Justizministerin: Interne Richtlinien der katholischen Kirche reichen nicht aus

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger im Gespräch mit Katrin Heise · 24.02.2010
Es ginge ihr nicht um einen Disput mit der katholischen Kirche, sagt Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), sondern darum, wie man mit den Opfern der Missbrauchsfälle umginge, was man zur Aufarbeitung tun könne und wie sie sich in Zukunft verhindern ließen.
Katrin Heise: Die Auseinandersetzung um die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche hat sich verlagert, jetzt wirkt es fast wie ein Streit zwischen Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und den Vertretern der Deutschen Bischofskonferenz. In den "Tagesthemen" der ARD bestand die Ministerin auf einer konstruktiven Zusammenarbeit zwischen Strafverfolgungsbehörden und der katholischen Kirche. Da, wo innerkirchliche Richtlinien interne Voruntersuchungen verlangen, müssten die Richtlinien geändert werden. Der Vorsitzender der Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, war empört:

Robert Zollitsch: Ich erinnere mich keines zweiten Medienbeitrags eines Regierungsmitglieds der Bundesrepublik, der eine ähnlich schwerwiegende Attacke gegen die katholische Kirche in Deutschland dargestellt hätte. Und ich wundere mich gerade, dass die Bundesjustizministerin, die eigentlich ja nun dafür verantwortlich ist, dann undifferenziert emotional Stellung nimmt. Und ich habe diese Fakten (...) (Anm. d. Redaktion: Schwer verständlich im Hörprotokoll) auch geschrieben und erwarte von ihr, dass sie die unwahren Passagen des Interviews innerhalb von 24 Stunden auch wirklich richtigstellt.

Heise: So der Erzbischof von Freiburg und Vorsitzende der Bischofskonferenz, Robert Zollitsch. Ich begrüße jetzt die Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, schönen guten Morgen!

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Guten Morgen, Frau Heise!

Heise: Haben Sie schon reagiert auf den Brief, werden Sie sich entschuldigen?

Leutheusser-Schnarrenberger: Ich werde in angemessener Form auf den Brief antworten und auf entscheidende Punkte eingehen, aber das werde ich jetzt nicht öffentlich ankündigen. Ich habe etwas bedauert, dass ich aus der Presse erst von den Vorwürfen des Erzbischofs gestern erfahren hatte.

Heise: Sie haben den Brief gar nicht erhalten?

Leutheusser-Schnarrenberger: Ich habe den Brief gestern Nachmittag erhalten, da hatte ich auch schon die ersten Anfragen und die ersten Tickermeldungen vorliegen, aber ich werde jetzt sehr angemessen auch auf diesen Brief reagieren und ihm natürlich antworten.

Heise: Es gab gestern Abend ein Gespräch zwischen Kanzlerin Angela Merkel und Erzbischof Robert Zollitsch. Fürchten Sie jetzt auch einen Rüffel der Kanzlerin?

Leutheusser-Schnarrenberger: Nein, es geht ja auch gar nicht darum, hier in irgendeiner Form jemanden zu rüffeln. Ich denke, bei all dieser Auseinandersetzung darf doch eines nicht aus dem Blickfeld geraten, nämlich dass es um Opfer sexuellen Missbrauchs geht, der vor vielen Jahren, vor Jahrzehnten stattgefunden hat. Und genau darum geht es mir doch: Wie geht man mit den Opfern um, was kann man zur Aufarbeitung tun? Kann man auch etwas tun, damit das künftig in dieser Form nicht verhindert? Und nur darum geht es mir.

Heise: Die Aufregung drumherum zeigt aber, die katholische Kirche reagiert eben äußert empfindlich, wenn von politischer Seite Transparenz eingeklagt wird. Wieso wurde eigentlich bisher von der Politik hingenommen, dass ein innerkirchliches Rechtsverständnis sozusagen den staatlichen Aufklärungsbehörden vorgeschaltet ist, dass die Kirche entscheiden kann, wann der Staatsanwalt einzuschalten ist? Wie kann das sein?

Leutheusser-Schnarrenberger: Ich kenne auch und bin ja in meinen Äußerungen ausgegangen von den Richtlinien, die sich die katholische Kirche 2002 gegeben hat, und deshalb habe ich ja auch die Auffassung formuliert, dass ich es nicht für ausreichend halte, dass erst in erwiesenen Fällen sexuellen Missbrauchs eine Aufforderung zur Selbstanzeige erfolgt. Ich bin der Meinung, gerade auch im Interesse der Opfer, dass eben dann, wenn es Verdachtsfälle, wenn es Anhaltspunkte für Verdacht sexuellen Missbrauchs gibt, es immer gut ist, wenn eine neutrale, eine objektive Stelle – und gerade die Stelle, die der Staat mit der Strafverfolgung beauftragt hat – tätig wird. Das ist die Staatsanwaltschaft.

