Kabuls kulturelle Kostbarkeiten

Omar Khan Massoudi im Gespräch mit Susanne Führer · 10.06.2010
Die Bundeskunsthalle Bonn präsentiert derzeit Schätze aus dem afghanischen Nationalmuseum in Kabul. Dessen Direktor, Omar Khan Massoudi, erklärt, wie die Kulturgüter den Bürgerkrieg und das Taliban-Regime überstanden haben. Seitdem das Museum 2004 wiedereröffnet wurde, ist es bei afghanischen und ausländischen Besuchern sehr beliebt, sagt Massoudi.
Susanne Führer: Morgen eröffnet in der Bundeskunsthalle Bonn eine spektakuläre Ausstellung. "Afghanistan. Gerettete Schätze. Die Sammlung des Nationalmuseums in Kabul" heißt sie. Gezeigt wird der legendäre Nationalschatz Afghanistans, Jahrtausende alte Kunstwerke aus Gold, Silber und Elfenbein, die erstaunlicherweise jahrzehntelang Bürgerkrieg und Talibanherrschaft überlebt haben.

Aus Anlass dieser Ausstellung ist der Direktor des Nationalmuseums in Kabul, Omar Khan Massoudi, zurzeit in Bonn. Ich habe kurz vor der Sendung mit ihm gesprochen und ihn gefragt, wie es kommt, dass diese Schätze überhaupt erhalten sind. Das grenzt doch, bedenkt man die schmerzhafte Geschichte des Landes, an ein Wunder.

Omar Khan Massoudi: Nun ja, ich will Ihnen das gern erklären, wie es dazu kam, dass diese Artefakte überleben konnten und erhalten werden konnten. Wie Sie wissen, war das natürlich in den schwierigen Zeiten, vor allen Dingen zur Zeit des Bürgerkriegs, nicht so leicht. Wir müssen ein bisschen zurückgehen. 1987, als die Sowjetunion auf Afghanistan abzog, haben natürlich die Leute des Museums, auch die Verantwortlichen des Museums, schon ein bisschen vorausgesehen, was da kommen könnte. Es war schon so, dass die kommunistische Partei Afghanistans mit jedem Tag schwächer wurde, und es war schon vorauszusehen, dass die Mudschaheddin eines Tages die Macht übernehmen würden.

Da dieses Museum etwa zwölf Kilometer außerhalb von Kabul sich befindet, außerhalb des Zentrums, haben wir dann vom Museum und der damalige Museumsdirektor einen Antrag beim Informations- und Kulturministerium gestellt, dass diese Kunstschätze in das Zentrum der Stadt verlagert werden könnten. Und der damalige Präsident, Nadschibullah, war damit auch einverstanden, sodass wir in der Lage waren, dann einige ganz einmalige Kulturgüter auch mit Wissen der damaligen Regierung ins Zentrum von Kabul zu verlegen.

Ja, und dann haben sich einige Leute eben zusammengesetzt, um diese Stücke, diese sehr kostbaren Stücke ins Stadtzentrum zu verlagern. Wir haben noch einmal Kontakt aufgenommen mit dem Präsidenten selber, und es wurden gewisse Orte auserkoren, wo das versteckt werden sollte – beispielsweise der Präsidentenpalast, und das waren dann schon auch sehr, sehr sichere Orte. Und das geschah, wie gesagt, alles mit Einverständnis der damaligen Regierung, und es wurde eine Art Komitee zusammengestellt, eine Delegation bestehend aus Archäologen und aus Leuten des Nationalmuseums. Und dieses Komitee, diese Delegation, beschloss dann ganz genau, welche Stücke als Erstes sozusagen in Sicherheit gebracht werden müssen.

Ganz, ganz wichtig waren eben diese goldenen Stücke aus Baktrien, das war unglaublich wichtig. Das war ja etwas, was sowjetische und afghanische Archäologen 1978 und 1979 noch einmal besonders bearbeitet hatten. Ja, und die haben dann eine ausführliche Liste der wichtigsten Kulturgüter eben erstellt und haben sie an zwei verschiedenen Orten deponiert.

Die Idee, die dahinterstand, war natürlich, dass wenn an dem einen Ort etwas zerstört wird, dass man natürlich immer noch an dem zweiten Ort etwas haben kann. Und ich muss sagen, diese sehr weise Entscheidung damals hat auch sehr, sehr gute Resultate gezeigt. Es gelang uns dann wirklich, diese sehr wichtigen Kulturgüter auch zu retten. Natürlich war es aber schon so, dass die meisten Artefakte natürlich noch im Nationalmuseum verblieben sind, das sich, wie gesagt, außerhalb von Kabul befindet.

