Kabarettist Martin Buchholz

"Wir sind Narren um Christi willen"

Der Kabarettist und Hüsch-Biograf Martin Buchholz vor einer Herbstlandschaft
Der Kabarettist und Hüsch-Biograf Martin Buchholz © Sergej Falk
Martin Buchholz im Gespräch mit Philipp Gessler · 07.02.2016
Martin Buchholz ist Kabarettist - und Theologe. Die Tradition der heiligen Narren sei verwurzelt im Christentum, so Buchholz. Den Glauben teilt er mit seinem großen Vorbild Hanns Dieter Hüsch. Der habe das Leben leicht genommen, wobei ihm auch sein Glaube geholfen habe.
Philipp Gessler: Hanns Dieter Hüsch, der große Kabarettist vom Niederrhein, ist 2005 gestorben und viele vermissen ihn noch heute sehr. Der Kabarettist, Journalist und Autor Martin Buchholz – es gibt übrigens zwei Kabarettisten gleichen Namens, was ja auch irgendwie tragisch und witzig zugleich ist –, also Martin Buchholz hat ein Buch über Hüsch geschrieben. Er war ein Freund von ihm. Buchholz ist Theologe und genau der richtige Gesprächspartner für die Frage, ob das überhaupt zusammen geht: Religion und Humor. Wenn man sich das Neue Testament durchliest, hat man nicht den Eindruck, dass Jesus Humor hatte. Meine erste Frage an Buchholz war, ob das nun an der Überlieferung durch die Evangelisten liegen könnte, dass sie Humor für den Messias vielleicht etwas unschicklich empfunden haben mögen!
Martin Buchholz: Na ja, ich würde jetzt mal sagen: Jesus hat zwar nicht unbedingt Witze erzählt, die zum Brüllen sind, aber manche Geschichten finde ich doch sehr lustig, die er erzählt.
Gessler: Ja? Sagen Sie doch mal ein Beispiel!
Buchholz: Ja, also, wenn er sagt, eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr als dass ein Reicher in das Reich der Himmel kommt, dann ist das schon eine sarkastische, lustige Bemerkung, wenn Sie sich das mal lebhaft vorstellen möchten!
Gessler: Ja, aber so ein richtiger Schenkelklopfer ist das ja nicht, oder?
Buchholz: Nö, Karneval gab es ja auch noch nicht!
Gessler: Okay! Trotzdem, also, Religion, gerade das Christentum und wahrscheinlich auch der Islam kommen häufig ja etwas humorlos daher, würde ich sagen. Vertragen sich denn Humor und Religion nicht richtig?
Buchholz: Ich finde schon, dass Religion und Humor sich wunderbar vertragen. Vielleicht haben ganz viele Menschen einfach das innere Bedürfnis, wenn sie religiös sind, dass sie meinen, sie müssten Gott vor Spott verteidigen. Und dann gibt es ja auch so Verse in der Bibel, da heißt es dann: Irret euch nicht, Gott lässt sich nicht spotten! Das empfinden dann viele immer als Drohung; ich würde sagen: Nö, ist eine Tatsache! Wie sollen wir denn Gott verspotten? Also, Gott spottet der Menschen, aber Menschen, die den Schöpfer des Universums verspotten wollen, die müssen sich aber weit aus dem Fenster lehnen! Ich weiß gar nicht, wie das funktionieren soll!
Außerdem würde ich sagen, das Lachen und die Religion vertragen sich wunderbar! Es gibt ja diese alte Praxis in der orthodoxen Kirche, dass zu Ostern, am Ostermorgen die Patriarchen mit ihren langen Bärten das Ostergelächter anstimmen. Die können echt auf Knopfdruck lachen dann! Und dieses Lachen kommt durchaus von Herzen, denn der Tod wird ausgelacht! Das Christentum vertritt ja die Ansicht, dass unser Leben nicht mit dem Tod vorbei ist, sondern dass wir vom Tod ins Leben gehen. Also, die Reihenfolge wird auf den Kopf gestellt. Und wenn der Tod nicht mehr das letzte Wort hat, das ist doch ein wunderbarer Grund, herzhaft zu lachen!
