Justiz

Ein Jahr NSU-Prozess

Mehmet Daimagüler im Gespräch mit Christopher Ricke · 06.05.2014
Der Opferanwalt Mehmet Daimagüler weist den Vorwurf der Prozessverzögerung durch die Nebenklage zurück. Es brauche Zeit, um alle Hintergründe zu beleuchten.
Christopher Ricke: Seit einem Jahr läuft der NSU-Prozess gegen Beate Zschäpe, und er wird auch noch ein bisschen dauern. Seit einem Jahr wird also über die Taten der Terrorzelle "Nationalsozialistischer Untergrund" verhandelt. Diese Gruppe soll aus überwiegend rassistischen Motiven zehn Menschen ermordet haben. Die einzige Überlebende steht eben vor Gericht, das ist Beate Zschäpe. Das Gericht will, soll, muss, kann herausfinden, ob Zschäpe nun nur eine Mitläuferin war oder doch eine Haupttäterin. Es ist allerdings nicht das Gericht alleine, das das herauskriegen will. Oliver Bendixen:
Beitrag von Oliver Bendixen
Oliver Bendixen mit einer Kritik an der Nebenklage im NSU-Prozess. Einer dieser Nebenkläger ist der Berliner Anwalt Mehmet Daimagüler. Guten Morgen, Herr Daimagüler.
Mehmet Daimagüler: Guten Morgen!
Ricke: Das ist ja schon ziemliche Kritik, die Sie sich da anhören müssen: Prozessverzögerung, Urteil erst 2016, man möge sich doch bitte an der Anklageschrift orientieren. Fällt diese Kritik bei Ihnen auf fruchtbaren Boden?
Daimagüler: Nun, wir haben ja eine Anklageschrift, die zehn vollendete Morde, 22 versuchte Morde, 14 Raubüberfälle behandelt. Insofern braucht das Zeit. Vonseiten der Nebenklage sind von den über 200 Zeugen, die bislang gehört worden sind, erst zwei benannt worden, also zwei von über 200. Hier die Nebenklage für die Verfahrensdauer und nicht die Taten verantwortlich zu machen, ist schon so ein bisschen seltsam.
Ricke: Bleibt es also dabei, dass Haupt- und Nebenklage doch ein gemeinsames Ziel haben, eine Aufklärung der ganzen Vorgänge, dass man sich nicht ineinander verheddert?
Daimagüler: Nun, wir wollen auf jeden Fall, dass die Hintergründe beleuchtet werden. Hintergründe bedeutet für uns, gab es Helfershelfer, gab es Leute, die vor Ort Hinweise gegeben haben? Welche Rolle haben in diesem Zusammenhang insbesondere V-Leute gespielt? Und das sind ja Fragen, die keineswegs politisch sind, sondern die Taten im Kern betreffen. Ich möchte jedenfalls als Bürger dieses Landes ruhig ins Bett gehen und das Gefühl haben, wir haben das gesamte Umfeld durchforstet und Schuldige vor Gericht gebracht. Wir können doch nicht gut schlafen, wenn wir das Gefühl haben, dass Teile der NSU auch noch auf freiem Fuß sind, oder?
Ricke: Die deutschen Ermittler haben ja jahrelang Zusammenhänge nicht erkannt, doch es wurden Konsequenzen gezogen. Heute schaut man ganz anders auf die Vorgänge. Ich weiß, das macht kein Opfer wieder lebendig, aber vielleicht mindert es ja genau das Risiko, dass sich so etwas wiederholt, und dass Sie als Bürger dieses Landes eben getrost ins Bett gehen können.
Daimagüler: Da frage ich mal zurück: Welche Konsequenzen wurden denn gezogen? Was hat sich denn geändert?
Ricke: Na ja, die Fragen, die muss ich ja jetzt heute stellen, weil ich ja auch nicht der Jurist bin, aber ich erinnere mich an –
Daimagüler: Sie haben ja nicht gefragt, sondern festgestellt.
Ricke: Dann gebe ich Ihnen doch gern die Antwort. Also: Wir haben personelle Wechsel bei Landesverfassungsschutzämtern. Wir haben Reformen beim Verfassungsschutz. Wir haben den Untersuchungsausschuss, wir haben Aufarbeitung –
Daimagüler: Nein, ernsthaft, welche Reform haben wir denn beim Verfassungsschutz?
Ricke: Herr Daimagüler – kurz zur Rollenverteilung: Sie sind Vertreter der Nebenklage, ich stelle hier die Fragen – einverstanden?
Daimagüler: Nein. Sie machen ja keine Fragen, sondern ...
Ricke: Okay. Dann danke ich Ihnen ganz herzlich für dieses Gespräch!

Anmerkung der Redaktion: Nach der Sendung wurde intern lange über die Interviewführung diskutiert. Auch aus der Redaktion gab es heftige Kritik an der Gesprächsführung. Der Moderator Christopher Ricke bedauert sein nicht überzeugendes Vorgehen. Wir bemühen uns stets, einem hohen journalistischen Anspruch gerecht zu werden, was Objektivität und Professionalität betrifft. Am Dienstagmorgen haben wir unserem eigenen Anspruch nicht vollends genügt. Der Moderator hatte inzwischen Gelegenheit zu einem ausführlichen Telefonat mit Herrn Daimagüler. Herr Ricke hat sich persönlich für den Verlauf des Gesprächs entschuldigt. Redaktion und Herr Daimagüler haben einvernehmlich vereinbart, bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit erneut ein Telefoninterview zum NSU-Prozess im Deutschlandradio Kultur zu führen.