Führer: Herr Massoudi, aber das war ja für Sie und auch Ihre Mitarbeiter eigentlich lebensgefährlich, diese Güter zu verstecken vor den Taliban und auch vor den Dieben, die die wahrscheinlich liebend gern für viel Geld verkauft hätten. Offenbar hat ja keiner etwas verraten, da sind Sie sicher auch ein bisschen stolz drauf, oder?

Massoudi: Nun ja, es war unser Job sozusagen, es war unsere Aufgabe, diese Kulturgüter zu retten. Und vor allen Dingen, als der Bürgerkrieg dann richtig ausgebrochen ist in der Stadt von Kabul zwischen 1992 und 1995 und es schon so war, dass das Museum, was sich, wie gesagt, westlich von Kabul befindet, auch geplündert worden ist und unter Raketenbeschuss geriet.

Zum Beispiel wurde die zweite Etage dieses Museums komplett zerstört und auch sehr viele Artefakte gingen in dieser Zeit verloren, aber die wichtigsten Stücke, diese wichtigsten Stücke aus Baktrien, die hatten wir gerettet, die waren sozusagen bereits im Stadtzentrum sicher deponiert worden.

Dann gab es damals Gerüchte, dass kurz bevor die kommunistische Partei Afghanistans ihre Macht verlor, Teile dieses Schatzes von Baktrien nach Moskau gelangt seien. Wir haben diese Gerüchte damals aber nicht dementiert, wir haben nicht gesagt, ob es da Plünderungen gegeben hat oder ob da Kunstwerke in irgendeiner Form illegal verschleppt worden waren.

Und als dann später andere Artefakte aus Afghanistan auf dem Schwarzmarkt landeten, streckenweise auch bei Kunstsammlern landeten, auch da haben wir eigentlich niemals bestätigt oder dementiert, ob das sich um Stücke aus unseren Schätzen handelte. So war es aber schon so, dass wir ganz genau wussten, wo diese wichtigsten Stücke aus dem Schatz von Baktrien waren, und wir selber, meine Mitarbeiter und ich, haben aber nichts gesagt, wir haben das wirklich heimlich alles getan.

Führer: Herr Massoudi, Sie haben gerade davon gesprochen, dass Teile auf dem Schwarzmarkt aufgetaucht sind. Haben Sie eigentlich Kunstwerke, die gestohlen worden sind und dann eben versucht worden sind, sie zu verkaufen, eben auf dem schwarzen Markt, haben Sie davon welche zurückerhalten?

Massoudi: Ja, es ist uns schon gelungen, einige Stücke wieder zurückzubekommen. Wie gesagt, zwischen 1992 und 1994 sind 70 Prozent der Artefakte, die sich damals im Nationalmuseum befanden, geplündert worden. Wir haben angefangen, wir bekamen einen Auftrag der Zentralregierung, genau ein Inventar zu führen über alle Stücke, die noch übrig geblieben sind. Das hat fünf Jahre gedauert, und dabei haben wir festgestellt, 70 Prozent aller Artefakte waren geplündert worden und 30 Prozent waren übrig geblieben.

Die Lage verschärfte sich dann noch, als die Taliban die Macht übernahmen und anfingen, noch weitere 2000 Stücke Kulturgüter zu zerstören, die eben menschliche Darstellungen oder Statuen darstellten. Das hat die Lage noch mal zusätzlich dann für uns verschärft.

Aber nachdem das Talibanregime gestürzt worden war, hat die neue Regierung sich sofort an die UNESCO gewandt, und mithilfe der UNESCO sind dann viele gestohlene Stücke, die auch streckenweise in illegalen Ausstellungen deponiert waren, doch wieder nach Afghanistan zurückgekommen.

Also es ist schon so, dass insgesamt 8500 Artefakte wieder zurück nach Afghanistan gekommen sind, aus ganz verschiedensten europäischen Ländern wie beispielsweise Dänemark, Norwegen, Großbritannien, aber zum Beispiel auch aus den USA. Und ich bin ganz optimistisch, dass mithilfe der UNESCO und auch mit der Hilfe von Interpol es uns noch gelingen wird, weitere Kulturgüter zurückerhalten.

Führer: Omar Khan Massoudi, Direktor des Nationalmuseums Kabul, im Gespräch im Deutschlandradio Kultur. Herr Massoudi, wenn jetzt diese großartige Ausstellung in Bonn beendet ist, gehen die Schätze dann zurück in Ihr Museum nach Kabul?

