Justizministerin: Fragen bei Bewerbungstests gehen zu weit

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger im Gespräch mit Hanns Ostermann · 16.11.2009
Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger beklagt, es gebe offenbar derzeit einen Trend unter Arbeitgebern, möglichst viel von Mitarbeitern und Bewerbern wissen zu wollen. Nötig sei eine Rechtsgrundlage, "damit dann Arbeitgeber genau wissen, was sie dürfen und was sie nicht dürfen."
Hanns Ostermann: Wo arbeiten Sie, in einem Büro oder auf einer Giftmüllanlage, in einer Schule oder bei einem Kosmetikkonzern? Das Arbeitsleben stellt unterschiedlichste, körperliche Voraussetzungen – verständlich, dass Arbeitgeber wissen möchten, ob die der Bewerber auch erfüllt. Allerdings: Wie umfangreich darf die jeweilige betriebsärztliche Untersuchung sein? Datenschützer und Arbeitsrechtler warnen derzeit davor, dass Unternehmen wie Daimler, Beiersdorf oder Merck einen zu weiten Spielraum nutzen, um die Spreu vom Weizen zu trennen. Über die derzeitige Rechtslage habe ich mit der Bundesjustizministerin gesprochen. Meine erste Frage an Sabine Leutheusser-Schnarrenberger von der FDP: Wann überspannen Arbeitgeber den Bogen?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Arbeitgeber überspannen den Bogen bei der Frage nach persönlichen Eigenschaften, nach gesundheitlichen Veranlagungen, dann, wenn sie alles das erfragen wollen, was wirklich nicht unmittelbar mit der ausgeübten oder – bei einem Einstellungsgespräch – mit der angestrebten Tätigkeit zu tun hat, aber auch dann haben sie kein absolutes Informations- und Auskunftsrecht, sondern das Gendiagnostikgesetz zieht auch hier klare Grenzen: Gentests sind auch dann nicht zulässig.

Ostermann: Wir sind uns einig: Chirurgen oder Piloten müssen umfangreich gecheckt werden. Ich frage mich trotzdem, wenn ein Blutbild beispielsweise bei einer betriebsärztlichen Untersuchung erstellt wird, ob da nicht doch die Möglichkeit besteht, dass Ärzte mehr ankreuzen und mehr untersuchen, als es eigentlich vorgeschrieben ist?

Leutheusser-Schnarrenberger: Da geht es ganz entscheidend darum, dass – wie es ja auch für die Beamten gilt, die ja auch zu einer amtsärztlichen Untersuchung müssen, weil sie eben dann im Beamtenverhältnis, auch wenn sie mal eingeschränkt in ihrer Dienstfähigkeit sind, diese Ansprüche auf Versorgung ja bekommen –, da geht es dann darum, dass natürlich das, was der Betriebsarzt oder der staatliche Gesundheitsarzt an Erkenntnissen gewinnt, er nicht in dieser Form auch dem Arbeitgeber in allen Einzelheiten mitteilen darf, wenn es zum Beispiel darum geht: Hatte eine Frau schon mal eine Entbindung? Oder wenn sie dort beim ärztlichen Gespräch sagt, jawohl, die nimmt mal Verhütungsmittel – das sind alles Dinge, die gehen den Arbeitgeber nichts an, auch da nicht, wo sehr wohl auf die gesundheitliche Eignung Wert gelegt werden muss, wie bei Piloten, wie dann, wenn man in pharmazeutischen Unternehmen arbeitet, wo es wirklich um Forschung geht oder die Kantinenmitarbeiterin, da ist berechtigt das Anliegen des Arbeitgebers zu wissen, ob sie eine ansteckende Krankheit, Hepatitis oder vielleicht Tuberkulose, hat.

Ostermann: Immer wieder geht es grundsätzlich um das Risiko, das Arbeitgeber ausschließen wollen, aber der springende Punkt ist doch auch, ob sich diese Risiken verwirklichen oder nicht. Wie groß ist die Gefahr, dass hier Menschen schlichtweg aussortiert werden?

Leutheusser-Schnarrenberger: Die Gefahr ist natürlich dann vorhanden, wenn Arbeitgeber gerade sehr pauschal – und das ist ja im Moment wohl so ein Trend, den Betriebsärzte und auch Gewerkschaftler sehr wohl gleich einschätzen, auch Datenschützer –, wenn sie diesen Trend, möglichst viel von ihren Mitarbeitern und von den Bewerbern wissen zu wollen, dass sie dann sich gerne ein Bild machen möchten, um vielleicht in Zeiten wirtschaftlicher Krise oder einer wirtschaftlich schwierigen Entwicklung zu sagen: Wem können wir denn vielleicht am ehesten eine Kündigung aussprechen, ohne dass das dann tatsächlich in einer Kündigung auch gesagt wird? Das Problem ist doch, dass man eine Einschränkung nur dieser Informationen will, weil man nicht möchte, dass die dann eine Rolle spielen, ohne dass sie tatsächlich dann in einem Kündigungsprozess oder bei einer Umsetzung oder bei einer Rückstufung tatsächlich genannt werden, aber wirklich der eigentliche Anlass sind.

Ostermann: Aber jetzt reden wir über Bewerber. Wer wagt es denn, in einer Bewerbungsphase sich den Wünschen des Arbeitgebers zu verwehren? Das tut doch keiner.

Leutheusser-Schnarrenberger: Das ist eben genau die schwierige Situation. Ein Bewerber möchte ja gern eine bestimmte Tätigkeit, einen Arbeitsvertrag bekommen. Dennoch sind Fragen, eben bestimmte Fragen generell unzulässig, und deshalb kann man hier nur mit einem – nach meiner Einschätzung wirklich dringenden – Arbeitnehmerdatenschutzgesetz regeln, welche Fragen zum Beispiel generell unzulässig sind, damit dann auch eine Sicherheit für den Arbeitnehmer da ist, dass, wenn wirklich so eine Frage tatsächlich gestellt würde, er die nicht beantworten muss und das auch – jedenfalls rechtlich – keine nachteiligen Auswirkungen auf dann die Entscheidung des zuständigen Personalmenschen haben dürfte. Aber das ist einfach eine schwierige Situation, deshalb brauchen wir eine sicherere Rechtsgrundlage, damit dann Arbeitgeber genau wissen, was sie dürfen und was sie nicht dürfen und das nicht immer wieder durch viele Gerichtsverfahren in einem Einzelfall geklärt werden muss.

Ostermann: Wir brauchen also, das ist im Prinzip das Ergebnis unter dem Strich, verbindlichere Regeln in diesem Bereich, so schwer Ihnen das auch als liberale Rechtspolitikerin fällt.

Leutheusser-Schnarrenberger: Mir fällt das in dem Punkt nicht schwer, weil ich möchte, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber eine sichere Rechtsgrundlage haben. Da geht es um den Schutz einmal des informationellen Selbstbestimmungsrechtes, also des Umgangs der eigenen Daten des Arbeitnehmers, und um das berechtigte Anliegen des Arbeitgebers, den geeigneten, richtigen Bewerber für einen ganz bestimmten Arbeitsplatz zu bekommen. Und da jetzt viele Grauzonen sind, sollten wir doch alles tun, die deutlich zurückzuführen, und deshalb bin ich hier für eine klare Regelung. Das erleichtert vieles – und Rechtssicherheit ist wirklich ein liberales Anliegen.

Ostermann: Die Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger von der FDP. Ich danke Ihnen für das Gespräch und einen schönen Tag!

Leutheusser-Schnarrenberger: Ja, danke, ich bedanke mich auch!