Jurist: Kebekus‘ Video ist "völlig harmlos"

Hans-Michael Heinig im Gespräch mit Kirsten Dietrich · 08.06.2013
Eine Nonne, die ein Kruzifix ableckt und sich vor ihm entblößt – der WDR wollte das seinen Zuschauern nicht zumuten. Er schnitt das Rap-Video der Kabarettistin Carolin Kebekus aus einer Sendung. Der Kirchenjurist Hans-Michael Heinig fordert, die Öffentlich-Rechtlichen sollten die Meinungsvielfalt präsent halten.
Kirsten Dietrich: Darf die das? Die Komikerin Carolin Kebekus hat ein Video gedreht, in dem sie als Nonne die coolen Seiten der Kirche in bester Hip-Hop-Manier veralbert. Dürfen die das? Der WDR hat das Video aus seiner neuen Show mit Carolin Kebekus herausgeschnitten. Verse wie "Du bist meine Bank / vor dir zieh ich blank", dazu eine Nonne, die ein Kruzifix ableckt und sich vor ihm entblößt, das verstoße gegen das WDR-Gesetz. Das fordert von Beiträgen des WDR: Die "religiösen Überzeugungen der Bevölkerung sind zu achten". Wie ist das zu beurteilen, was da in Köln geschehen ist? War das gotteslästerlich von der Künstlerin, überzogen vom Sender, und welche Rolle spielen die Kirchen dabei? Darüber habe ich mit Hans-Michael Heinig gesprochen. Er ist Professor für öffentliches Recht an der Universität Göttingen und leitet das Kirchenrechtliche Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland. Und ich wollte natürlich von ihm wissen, was denn ein evangelischer Kirchenrechtler von dem umstrittenen Video hält.

Hans-Michael Heinig: Der Kirchenjurist würde, und der staatliche Jurist würde unterscheiden zwischen persönlicher Geschmacksbildung und dem, was man davon hält und der rechtlichen Bewertung. Der persönlichen Bewertung würde ich sagen, viel Zitat, manches kennt man von Madonna, manches ist ganz witzig oder zum Schmunzeln, manches versucht auch ziemlich zwanghaft zu provozieren, und auf der juristischen Ebene würde ich sagen, völlig harmlos, im Rahmen der Meinungs- und Kunstfreiheit umfassend gedeckt und in keiner Weise juristisch zu beanstanden.

Dietrich: Was müsste man denn in einem Video machen, damit das juristisch zu beanstanden ist? Ein Kruzifix lecken reicht dafür nicht aus?

Heinig: Nein, die Freiheitsrechte, die unsere politische Ordnung grundieren, erlauben ein weites Maß an Artikulationsmöglichkeiten, auch künstlerische Artikulationen, die man schätzen kann oder nicht schätzen kann, aber genau darüber kann man streiten, und der Staat hat sie nicht zu verbieten. Wir haben im Strafrecht ganz äußerste Grenzen, wenn die persönliche Ehre betroffen wird, also ein einzelner Gläubiger beleidigt wird, das wäre strafrechtlich relevant, oder wenn zum Hass und zur Gewalt gegen einzelne religiöse Gruppen aufgefordert wird, auch da wird der Staat einschreiten, um seiner Friedensfunktion gerecht zu werden.

Dietrich: Wenn es gegen Religion oder gerade christliche Religion in der Satire geht, dann trifft das ja meistens die katholische Kirche, also Papstbilder der "Titanic", die den Papst in befleckter Soutane zeigen, fallen da ein, oder eben auch jene Carolin Kebekus, die da jetzt im Zentrum des Konflikts steht, die im Februar versuchte, sich bei Kardinal Meisner bei der Bischofskonferenz für die "Heute-Show" als Päpstin zu bewerben. Ist man da als evangelische Kirche fein raus?

Heinig: Also der Protestantismus hat in gewisser Hinsicht eine, sagen wir, sehr moderne Spur in sich, und deshalb kann man sagen, dass der kirchliche Mainstream in der evangelischen Kirche ein etwas entspannteres Verhältnis vielleicht zu solchen Angriffen auf die Kirche oder kirchliche Amtsträger hat. Das hat auch mit dem Kirchenverständnis zu tun, das einzelne Verhältnis des Gläubigen zu Gott ist wichtiger, die Institution hat eine rein dienende Funktion, wird selber nicht so sakral aufgeladen, und das führt dazu, dass man wahrscheinlich ein etwas gelasseneres Verhältnis hat. Gleichwohl gibt es auch eine gewisse ökumenische Verbundenheit in meiner Wahrnehmung der evangelischen Kirche mit der katholischen, und deshalb ist es keine Schadenfreude oder heimliche Freude, wenn sozusagen die Schwesterkirche attackiert wird, sondern manchmal leidet man auch mit ihr mit.