Gessler: Andererseits kann man natürlich sagen, okay, es gibt komische Fundamentalisten etwa beim Islam, die bringen andere Leute um, weil angeblich der Prophet lustig gemacht wird.
Buchholz: Ja. Ja, ist schrecklich!
Gessler: Aber da kann man immer sagen, die haben den Islam nicht verstanden?
"Gott spottet der Menschen und nicht umgekehrt"
Buchholz: Also, ich bin evangelischer Theologe und bin da immer so ein bisschen vorsichtig, da müssten Sie jetzt mit meinen islamischen Kollegen – ich will mich gar nicht drücken –, aber mit meinen islamischen Kollegen reden, wie es mit Humor und Islam steht. Da kann ich Ihnen nur persönlich sagen, ich habe viele muslimische Freunde, die durchaus auch Scherze über ihre Religion machen können und deswegen nicht weniger fromm sind. Wieweit das theologisch reflektiert ist im Islam, dazu kann ich nichts sagen. Aber im Christentum ist es so, wir sind Narren um Christi willen, hat ja Paulus schon gesagt. Und die Tradition der heiligen Narren ist ja eine ganz alte im Christentum. Und das waren durchaus lustige Gesellen.
Gessler: Jetzt ist ja in "Der Name der Rose" von Umberto Eco eine besondere Situation beschrieben: Der Mörder, der Bibliothekar Jorge findet das Lachen für die Religion so gefährlich, dass er ein fiktives Buch von Aristoteles mit Gift verseucht, damit die, die es lesen, sterben. Und die Begründung von Jorge ist: Das Lachen untergräbt die Autorität Gottes. Ist das wirklich mittelalterliches Denken?
Buchholz: Also, ich glaube, dass der Mann irrt. Wenn das Lachen etwas untergräbt, dann die Autorität der Kirche, das ist ein Unterschied. Ich glaube nicht, dass Lachen Gottes Autorität beschädigen kann. Gott spottet der Menschen und nicht umgekehrt! Aber Autoritäten auszulachen, das ist für Machthaber immer sehr gefährlich. Dann nimmt man die ja nicht mehr ganz so ernst! Also, sie erleiden einen Autoritätsverlust! Und das war für die mittelalterliche Kirche mit Sicherheit ein großes Problem!
Gessler: Also, Sie würden schon sagen, man kann und soll über Gott lachen?
Buchholz: Ich glaube, dass es Gott nicht stört. Das kann Gott prima ab. Da gibt es dann Scherze mit mehr oder weniger Niveau, aber insgesamt ist ja die Frage, worum es bei Humor und Religion überhaupt geht. Also, was meinen wir eigentlich? Reden wir jetzt von Schenkelklopfen und Witzen oder reden wir von Humor? Und Humor betrachte ich als etwas, was ich auch als religiöser Mensch für extrem wichtig halte, weil es darum geht, sich selber leicht zu nehmen und zu sich selber in Distanz treten zu können. Das können Fundamentalisten ja ganz schlecht, die nehmen ja sich selber ganz, ganz furchtbar ernst, und zwar so, dass sie alles, was anders glaubt und denkt, aus dem Weg räumen möchten.
Und ich glaube, dass Humor etwas mit der Leichtigkeit des Seins zu tun, hat, die man im Glauben durchaus finden kann. Es gibt ja den berühmten Roman von Milan Kundera, "Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins"; mein großes Vorbild, der literarische Kabarettist Hanns Dieter Hüsch ist ein Mann gewesen, bei dem entdecke ich die erträgliche Leichtigkeit des Seins. Und erträglich wird sie durch Humor, sich selber leicht nehmen zu können, in Distanz zur Welt treten zu können und zu sagen: Freunde, nehmt den ganzen Schnickschnack nicht so ernst, wir kommen und wir gehen, wir nehmen vieles so furchtbar wichtig und uns selbst so furchtbar wichtig, aber im Angesicht der Ewigkeit sind das doch kleine Witze!