Heise: Das klingt jetzt fast wie ein Appell. Ich meine, wenn man Kenntnis von einer Straftat hat, dann muss man diese doch zur Anzeige bringen, oder nicht?

Leutheusser-Schnarrenberger: Sexueller Missbrauch ist ein Offizialdelikt, und deshalb findet jetzt ja auch, nachdem die Kirche ja 2002 mit dieser Richtlinie auch schon reagiert hatte auf eine entsprechende Diskussion, findet jetzt ja auch innerhalb der Kirche – ich höre ja auch Stimmen von einigen Bischöfen, zum Beispiel auch vom Bischof aus Magdeburg, die sagen, hier müssen auch die Richtlinien geändert werden. Und ich habe ja auch sehr sachlich deutlich gemacht, dass ich diese Richtlinien in dieser Form für nicht ausreichend halte.

Heise: Was ist aus Ihrer Sicht von einer Pflicht zur Anzeige zu halten?

Leutheusser-Schnarrenberger: Eine Pflicht zur Anzeige gibt es nach unserem Recht nicht. Es gibt eine Pflicht, der Staatsanwaltschaft, der zuständigen Behörden zu ermitteln, wenn sie Kenntnis gelangen von einer möglichen Straftat, wenn sie Kenntnis erlangen von Verdachtsmomenten.

Heise: Bisher ist es aber doch nach wie vor so, dass eben innerkirchlich dann erst mal ermittelt wird und eventuell dann die Staatsanwaltschaft eingeschaltet wird. Sie haben deutlich gemacht, dass Sie damit nicht einverstanden sind und dass Sie da eine Änderung wollen, auch innerkirchlich gibt es die ein oder andere Stimme, trotzdem eben doch dieses aufgewühlte, dieses empörte Reagieren – was schließen Sie daraus, was tatsächlich folgen wird von der Kirche aus?

Leutheusser-Schnarrenberger: Das kann ich heute nicht sagen, da will ich mich auch nicht einmischen in die Meinungsbildung der katholischen Kirche. Ich denke, es ist gut, und das war ja mein Angebot auch an die katholische Kirche, dass man in ein Gespräch eintritt. Einmal, wie geht man um mit den Opfern von Missbrauch vor vielen, vielen Jahren, was kann man heute noch für sie tun, unabhängig auch von Strafverfolgung, und, das hat ja auch der Erzbischof gestern deutlich gemacht, es soll ja auch eine konstruktive Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft geben. Und da möchte ich gerne auch drüber reden, wie man das künftig bewerkstelligen kann. Mir geht es hier wirklich um die Fälle des Missbrauchs und nicht darum, hier eine Auseinandersetzung mit der katholischen Kirche zu führen.

Heise: Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger im Deutschlandradio Kultur. Frau Leutheusser-Schnarrenberger, Sie haben es eben angesprochen, Sie wünschen sich einen Runden Tisch. Was tatsächlich versprechen Sie sich davon, denn den Opfern geht es ja auch nicht in erster Linie um finanzielle Entschädigung, über die man an Runden Tischen immer so spricht. Die kämpfen gegen die Verjährung der Verbrechen, denn 10 beziehungsweise 20 Jahre nach Volljährigkeit des Opfers erlischt ja deren Anspruch auf Strafverfolgung. Diese Regelung ignoriert ja mehr oder weniger, dass das Opfer gerade bei sexuellem Missbrauch oft erst nach Jahrzehnten überhaupt in der Lage ist, darüber zu sprechen, es sich selbst einzugestehen. Was ist da aus Ihrer Sicht zu tun?

Leutheusser-Schnarrenberger: Diese langen Verjährungsfristen, das heißt, dass eben auch 20 Jahre nach einer Tat erst eine Verjährungsfrist eintritt, ist ja schon auch die Ausnahme in unserem Strafrecht, und ich habe mich auch vor Jahren sehr dafür eingesetzt, zu dieser Änderung zu kommen. Auf der anderen Seite tritt irgendwann Verjährung ein, weil es natürlich mit jahrzehntelangem Abstand zu einer Tat auch immer schwieriger wird, sie aufzuklären und dann entsprechend auch zu einem Ergebnis zu bekommen. Die beiden Gesichtspunkte müssen immer bei diesen schwierigen Fragen abgewogen werden. Und deshalb glaube ich, dass eben unabhängig von der strafrechtlichen und strafprozessualen Regelung so ein Runder Tisch, wie es auch in anderen europäischen Ländern ihn gibt, man mit den Opfern reden kann, ihnen zeigen kann, dass man das, was ihnen zugefügt worden ist, wirklich sehr ernst nimmt, und am Ende aber auch wirklich nach Wegen sucht, wie man vielleicht im materiellrechtlichen Bereich ihnen in einer bestimmten Form auch gerecht werden kann.