Dietrich: Gewisse Formen von Gotteslästerung, von Blasphemie sind strafbewehrt, trotzdem hat man das Gefühl, wenn die Kirchen dagegen vorgehen, können sie eigentlich nur verlieren, weil sie machen Werbung für das Stück oder für die Satire, für was auch immer, gegen das sie da vorgehen, und in der Öffentlichkeit kommt das auch nicht wirklich gut an.

Heinig: Gleichwohl ist die Strategie, einfach alles duldend hinzunehmen und sich gar keine eigene Meinung mehr zu bilden und auch nicht mehr sozusagen eigene ästhetische oder religiöse Grenzen zu markieren, wahrscheinlich auch nicht sinnvoll. Dann würde man der Kirche vorwerfen, sie handele völlig beliebig und habe auch gar keine eigenen Maßstäbe und keine eigene Ehre mehr. Also vielleicht ist sie in einem Dilemma gefangen: Sie darf nicht zu verbittert und verkrampft rüberkommen, und sie darf aber andererseits auch nicht dem totalen Kulturrelativismus das Wort reden. Also wie sie es macht, ist es wahrscheinlich falsch.

Dietrich: Kritiker sagen auch, dass der Paragraf 166, der diesen Umgang mit Gotteslästerlichem – so nenne ich es mal – regelt, auch schwierig ist, weil er vor allen Dingen dann die Beschimpfung religiöser Bekenntnisse unter Strafe stellt, wenn der öffentliche Friede gestört ist. Und dann sagen manche: Ja, das heißt dann, wenn Muslime, die gehen dann gleich auf die Straße, wenn sie etwas als ehrrührig empfinden, die werden geschützt durch den Paragrafen, die Christen machen es nicht, deswegen greift der Paragraf für sie gar nicht.

Heinig: Ja, da ist die Norm nicht richtig verstanden worden, da hilft dann manchmal, einen Juristen zu fragen. Die Norm schützt sozusagen den Beschimpften, wenn sozusagen die Aggression, die zunächst verbal vorbereitet wird, die Gewalt sozusagen sich gegen ihn richtet, der öffentliche Frieden also des Beschimpften bedroht ist und nicht der Beschimpfte den öffentlichen Frieden bedroht. Es muss gerade eine Konstellation sein, in der eben nicht der besonders Empfindsame die strafrechtliche Pönalisierung desjenigen, der sich äußert, aktivieren kann, sondern tatsächlich eine Eskalation zu besorgen, erst wird die Religion beschimpft, und dann kommt der Mob und wird physisch aggressiv. Da sind ja auch historische Erfahrungen, die da im Hintergrund eine Rolle spielen, die man auch nicht vergessen soll, man denke an Reichspogromnacht und ähnliche Erscheinungen, also es gibt natürlich schon solche Eskalation, die wir historisch noch mal in Erinnerung rufen können.

Dietrich: Was sagen Sie, ist das ein sinnvolles Gesetz oder muss das geändert werden?

"Gott ist kein Grundrechtsträger"

Heinig: Jedenfalls gibt es viele Missverständnisse – Sie reden ja auch gerade von Blasphemie, und darum geht es da gerade nicht. Gott ist kein Grundrechtsträger, sagt Josef Isensee, ein Bonner Kollege, die Ehre Gottes wird in keiner Weise von der staatlichen Rechtsordnung geschützt, auch nicht das religiöse Gefühl des einzelnen Gläubigen, sondern das Schutzgut, das das Strafrecht da kennt, ist der öffentliche Friede. Im Religionsthema entzünden sich die Gemüter sehr schnell, da gibt es besondere Empfindsamkeiten, und deshalb will man hier zur Gefahrenvorsorge ein Stück weit ins Vorfeld gehen und schon die Führung des Wortes bestrafen und nicht erst die eigentliche Gewalttat. Das ist für einen freiheitlichen Verfassungsstaat schon sozusagen ein eigenes Problem, die Meinungsfreiheit so weit zurückzuschneiden und zurückzudrängen gegenüber dem Schutzgut öffentlicher Frieden, dass der, der nur redet, schon bestraft wird. Insoweit kann ich überhaupt nicht verstehen, wenn im öffentlichen Raum gefordert wird, die Norm müsse geschärft werden. Eher müsste man überlegen, ob wir sie wirklich brauchen.

