Kabarett

Der Auskotzer der Nation

Der fränkische Kabarettist Matthias Egersdörfer am Rande einer Vorstellung in Nürnberg
Der fränkische Kabarettist Matthias Egersdörfer am Rande einer Vorstellung in Nürnberg © picture alliance / dpa - Daniel Karmann
Von Brigitte Neumann · 09.09.2014
Frei von der Leber weg. So gibt sich der fränkische Kabarettist Matthias Egersdörfer auf der Bühne, der sich gern als deutscher Miesepeter inszeniert. Doch dabei will er vom Publikum nichts anderes, als dass es sich in ihm wiedererkennt.
"Ich freu mich, dass Sie 'kommen sind. Wirklich. Des erleichtert des Ganze!"
… begrüßt Matthias Egersdörfer sein Publikum im Saal einer Stuttgarter Kleinkunstbühne. Ein runder Mann steht da an der Rampe, Ende vierzig, in einem etwas zu engen braunen Anzug - mächtiger Backenbart, die Mundwinkel nach unten gezogen, angriffslustiger Blick. Er freut sich, dass da Leute vor ihm sitzen, sonst müsste er das „vom Ding her“ ja mit sich alleine abmachen. Und das könnte schief gehen.
"Wenn die Nachbarin des mitkriegt, sagt, Mensch der Egersdörfer schreit schon seit zwei Stunden in seiner Küchen rum. Und des Schlimme is, da is kaner daham. Die Frau ist fort. I hab gesehen, wie die aus der Haustür eraus ist. Da ruft die an bei der Polizei und da wird i abgeholt."
Egersdörfers fränkische Mundart bringt einen erst mal auf die falsche Spur. Man denkt an Mutterwitz und Gemütlichkeit. Dabei ist sie nur so etwas wie die Basslinie für den amoklaufenden Oberton:
"Horchema, was ist denn mit dem Kaffee los?"
So fängts an: Ein Morgen wie jeder andere im Leben von Matthias Egersdörfer und dann das: Der italienische Espresso schmeckt wie Gift. Jetzt zeigt der Kabarettist, wie die Welt seiner Bühnenfigur, des Hypochonders Matthias Egersdörfer, binnen Sekunden auseinanderfällt. Denn was soll dieser Espresso anderes sein als ein Anschlag auf Leib und Leben …
"Da sind plötzlich vor meinem inneren Auge so Bilder aufgetaucht. Von Italien, wo am Straßenrand der Hausmüll rumsteht. Das kennemer ja ausm Fernsehen, wie der Scheißdreck bei dene rumsteht. Da hat einer die Müllabfuhr net bestoche und da ham die gesagt, weißt wos, könnt uns mal den Buckel runterrutschen. Da hat einer von dene Italiener gesagt, und … was machemer jetzt mit dem Dreck? Und da hat ein anderer gesagt: Weißt wos? Des häkseln mir zsamm."
"Die doofen Deutschen trinken das schon."
Zwischen Gebrüll und Wahn
Egersdörfer, mit vielen großen Kleinkunstpreisen ausgezeichnet, gibt auf der Bühne den außer Rand und Band geratenen Wutbürger. Und doch schimmert, wenn sich sein Zorn einmal mehr an einer banalen Alltagsszene entzündet hat, hinter dem wilden Gebrüll immer auch etwas anderes durch: Angst, Haltlosigkeit, Wahn. Ein gefährliches Gebräu, das leicht überkocht…
"Des war eigentlich meine gesamte Kindheit und Jugend: Wenn man mal a bissel an die Weiber ranwollte – scho warns weg. Da sagst du. Was ist der Fehler? Schaut der Schwanz ausm Horntürl araus? … Immer warn diese Drecksweiber weg."
Tschechow hat mal geschrieben, die Menschheit brauche den Reaktionär, den Rassisten, den Frauenverächter, denn aus all dem Dreck entstünde der Fortschritt, das Gute. Und deshalb braucht die Welt auch den Egersdörfer. Er verkörpert den Wahnsinn an sich, 50 Shades of Crazyness, etwas, was wir alle, wenn wir ehrlich sind, ganz gut kennen. Und weil das Publikum sich erkannt fühlt, lacht es ohne Hemmungen. Selbst dann, wenn es von der Bühne aus angepöbelt wird.
"Jetzt hörns amol auf mit ihrm Handy halt. … Is die ganze Zeit in dem Scheiß Handy schaut er rum. Nehme Sie was auf, oder? Oder hat die Dulcinea noch net angerufe. Ich seh des doch. Machen Sies unterm Tisch. Oder onanieren Sie meinetwegen, aber net am Handy rummachen. Immer wieder schaut er. Was isn? Was soll denn passieren im Handy? …"
"Wo warn mer stehn bliebn?"
Matthias Egersdörfer als Beitrag für die Seelengesundheit
Immer wieder kommt Matthias Egersdörfer auf seine Kindheit und Jugend zu sprechen. Wie er erst Privatdetektiv werden wollte, später aber die Gesamtausgabe von Thomas Bernhard bei Hugendubel klaute und immer wieder, wie er unter wütenden Weibern aufwuchs, der Vater, ein Vertreter, das Weite suchte und nur manchmal für ein Nickerchen nachhause kam.
"Durch die Mutter, die Großmutter und die beiden bitterbösen Schwestern hab ich das laute Schreien gelernt. Und vom Vater den Mittagsschlaf und des Fortfahren. (…) 5:30 Und dann ist schon die Frage, was sich mit solchen Qualifikationen welche Berufsgruppen sich da anbieten. A Zeit lang hab ich mich mal über Wasser gehalten, indem ich kleine Madle- und- Bub’n- Geschichten erzählt hab. So ein bisschen wie heute Abend."
Nach zwei Stunden Programm ist Matthias Egerdörfer müde. Friedlich bedankt er sich bei seinem Publikum:
"Möchte Ihnen noch sang: Erhalten Sie sich diesen Hang zum leicht seltsamen Humor."
Der Witz, schreibt Freud, hat eine reinigende Wirkung. Denn da dürfe man ungestraft verbotene Sachen sagen, die, wenn sie nicht heraus kämen, im Untergeschoss unserer Seele zu fürchterlichen Gespenstern würden. Also, im Interesse der Volksgesundheit dürfte es nur noch eine Frage der Zeit sein, bis Matthias Egersdörfers Hörbuch "Vom Ding her" auf Rezept zu kriegen ist.

Matthias Egersdörfer: "Vom Ding her. Livemitschnitt"
2 CD / 149 Minuten
Kunstmann Verlag, München 2014
16,95 Euro

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