Heise: Bei den Opfern kommt es tatsächlich etwas anders an. Norbert Denef ist als Jugendlicher in den 60er-Jahren von Kirchenmännern missbraucht worden. Er sagte vorgestern im Deutschlandradio Kultur:

Norbert Denef: Und so kann man sich auch vorstellen, dass es eben Jahrzehnte dauert, dass man nicht darüber sprechen kann, und der Gesetzgeber und der Staat, der unterstützt dieses Schweigen, indem er die Opfer zum Schweigen zwingt und die Täter schützt, indem er sagt, es ist eine Verjährungsfrist, und wenn dann die Verjährungsfrist abgelaufen ist, musst du deinen Mund halten. Und das ist aus meiner Sicht ein Verstoß gegen die Menschenrechte.

Heise: Sagte Norbert Denef, der als Jugendlicher missbraucht worden ist, hier im Deutschlandradio Kultur. Frau Leutheusser-Schnarrenberger, was antworten Sie ihm?

Leutheusser-Schnarrenberger: Also niemand wird natürlich zum Schweigen gezwungen, aber dass ein Staat immer nach Wegen suchen muss, wie kann man einmal möglichst auch noch mit der Chance auf Aufklärung einen Strafverfolgungsanspruch durchsetzen, auf der einen Seite, ist ganz wichtig, deshalb auch eben teilweise so lange Verjährungsfristen, aber eben auch einfach ein Blick darauf, wie realistisch ist es dann noch, eine Tat aufklären zu können. Aber diese Debatte, denke ich, wird immer wieder auch jetzt geführt, und ich finde es auch gut. Und wenn diese Stimmen jetzt von Betroffenen, von Opfern deutlich werden, dann geht bestimmt die Politik nicht daran vorbei und wird sich dazu auch noch mal erneut Gedanken machen.

Heise: Ihre Kollegin, die Justizministerin in Bayern, fordert eine Verlängerung beziehungsweise eine Aufhebung der Verjährungsfristen.

Leutheusser-Schnarrenberger: Ich denke, dass es um eine komplette Aufhebung von Verjährungsfristen gehen kann, aber gerade auch, sich mit dieser Frage zu befassen, aber auch da die Erfahrungen aus der Praxis mit einzubeziehen, das, denke ich, ist das, was von der Politik und Regierung erwartet wird. Und es ist nicht die richtige – in meinen Augen – Reaktion, jetzt sofort mit einer Antwort zu kommen, wie man sich denn eine künftige Regelung in einer anderen Form vorstellt. Aber die Debatte, das ist richtig, die sollten wir auch heute wieder führen.

Heise: Wenden wir uns noch mal der katholischen Kirche zu. Was erwarten Sie jetzt konkret von den Bischöfen, die momentan auf ihrer Frühjahrsvollversammlung zusammensitzen?

Leutheusser-Schnarrenberger: Ja, ich werde natürlich, wie gesagt, auf die Vorwürfe antworten, aber die Kirche – und es würde mich sehr freuen, wenn die katholische Kirche sich auch mit den Überlegungen befasst, wie sie in anderen Ländern stattfindet, wie ich sie in die Diskussion eingebracht habe, eben mit Möglichkeit eines Runden Tisches, auch mit der Frage, ob die Richtlinien so bestehen bleiben oder ob man sie nicht auch entsprechend ändert. Die Debatte ist angestoßen, ja auch in der Kirche selbst, auch von Kirchenbewegungen, und ich erhoffe mir da eben eine interessante Debatte und auch Anstöße und dann vielleicht auch Grundlagen, um sich damit nach der Bischofskonferenz weiter zu beschäftigen.

Heise: Sie würden sich freuen, haben Sie formuliert, das klingt sehr zurückhaltend. Warum scheuen Sie die offene, vielleicht auch die, ja, die Auseinandersetzung mit der Kirche, warum hauen Sie nicht mal auf den Tisch?

Leutheusser-Schnarrenberger: Ich habe klar Position bezogen, und von daher ist es doch jetzt wichtig, dass man mit dem Ziel sich einlässt, am Ende auch zu Verbesserungen zu kommen. Und das ist das, was mich als Justizministerin beschäftigt, gerade weil ich die Opfer vor Augen habe.

Heise: Sagt die Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Frau Schnarrenberger, vielen Dank für dieses Gespräch!

Leutheusser-Schnarrenberger: Bitte schön!
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