Massoudi: Nun, wir haben einige Anfragen bekommen aus anderen Ländern, und ich bin auch ganz sicher, dass unser Ministerium dem stattgeben wird. Die Länder, aus denen Anfragen beispielsweise gekommen sind, wo diese internationale Ausstellung hingehen könnte, das sind Dänemark, das sind die Schweiz, Österreich, aber auch Russland, Japan und Südkorea, und es werden vielleicht auch noch andere Länder folgen.

Und das ist ja auch die Aufgabe von Museen, kulturellen Austausch zu pflegen, Ausstellungen im Ausland zu organisieren, aber natürlich, wenn diese große Wanderausstellung dann einmal beendet sein wird, kommen all diese Stücke wieder zurück nach Kabul, zurück nach Afghanistan und werden dort auch der afghanischen Bevölkerung dann zugänglich gemacht.

Führer: Das führt mich zu der Frage, was denn zurzeit im Nationalmuseum in Kabul zu sehen ist. Also ist denn das Museum jetzt wieder voll arbeitsfähig?

Massoudi: Ja, seit 2004, seit September 2004 ist dieses Museum wieder eröffnet worden. Es ist ein Jahr lang wiederaufgebaut worden, nachdem es zerstört war, und es ist jeden Tag geöffnet, auch am Freitag. Sehr viele unserer Ausstellungen sind wieder komplett, 80 Prozent, würde ich sagen, sind wieder komplett, und ich bin auch sehr stolz darauf, dass es auch eine große internationale Anerkennung wieder für unser Nationalmuseum gibt, dass sie auch unsere internationale Position wieder errungen haben und eben auch sehr, sehr viele ausländische Gäste täglich zu uns ins Museum kommen.

Führer: Herr Massoudi, Sie haben gesagt, Ihr Museum ist täglich geöffnet. Wie wird denn das vom Publikum angenommen? Gehen die Afghanen gerne in Ihr Museum?

Massoudi: Ja, wir haben wirklich viele Besucher, vor allen Dingen sehr viel junge Menschen, sehr viele Schulklassen, aber auch Studenten, vor allen Dingen aus der jungen Generation. Aber wie ich auch schon bereits gesagt hatte, wir haben auch sehr viele ausländische Gäste, und wir sind sehr froh darüber, dass wir unsere Besucherzahlen praktisch von Jahr zu Jahr steigern konnten. Das ist etwas, was uns sehr freut. Ja, wir haben genug Besucher.

Führer: Lagern denn in Ihren Depots, Herr Massoudi, noch Kunstwerke, die von den Taliban zerstört wurden und die Sie vielleicht wieder restaurieren können? Sie haben gesagt, das Museum wurde restauriert, was ist mit den fehlenden Kunstschätzen?

Massoudi: Ja, wie ich Ihnen bereits vorhin erzählte, sind 2001 bei den Plünderungen durch die Taliban eben über 2500 Artefakte zerstört worden, und es ist uns aber gelungen, bisher schon wieder 360 zu restaurieren. Also wir haben Experten am Werk, die versuchen zu reparieren, was möglich ist, und das machen wir schon seit 2003. Und auch diese riesigen Buddhastatuen, die von den Taliban zerstört worden sind, es ist ein klares Ziel des Informations- und Kulturministeriums, dass auch die wieder restauriert werden. Und es gibt Experten, die sozusagen in der Gegend sind und sich damit beschäftigen.

Führer: Mr. Massoudi, I thank you very much for your time and your patience ...

Massoudi: Thank you!

Führer: ... and I wish you big success with the new exhibition here in Bonn.

Massoudi: Thank you very much! Ja, vielen Dank, ich hoffe, dass diese Ausstellung hier in Bonn ein großer Erfolg wird und dass die Deutschen noch ein bisschen unsere Geschichte kennenlernen, das kennenlernen, was bei uns vor langer, langer Zeit eben auch kulturell geschehen ist. Thank you!

Service:
Die Ausstellung "Afghanistan. Gerettete Schätze - Die Sammlung des Nationalmuseums in Kabul" ist vom 11. Juni bis 3. Oktober 2010 in der Bundeskunsthalle in Bonn zu sehen.
Die gesprengten Bamiyan Buddhastatuen in Afghanistan
Die gesprengten Bamiyan Buddhastatuen in Afghanistan. Omar Khan Massoudi ist zurversichtlich, dass diese restauriert werden können.© AP Archiv