Jurist: Blockade von Neonazi-Demonstrationen ist nicht rechtswidrig

Moderation: Matthias Hanselmann · 05.09.2011
Der Rechtswissenschaftler und Publizist Uwe Wesel hält Sitzblockaden, die Neonazi-Demonstrationen aufhalten, nicht für rechtswidrig. Solche Blockaden seien allenfalls ein Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung, sagt Wesel.
Matthias Hanselmann: Bei uns ist der Rechtswissenschaftler und Rechtshistoriker Uwe Wesel. Guten Tag, Herr Wesel, schön, dass Sie gekommen sind!

Uwe Wesel: Guten Tag, Herr Hanselmann!

Hanselmann: Sie sind ein Meister darin, komplizierte rechtliche Vorgänge in einfachen Worten auf den Punkt zu bringen. Das weiß ich. Deswegen zunächst eine ganz einfache Frage: 2000 Neonazis wollen durch Dresden ziehen. Ist das ihr gutes Recht?

Wesel: Ja. Leider Ja. Sie können sich berufen auf das Grundgesetz Artikel fünf, Meinungsfreiheit und acht, Versammlungsfreiheit. Das hat das Bundesverfassungsgericht zusammengezogen zu einem Recht auf Demonstrationsfreiheit.

Hanselmann: Tausende von Menschen wollen diesen Umzug, diese Demonstration verhindern. Ist das auch ihr gutes Recht?

Wesel: Die Staatsanwaltschaft in Dresden sagt nein - meiner Meinung nach zu Unrecht.

Hanselmann: Wehrhafte Demokratie, und damit legitim, so sehen es die betroffenen SPD-Politiker in Dresden, sei ihre Aktion gewesen. Wie beurteilen Sie denn den eben gehörten Fall? Wie würden Sie die Rechtslage einschätzen?

Wesel: Ja, wissen Sie, wir gehen mal zurück in das letzte Jahr. Da hat Herr Thierse hier ja etwas ähnliches gemacht, und die Berliner Staatsanwaltschaft hat das Verfahren gegen ihn wegen Nötigung eingestellt, weil das keine Gewalt ist, wenn man sich auf die Straße setzt.

Hanselmann: Wegen geringer Schuld. Ich wollte den Fall auch ansprechen.

Wesel: Ja, ja.

Hanselmann: Das war die Begründung.

Wesel: Ja, und die sächsische Staatsanwaltschaft, die ist jetzt vor diesem Nötigungsparagrafen 240, den man früher gegen Sitzblockaden angewendet hat. Und das hat dann das Bundesverfassungsgericht 1985 oder 86 auch mal für richtig erklärt. Dann hat es aber 1995 gesagt: Wenn man sich auf die Straße setzt, ist das keine Gewalt, also keine Nötigung. Auf diesem Standpunkt standen noch die Berliner Staatsanwälte. Jetzt die Dresdner sind - ich sage das mal so ganz offen - etwas bösartiger, und haben das Versammlungsgesetz entdeckt, und da steht im Paragrafen 21, dass wenn man eine Demonstration mit Gewalt oder grober Störung behindert, man entweder zwei Jahre ins Gefängnis kommen kann oder eine Geldstrafe zahlen muss. Und nach dieser Vorschrift geht die Dresdner Staatsanwaltschaft nun vor, und behauptet, das sei eine ...

Hanselmann: ... grobe Störung gewesen.

Wesel: ... eine grobe Störung, und da kann ich nur sagen, es ist keine grobe Störung! Wir haben ein berühmtes Urteil ...

Hanselmann: Aber das ist gerade der interessante Fall: Wer entscheidet denn, wie grob eine solche Störung ist?

Wesel: Der Jurist.

Hanselmann: Der Jurist?

Wesel: Und zwar entweder ein ...

Hanselmann: Völlig unabhängig von seiner Parteizugehörigkeit? Im Idealfall ja, wollen Sie glaube ich sagen.

Wesel: Letztlich, Herr Hanselmann, kommen wir zum Bundesverfassungsgericht. Und ich bin fest überzeugt, das Bundesverfassungsgericht wird sagen, das ist keine grobe Störung. Denn es gibt einen berühmten anderen Fall, das ist der Fall Lüth, der ist 1958 entschieden worden. Lüth hat aufgefordert zum Boykott der Filme von Veit Harlan, und nach Paragraf 826, da steht sittenwidrige Schädigung. Was ist sittenwidrig? Und da hat das Bundesverfassungsgericht gesagt: Das muss man im Sinne des Grundgesetzes auslegen, das entscheiden die Richter. Die Hamburger Richter, die ihm das verboten haben, da zum Boykott aufzurufen, die hätten den Paragrafen 826 und das Wort sittenwidrig falsch ausgelegt. Hier haben wir das Wort grob. Grob ist genau so ein schwammiger Begriff wie Sittenwidrigkeit, und man muss es verfassungsgemäß auslegen, nach dem Sinn des Grundgesetzes. Und da kann ich nur sagen: Wenn eine Partei, die sich hier auf das Demonstrationsrecht beruft, aber letztlich nazistische Ziele verfolgt, die das Grundrecht beseitigt, also auch für alle anderen beseitigt, nur für sich selbst noch da lässt - wenn man sich gegen die wendet und sich auf die Straße setzt, ist das nicht grob. Und das sieht die Staatsanwaltschaft in Dresden anders. Und das finde ich unmöglich.

