Justizvollzugsanstalt

Sieben Stunden mit Papa

Von Ita Niehaus  · 28.02.2014
Wenn Väter ins Gefängnis kommen, leiden besonders die Kinder unter der Trennung. Um den Kontakt besser aufrechterhalten zu können, hat die JVA Meppen die "Vater-Kind-Tage" eingeführt.
Schnorr: "Hallo, Grüß dich..Sind die anderen auch gekommen? - Ja ..."
Sonntagmorgen um halb elf in der Justizvollzugsanstalt Meppen im Emsland. Gefängnisseelsorger Fritz-Georg Schnorr, ein kräftiger 64-jähriger Mann, wartet auf seine Besuchergruppe: vier Frauen und sechs Kinder. Nach und nach passieren sie die Sicherheitskontrollen. Unter ihnen ist auch Hannah mit ihren beiden Töchtern Lisa und Anna.
Schnorr: "Wo geht es hin?"
"Nach Papa, ja. Gleich geht es weiter, oh ja, weiter. Ab nach Papa ..."
Aber erst noch über einen langen Flur mit vergitterten Fenstern, der wieder vor einer verschlossenen Tür endet.
Noch ein paar Schritte über den Hof, vorbei an Rasenflächen, Beeten und einstöckigen Gefängnisgebäuden aus rotemKlinker, dann endlich das Wiedersehen.
"Papa, Papa!"
Schnorr: "So, rein mit euch."
"Papa!"
Wie die anderen Kinder stürzen sich auch die sechs Jahre alte Lisa und die 13 Jahre alte Anna sofort auf ihren Vater. Erst danach können sich Hannah und ihr Mann Michael begrüßen und umarmen. Vor zwei Wochen haben sie sich das letzte Mal gesehen. Vorne, an einem der 18 Tische im großen Besucherraum der JVA Meppen.
Michael: "Ist ja was anders als vorne im Besuch. Da sitzt man zwei Stunden. Und darf man sich zwar umarmen, die Kinder können toben. Es ist ein ganz anderer Besuch wie vorne. Kommt man sich so beobachtet vor. Und hier kann man frei laufen. Finde ich gut."
Michael, 43, wirkt mit seiner Baseball-Kappe noch sehr jungenhaft. Drei von fünf Jahren hat er schon abgesessen. Seit zwei Jahren nimmt er an dem vom Gefängnisseelsorger mitinitiierten Projekt Wartezeit teil. Die meisten Häftlinge in Meppen sitzen wegen Betrugs und Drogendelikten. Fritz-Georg Schnorr möchte die Beziehung zwischen ihnen und ihren Familien verbessern. Dafür wurden in der JVA Meppen die Besuchszeiten auf zwei mal zwei Stunden im Monat erweitert und regelmäßig Vater-Kind-Tage angeboten, so wie heute.
Schnorr: "Wartezeit ist immer auf die Angehörigen ausgerichtet. Ich bin nach wie vor Gefängnisseelsorger, aber mittlerweile würde ich sagen, ich bin der Angehörigen-Seelsorger."
Denn wenn der Vater ins Gefängnis muss, leidet die ganze Familie - vor allem die Kinder. Rund 100.000 Jungen und Mädchen sind allein in Deutschland betroffen. Doch um die Angehörigen hat man sich bislang kaum Gedanken gemacht.
Toben und Schmusen
Fast sieben Stunden verbringen Lisa und Anna gemeinsam mit ihrem Vater. Sie spielen zusammen, toben, schmusen und kochen. Ab und zu schaut ein Vollzugsbeamter in den Kirchenräumen der JVAMeppenvorbei. In der gemütlichen Küche fällt es leicht, zu vergessen, dass man sich in einem Gefängnis befindet.
Michael: "Kochen mit den Kindern, wann kann ich das mal? Hier kann ich mich endlich um die Kinder kümmern, man kommt sich wieder näher. Man kann auch mal sagen, nein, das darfst du nicht, das darfst du. Ich habe ja sonst nicht die Chance. Wenigstens hier kann ich Papa sein."
Im Gruppenraum nebenan sitzen die vier Frauen, trinken Kaffee und tauschen sich aus.
"Wie lange ist deiner schon hier?"
"Drei Jahre."
"Meiner ist ja selbstständig."
In der Mitte des Raumes stehen ineinandergeschobene Tische, auf dem Boden liegen ein paar Matten und Bälle. Die 37 Jahre alte Hannah genießt es, ein bisschen Zeit für sich zu haben.
Hannah: "Ich muss mit dir nicht Ball spielen. Außerdem hast du dahinten deinen Papa, ich habe heute frei."
Anna: "Ich will aber."
Hannah: "Ich habe frei."
Obwohl gute Freunde und die Familie des Mannes zu ihr halten, wird es Hannah manchmal einfach zu viel. Für alles bin ich allein verantwortlich, sagt sie: Kindererziehung, Haushalt, Geld verdienen.
Hannah: "… dann Wohnungssuche, krieg aber nix, weil ich ohne Mann bin, Hartz-IV-Empfänger nimmt keiner - also, das ist ganz anstrengend. Bin berufstätig, das mit Kindern noch zusätzlich noch unter einen Hut zu kriegen, ist nicht einfach. Ich arbeite im Hotel und abends noch bei Combi Regale einräumen ..."
Der Vater ist im Alltag nicht präsent und doch ist er irgendwie da. Das macht die Sache oft kompliziert, beobachtet Gefängnisseelsorger Fritz Georg Schnorr.
Vater als Phantom
Schnorr: "Dass der Vater als Phantom aufgebaut wird, Papa macht alles besser, Papa ist nicht da und du bist doof. Mir ist es ganz wichtig, den Kindern zu helfen, dass sie wieder einen realen Blick auf ihren Vater bekommen. Dass die Kinder mal Zeit haben, sich mit ihrem Vater auseinanderzusetzen."
Es ist kurz vor 15 Uhr. Anna hat lange mit ihrem Vater Ball gespielt. Nun sitzt sie mit roten Wangen am Kaffeetisch. Erschöpft, aber glücklich.
Anna: "Mit dem Toben, das war schön, ja. Wir haben schön gelacht. Ich hatte meinen Papa mal für alleine. Bald ist er hoffentlich wieder zuhause".
Auch Michael zehrt lange von den Vater-Kind-Tagen. Und: sie motivieren ihn, seinen Weg weiter zu gehen.
Michael: "Ich sitze das erste Mal und ich gehe davon aus, dass es auch das letzte Mal ist."
Die Chancen stehen nicht schlecht. Gefangene, die guten Kontakt zu ihren Familien haben, werden deutlich seltener wieder straffällig. Das zeigen auch Beispiele aus skandinavischen Ländern wie z.B. Dänemark. Dort ist man in Sachen familiensensibler Strafvollzug schon viel weiter.
Ende des Jahres läuft das erfolgreiche Projekt in Meppen aus. Noch ist offen, wie es weitergeht. Der Leiter der JVA will aber mehr. Einen Kinderbeauftragten oder ein festes Besuchsbetreuungsteam.
Der Vater-Kind-Tag ist zu Ende. Auch Michael muss wieder zurück in seine Zelle.
"Tschüß!"
"Tschüß, tschüß!"
Der Abschied nach sieben Stunden ist hart. Sehr still, fast ohne Worte. Wenn alles gut geht, ist Michael im September wieder zuhause - wegen guter Führung. Einen Job hat er auch schon in Aussicht.
Hannah: "Dass wir dann komplett neu anfangen. Das Leben wieder so zu leben, wie wir es wollen und nicht, wie andere es uns vorschreiben."
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