.

Vor Kurzem ist ein Band hinzugekommen, der mit eher konventionellen Zeichnungen penibel das Leben von Anne Frank vor Augen führt - von der Geburt bis zum Versteck an der Prinsengracht. Michael Groenewald hat für den Hamburger Carlsen Verlag diesen Band lektoriert:

"Er richtet sich nicht explizit an Comicliebhaber oder -connaisseure, die erzählerisch und zeichnerisch aufregende Erfahrungen machen möchten. Dieses Buch sehe ich eher als Sachcomic. Es wurde vom Anne-Frank-Haus in Amsterdam in erster Linie für ein junges Publikum konzipiert. Man hat sich darüber Gedanken gemacht, wie man junge Leute erreichen kann - und sich dann für diese Form entschieden."

Graphic novels ist seit einiger Zeit das Zauberwort der Branche: großangelegte Geschichten, eigenwillig zu Papier gebracht. Aber dieser Begriff wird mittlerweile von den Verlagen auf inflationäre Weise verwendet.

Groenewald: "Nichtsdestoweniger halte ich ihn für hilfreich bei der täglichen Arbeit, bei dem Versuch, dem Publikum Comics nahezubringen. Denn dieses alte Stigma von Comics als lustig oder kindisch, das in dem Wort steckt, ist nach wie vor weit verbreitet, und wir machen die Erfahrung, dass sowohl Medien wie Handel als auch Kunden sich viel eher an einen solchen Stoff herantrauen, wenn er anders benannt wird."

Groß ist inzwischen die Bandbreite dieser graphic novels. So vertieft sich Isabel Kreitz mit atmosphärisch dichten Zeichnungen in das Hannover der frühen 20er-Jahre, wo Mörder Haarmann mit dem Hackebeil sein Unwesen treibt, von der Polizei als Spitzel beschäftigt wird und die Nachbarn in karger Zeit mit billigem Fleisch und gebrauchter Kleidung versorgt. Reinhard Kleist wiederum verfolgt mit kräftigen Linien den Weg Fidel Castros zur Revolution. Der Kommandant liegt im Dschungel in einer Hängematte und gibt einem deutschen Reporter ein Interview über seine Pläne. Geballte Zeitgeschichte in Comicbüchern.

Ein weiterer Trend hat sich auf dem hiesigen Comicmarkt noch verstärkt: der zu ganzen Werkausgaben. Ob "Onkel Dagobert" im klassischen Outfit von Carl Barks, übersetzt von Erika Fuchs, oder zum wiederholten Male "Asterix", nun aber auf größeren Seiten, wunderschön coloriert und mit neu placierter Schrift.

Auch der Cowboy Lucky Luke, der bekanntlich schneller zieht als sein Schatten, hat es schon auf etliche großformatige Bücher gebracht.

Diese aus Frankreich und Belgien stammenden Klassiker werden von Egmont Ehapa in Köln neu herausgebracht - auch der Detektiv Jeff Jordan und die "Minimenschen" gehören dazu. Und aus den 50er-Jahren galoppiert jetzt der Cowboy Jerry Spring in unsere Gegenwart und legt gleich in seinem ersten Abenteuer an der mexikanischen Grenze Vieh- und Landräubern das Handwerk.

Umfangreiche Werkausgaben haben den Vorteil, dass Liebhaber die Entwicklung einer Serie genau verfolgen können.

Mit diesen Editionen besinnt sich die Branche auf frühere Zeiten des Mediums. Ein Stück Traditionspflege, mit dem man auch wichtige Vertriebswege sichern und das Interesse des Buchhandels an dem Medium beleben will. Publizist und Kleinverleger Eckart Sackmann:

"Comics sind nur ein Segment unter vielen und werden schnell von Computer- oder Kochbuchecken verdrängt. Die Comicabteilung, soweit es sie in traditionellen Buchhandlungen noch gibt, ist vielfach verschmolzen mit dem Cartoon- und Geschenkartikelbereich."

Die Verlagskapitäne und Marketingstrategen legen den Kurs ihrer Programme fest, Kritiker loben und verwerfen - die Erfahrungen beim täglichen Verkauf aber sind womöglich noch ganz anders. Deshalb in einer gut sortierten Comic-Spezialbuchhandlung nachgefragt, wer Comics liest, was zurzeit tatsächlich verlangt wird - und bei welchen Titeln es Enttäuschungen gibt:

""Wirklich gefragt sind bei den jüngeren Lesern sicherlich Manga - bei den Mädchen romantische Geschichten und bei den Jungen Action-Abenteuer. Und die Erwachsenen interessieren sich für schön aufgemachte Publikationen, für Fantasy-Alben oder abgeschlossene Geschichten in einem Band - graphic novels"."
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