Gessler: Sie waren auch ein Freund von Hanns Dieter Hüsch, Sie sind sein Interpret und waren sein Biograf. Vor elf Jahren ist er gestorben. Wie kaum ein zweiter Kabarettist hat er ja – das haben Sie angedeutet – es irgendwie vermocht, Frömmigkeit und kabarettistisches Können zu verbinden. Das war doch damals ziemlich außergewöhnlich zu seiner Zeit, oder?
Buchholz: Damals, also, die Zeit von Hanns Dieter Hüsch ist ja mehr als ein halbes Jahrhundert gewesen. Also, der hat ja Ende der 1940er-Jahre angefangen und hat das Ganze dann ja tapfer durchgezogen und knappe 60 Jahre fast auf der Bühne zugebracht. Nicht ganz, aber … Kommt also darauf an, über welche Zeit wir reden. Und ich würde sagen, in den späten 80er-Jahren, da hat Hanns Dieter Hüsch den Weg zurück in die Kirche gefunden. Er war so ein ganz normaler Kulturprotestant, aber der Tod seiner ersten Frau, Marianne, der hat ihn sehr beschäftigt. Und da haben ihm viele Leute aus der Kirche sehr zur Seite gestanden und so hat Hüsch angefangen, da alte Traditionen für sich ganz neu zu entdecken.
Gessler: Das, worauf ich anspiele, ist eher die Zeit in den 70er-Jahren, wo, sagen wir mal, ein linker Mainstream unter den Kabarettisten doch sehr stark war. Und dort wurde er ja zum Teil vom Publikum wirklich schlecht behandelt, die mehr Politik haben wollten und auch eine klare, irgendwie linke Aussage. Und damit hat er ihnen nicht gedient!
Buchholz: Nein, Hüsch war immer so ein unregelmäßiges Verbum, er hat sich sehr, sehr ungern vereinnahmen lassen. Tagespolitik hat ihn auch nie besonders interessiert, Hüsch wollte immer lieber über das Leben nachdenken, und zwar mehr in der Tiefe. Durchaus Augen zwinkern und mit sehr, sehr viel Humor, manchmal mit beißender Ironie auch, aber bitte über das Leben und nicht über die Tagespolitik, das war ihm zu langweilig. Und das ist dann doch seinen linken Freunden ziemlich aufgestoßen. Wolfgang Neuss hat mal über Hüsch gesagt, er müsste eigentlich Plüsch statt Hüsch heißen …
Gessler: Das ist vernichtend, oder?
Hüsch hat den lieben Gott in Dinslaken im Stehcafé getroffen
Buchholz: Ja, weil er ihn zu harmlos fand. Da würde ich mal sagen … Also, man kann über Hüsch vieles sagen, aber wenn man ihm wirklich zuhört: Harmlos ist das nicht, wie er über Leben und Tod und verletzte Liebe und das Leben redet. Ich fand das überhaupt nicht harmlos, mich hat das sehr beeindruckt und verändert.
Gessler: Kann man eigentlich von einer Theologie von Hanns Dieter Hüsch reden? Und wie sähe die denn eigentlich aus?
Buchholz: Hüsch hat immer sehr betont, dass er das alles, was er theologisch und an christlichen Inhalten von sich gibt, doch bitte als reiner Privatmann erzählt. Und hat nie Theologie studiert und hat sich sehr viel Gedanken gemacht aber über den Glauben, und hat ja dann auch den lieben Gott in Dinslaken im Stehcafé getroffen und einen Espresso mit ihm getrunken. Also, diese heiter-närrischen Geschichten über den Glauben, das war immer seine Spezialität. Und er hat auch gerne diese Maske des Privatmanns theologisch behalten.