Hanselmann: Grob genauso also auslegbar, der Begriff, wie im Fall Thierse - ich habe es gesagt - wegen geringer Schuld: geringe Schuld, sehr geringe Schuld, etwas weniger geringe Schuld. Das ist ja ...

Wesel: Wissen Sie, da, von meiner Meinung nach, hier gibt es gar keine Schuld, weil schon das Wort, der Tatbestand grob nicht erfüllt ist. Die Staatsanwälte in Dresden sehen das anders, und ich meine, demnächst sollte man - so wie die Dame von der Schutzorganisation das gesagt hat - sich mal auf das Recht berufen, bisher nennt man das, die handeln legitim, und dann kann man einstellen gegen eine Buße oder etwas ähnliches. Das Wort Buße ist hier auch nicht richtig angebracht. Ich finde, man sollte das hier mal durchziehen bis zum Bundesverfassungsgericht. Bisher kann man natürlich auch sagen, ist es nicht illegal, weil sie gegen das Versammlungsgesetz verstoßen, ich sage, sie verstoßen überhaupt nicht gegen das Versammlungsgesetz. Die Dresdner Staatsanwaltschaft ist meiner Meinung nach ein bisschen bösartig. Und das sollte man ihnen mal zeigen.

Hanselmann: Sehen Sie einen Unterschied darin, ob sich ganz normale Bürger den Nazis in diesem Falle entgegensetzen, im wahrsten Sinne des Wortes, oder ob es Politiker tun, wie ja in Sachsen auch geschehen?

Wesel: Nein, da ist überhaupt kein Unterschied. Die Politiker sind ja an sich durch ihre Mitgliedschaft im Parlament, durch die Immunität geschützt, regelmäßig heben die Parlamente aber die Immunität auf, und dann kann die Staatsanwaltschaft tätig werden. In diesem Falle hat man die Immunität aufgehoben. Hätte ich als Parlament auch schon nicht gemacht.

Hanselmann: Wir haben eben gehört, dass dort reihenweise Demokratiestrafen verhängt wurden - Sie haben Buße gesagt, das ist auch nicht das richtige Wort -, 700 Euro für die Teilnahme an einer Sitzblockade sozusagen als Ausgleich an eine Aktion für Zivilcourage. Was halten Sie von solchen Demokratiestrafen?

Wesel: Es ist, auf Deutsch gesagt, lächerlich. Es ist hier allenfalls ein Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung. Da steht nämlich im Paragraf 24: Fußgänger müssen Gehwege betreten oder benutzen. Und wenn man dagegen verstößt, dann ist das eine Ordnungswidrigkeit, und dann ist die Strafe fünf bis 1000 Euro. Aber auch hier kann die Staatsanwaltschaft wegen Geringfügigkeit ein Verwarnungsgeld erheben oder nicht. Das Verwarnungsgeld geht von fünf bis 35 Euro. Nicht 700, das ist doch völliger Unsinn. Also, es ist, es bleibt nur ein Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung, und dann kann eingestellt werden. Wie? Nun, die Staatsanwaltschaft wegen Geringfügigkeit oder die Behörde kann verwarnen mit oder ohne Verwarnungsgeld.

Hanselmann: Und dazu wurde beklagt, wir haben es eben gehört, dass das verbunden ist natürlich mit einem Schuldeingeständnis. Denn wenn ich eine Strafe zahle, die verhängt wird, gebe ich auch zu, dass ich das Unrecht getan habe.

Wesel: Genau das ist auch das Problem. Ich würde das nicht gemacht haben.

Hanselmann: Was ist eigentlich das Fazit unseres Gespräches jetzt? Dass es letztlich doch von der politischen Färbung der jeweiligen Richter abhängig ist, ob und wie eine solche Aktion behandelt wird?

Wesel: Herr Hanselmann hat leider recht.

Hanselmann: Und damit auf zum Bundesverfassungsgericht!

Wesel: Und die werden anders entscheiden.

Hanselmann: Danke schön, Professor Uwe Wesel, schönen Tag!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Links bei dradio.de
Bußgelder für Sitzblockierer in Dresden - 700 Euro Strafe für die Teilnahme an der Blockade
Politologe Schedler zum Kampf gegen Neonazis und die "Autonomen Nationalisten
Dresden und die Neonazi-Aufmärsche
Mehr zum Thema