Dietrich: Im WDR, so heißt es, ist auch nicht jeder wirklich glücklich damit, dass dieser Beitrag jetzt zurückgezogen wurde. Man rede von so was wie vorauseilendem Gehorsam. Wie kurz sind eigentlich die Wege zwischen den Kirchen und den Rundfunkanstalten?

Heinig: Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben ja den Auftrag, ein plurales Meinungsspektrum abzubilden, und deshalb sind sozusagen gesellschaftliche Großgruppen in den Aufsichtsgremien der Rundfunkanstalten vorhanden, die sind da präsent, und darunter fallen auch die Kirchen, aber sie sind einer unter vielen, und gerade dadurch soll Meinungsvielfalt auch gesichert werden. Deshalb halte ich eine bevorzugte Einflussnahme auf die Programmgestaltung jedenfalls nach dem rechtlichen Gefüge für ausgeschlossen.

Dietrich: Kann man an dem Umgang mit Satire, die sich mit religiösen Inhalten beschäftigt, auch so was ablesen wie den Rang oder die Stellung, die die Kirchen, die die Religion überhaupt in der Öffentlichkeit hat?

"Eine große Unsicherheit"

Heinig: Also in diesen Debatten, über die wir gerade diskutieren, scheint mir eher eine große Unsicherheit durchzuscheinen einer Gesellschaft, die zunehmend sich entkirchlicht, die stark säkularisierte Züge aufweist, und in der Religion in viel pluralerer Weise – präsentes Stichwort Islam –, und da gibt es eine große Unsicherheit, wie man mit dieser neuen religionssoziologischen Lage eigentlich umgehen muss, welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind. Auch die Institutionen selber sind sich ihrer Einflusschance auf die Gesellschaft nicht mehr so gewiss, deshalb reagiert möglicherweise die katholische Kirche empfindlich – überempfindlich zuweilen –, und für die evangelische Kirche könnte Gleiches passieren. Andererseits funktionieren dann plötzlich innere Zensur oder eine Schere im Kopf bei Programmdirektoren im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, weil sie die Kontroverse scheuen. Das ist aber eine Verkennung ihres Auftrages, sie sollen ja gerade nicht Konflikte nur verschärfen, aber doch abbilden, die Spannungen in einer Gesellschaft auch abbilden, Meinungsvielfalt präsent halten in ihrem Programm, und deshalb gibt es den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, das ist seine Daseinsberechtigung.

Dietrich: Gefährdet ein Fall wie der jetzt um das umstrittene Video von Carolin Kebekus die Religionsfreiheit?

Heinig: Jedenfalls müssen wir berücksichtigen, dass wir in Deutschland einen sehr weitgehenden Schutz der Religionsfreiheit haben. Alle religiös motivierten Handlungen sind geschützt, und die Religion ist in ihrem öffentlichen Wirken geschützt. Die Kirchen sind als Trägergruppe von Öffentlichkeit in besonderer Weise verfassungsrechtlich eingehegt. Mit diesem weiten Schutz der Freiheit und der Öffentlichkeit der Religion müsste eigentlich konsequenterweise einhergehen auch eine weite Kritikmöglichkeit, ein großherziger Schutz der Freiheit, diese Religion und diese Öffentlichkeit dann auch zu kritisieren. Es sind zwei Seiten einer Medaille, wenn die Kirchen als öffentliche Trägergruppe präsent sein wollen, müssen sie sich auch der Kritik stellen und die Freiheit zu dieser Kritik selber auch verteidigen und annehmen.

Dietrich: Über das schwierige Verhältnis von Religion, Satire, Kirchen und Medien sprach ich mit Hans-Michael Heinig, Rechtswissenschaftler und Leiter des Kirchenrechtlichen Instituts der Evangelischen Kirche in Deutschland.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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