Er ist aber ein Sprachmusikant gewesen, der etwas konnte, was vielen Theologen nicht gelingt: Hüsch konnte das Schwere leicht sagen. Es gibt auch einen Band mit theologischen Texten von ihm, der heißt auch so, "Das Schwere leicht gesagt". Und also, wenn Sie seine Theologie wissen wollen, reicht schon ein Vierzeiler: "Was macht, dass ich so unbeschwert und mich kein Trübsal hält? Weil mich mein Gott das Lachen lehrt wohl über alle Welt." Das ist ganz typisch Hanns Dieter Hüsch, das sind Zeilen von ihm, aus einem kleinen Psalm, den er geschrieben hat. Und da höre ich ganz viel Hüsch.
Gessler: Es scheint ja fast so zu sein, dass Hüsch, sagen wir mal, in der größeren Bevölkerung fast vergessen ist. Und die Kirche nimmt ihn immer mehr in die Arme und zitiert ihn immer mehr. Läuft so ein bisschen gegenläufig, oder?
Buchholz: Ja, Hüsch ist in der Popularität nie mit Loriot oder anderen zu vergleichen gewesen oder mit Dieter Hildebrandt, der viel öfter im Fernsehen war. Unter Freunden des Kabaretts wird Hüsch immer ein Heiliger bleiben, weil es niemanden anders gab, der eine solche Sprachmusik hatte und dabei auch so eine Gabe, die kleinen Dinge des Lebens in den Blick zu nehmen. Also, ich würde sagen, er war durchaus ein Küchenphilosoph, also einer, bei dem man das Gefühl hat, der hat bei uns zu Hause in der Küche gesessen. Herr Hüsch, woher wissen Sie denn das alles? Hat sehr viel diese "Kennen Sie das auch"-Geschichten erzählt.
Und Hüsch hat auch mal gesagt, Kunst muss helfen. Das ist ein sehr gewagter Satz, da kann man lange drüber reden, aber er hat gesagt, er möchte gerne Kabarett machen, das schon hilft, den Alltag zu erleichtern. Da ist wieder das Wort von der Leichtigkeit. Nehmt die Dinge nicht zu ernst! Das mag sich erst mal banal anhören, aber das war durchaus seine Botschaft, dass er sagte: Übertreibt es nicht damit, wie wichtig ihr euch selber nehmt, wie wichtig ihr das nehmt, was euch gerade beschäftigt. Wir sind Pusteblumen in überflüssiger Landschaft, wir kommen und wir gehen, das kann uns verzweifeln lassen oder es kann uns heiter und in unserer Existenz leichter machen! Und Hüsch hat sich, glaube ich, sehr bewusst für Letzteres entschieden und da hat ihm auch sein Glaube geholfen.
Gessler: Er hat ja mal diesen interessanten Spruch gemacht, dass im Grunde sein Kabarett viel um die Frage kreist: Wie kann ich vermitteln, dass wir im Grunde alle sterblich sind? Und darum sind viele Themen, die er da anspricht, im Grunde auch so zu deuten. Jetzt stelle ich mir die Frage: Ist er denn eigentlich auch genau mit dieser Zuversicht in den Tod gegangen?
Buchholz: Ich war nicht dabei. Ich habe ihn noch einmal privat besucht, da war er schon sehr krank, und das wird auch Privatsache bleiben. Darüber werde ich öffentlich nicht sprechen. Ich glaube schon, dass für Hanns Dieter Hüsch diese Hoffnung über den Tod hinaus eine sehr reale war. Also, er hat diese Frömmigkeit wirklich auch gelebt für sich und war mit dem, wie er immer sagte, lieben Gott per Du, obwohl er gesagt hat, ja gut, ich habe auch meine Momente, wo ich zweifle! Aber dann hat er mir erzählt, gut, aber das habe ich ja auch mit dem lieben Gott in Dinslaken besprochen und er hat gesagt, du darfst auch gerne mal zweifeln, ich benehme ich mich ja auch nicht immer so, dass alle Menschen an mich glauben können!
Gessler: Mehr zu Martin Buchholz finden Sie auf seiner Homepage.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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