Justiz

"Arbeitskämpfe sind in bestimmten Grenzen erlaubt…"

Ein Behördenschild hängt in Erfurt (Thüringen) am Bundesarbeitsgericht, aufgenommen am 20.11.2012.
Ein Behördenschild am Bundesarbeitsgericht in Erfurt. © picture-alliance / dpa / Martin Schutt
Von Blanka Weber · 28.04.2014
Seit seiner Gründung 1954 ermahnt das Bundesarbeitsgericht die Politik regelmäßig, gesetzgeberisch aktiv zu werden. Oft entscheiden die Richter über Fragen, die bereits zu heftigen gesellschaftlichen Kontroversen geführt haben.
Bundesarbeitsgericht Erfurt. Aktenkoffer werden durch einen langen Flur gerollt. Anwälte stehen mit ihren Klienten in den Gängen. Die Türen zu den Verhandlungsräumen sind noch offen und geben den Blick auf blaue Sitzmöbel und bodenlange Fenster frei. Das Bundesgericht, seit 1999 in Erfurt, ist ein moderner Bau: Glas, Beton, edle Hölzer, Schrift und Kunst vor dem Gebäude und an den Wänden. Eine schlichte, kühle Optik mit hohen Verhandlungsräumen im Erdgeschoss und moderner Büroarchitektur darüber. Ganz oben, in der 3. Etage, sitzt die Chefin:
"Die Position, die ich jetzt habe als Arbeitsrichterin, das ist das, was ich mir in meinem späteren Berufsleben so vorgestellt habe. Ich bin hier, wenn ich jetzt mal unbescheiden sein darf, die richtige Person am rechten Ort."
Ingrid Schmidt, 58 Jahre alt, ist die erste Präsidentin des Bundesarbeitsgerichtes. Seit 2005 hat sie dieses Amt. Sie leitet den ersten Senat und steht einem Verwaltungsapparat von insgesamt 10 Senaten und 38 Richtern vor. 13 davon sind Frauen.
"Bei uns im Bundesarbeitsgericht ist es jetzt gelungen, diese 30%-Quote bei den Frauen zu erreichen. Aber das war ein langer Weg gewesen."
Sagt die Präsidentin und spricht damit eines der Themen an, die sich in 60 Jahren Bundesarbeitsgericht gründlich geändert haben.
Die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts, Ingrid Schmidt, stellt am 26.02.2014 in Erfurt (Thüringen) den Jahresbericht 2013 vor.
Die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts, Ingrid Schmidt, bei der Vorstellung des Jahresberichts 2013© picture-alliance / dpa / Martin Schutt
Feierliche Eröffnung vor 60 Jahren
Kassel am 10. Mai 1954. Politiker, Juristen und Prominenz feiern den Start des neuen Bundesarbeitsgerichtes mit Sitz in Hessen. Ein Reporter berichtet:
"Das BAG ist zum ersten Mal wieder eingerichtet worden seit dem Zusammenbruch 1945 und es knüpft an, an die bedeutende Tradition des Reichsarbeitsgerichtes, das früher mit dem Reichsgericht zu Leipzig vereinigt war. Die Richter des Reichsarbeitsgerichtes waren hoch qualifiziert und diese Tradition soll auch jetzt wieder gehalten werden. Das drückt sich aus mit der Berufung von Prof. Dr. Nipperdey, einem Arbeitsrechtler von internationalem Ruf, der zum Präsidenten des Bundesarbeitsgerichtes gewählt wurde."
Selbstverständlich bedeute die Unterwerfung unter das Gesetz, ließ Hans Carl Nipperdey in seiner Antrittsrede wissen, nicht eine Bindung an den Wortlaut, sondern eine Bindung an den Sinn und Zweck des Gesetzes. Darauf komme es entscheidend an, auch wenn man im Text einen nur unvollkommenen oder gelegentlich verfehlten Ausdruck finden würde, formulierte der erste oberste Arbeitsrichter.
Damals wurde die Basis für das "Richterrecht" geschaffen. Jene Form der Auslegung, wenn vorhandene Gesetze zu viel Spielraum lassen und Richter klarstellen müssen, was in einem konkreten Fall Recht ist, und was nicht.
Mehr als 2000 Fälle jährlich
Das Arbeitskampfrecht ist auch 60 Jahre später nicht unmittelbar durch ein Gesetz geregelt. Es wird mühevoll von Fall zu Fall ausgelegt. Nicht selten entscheiden die Richter über Fragen, die zuvor bereits zu heftigen gesellschaftlichen Kontroversen geführt haben. Was ist gleicher Lohn? Ist diese Gewerkschaft überhaupt tariffähig? Was heißt: vorübergehend, wenn es um das Entleihen von Arbeitnehmern geht?
Je nach Ausgang des Verfahrens klagen die einen, das Arbeitsrecht sei nicht modern und völlig überreguliert, die anderen, dass es keine "Waffengleichheit" gäbe. Und immer wieder muss das Gericht die Politik mahnen, gesetzgeberisch aktiv zu werden. Mehr als 2000 konkrete Fälle kommen jährlich auf den Tisch der Bundesrichter.
Manches davon erscheint im Rückblick kurios, wie die Entscheidung über das Radiohören am Arbeitsplatz oder über die Kündigung einer Chefin, die ihre Untergebenen nicht grüßen wollte. Und manches Urteil, wie das von 1984 im sogenannten Bienenstichfall, hat nichts an Aktualität eingebüßt.
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