Junipero Serra

Heiliger Missionar mit dunkler Vergangenheit

Eine Statue des spanischen Missionars Junipero Serra steht vor der Mission San Gabriel Arcangel in San Gabriel im US-Bundesstaat Kalifornien: Am 23. September will der Papst den Franziskanerpater in Washington heiligsprechen.
Eine Statue des spanischen Missionars Junipero Serra steht vor der Mission San Gabriel Arcangel in San Gabriel im US-Bundesstaat Kalifornien: Am 23. September will der Papst den Franziskanerpater in Washington heiligsprechen. © picture alliance / dpa / Marcus Teply
Von Kerstin Zilm · 20.09.2015
Papst Franziskus will bei seinem USA-Besuch den spanischen Priester Junipero Serra heilig sprechen. Serra gründete im 18. Jahrhundert zahlreiche Missionsstationen. Nachfahren der Indianer, die unter Serra zum Christentum bekehrt wurden, sind entsetzt.
Norma Flores kommt in den schattigen Friedhof der Missionsstation von San Gabriel geeilt. Sie ist Sprecherin der Kizh Nation, einem Stamm indigener Bewohner Kaliforniens, der seit Jahrhunderten in der Region lebt. Flores bringt Bücher mit und eine große Tasche voller Dokumente, die viel mit diesem idyllischen Ort zu tun haben. Ihre Vorfahren haben die Missionsstation vor fast 250 Jahren unter Aufsicht des Franziskaners Junipero Serra gebaut. Eine Serra-Statue steht vor der Kirche, eine andere neben der 200 Jahre alten Weinrebe im Garten. Flores sammelt Unterschriften für ihre Petition gegen seine Heiligsprechung.
"Erstens wollen wir, dass der Papst sofort die Heiligsprechung von Junipero Serra aufgibt. Außerdem muss er die 'Doktrin der Entdeckung' zurückweisen, diese Päpstlichen Bullen, die all dies Plünderungen erlaubt haben."
Flores will der Erzdiözese von Los Angeles und dem Papst mindestens 10.000 Unterschriften vorlegen. Es fehlen nur noch ein paar hundert. Sie ist schockiert, dass der Papst den Missionar aus Mallorca heilig sprechen will. Für indigene Völker Kaliforniens ist Junipero Serra gleichbedeutend mit Unterdrückung und Zerstörung.
"Diese fremde Religion - Katholizismus - wurde uns aufgedrängt, und zwar ganz brutal. Wir haben nicht gehungert. Wir waren nicht dumm. Wir hatten eine hochentwickelte Gesellschaftsstruktur. Wir haben einander nicht getötet, hatten keine Pistolen und Kugeln. Warum sollte uns jemand erobern wollen? Sie wollten unsere Sklavenarbeit und unser Land."
Flores und ihre Mitstreiter haben mit ihrer Petition einen fast aussichtslosen Kampf vor sich. Der Papst hat die Heiligsprechung bereits gegen Vorwürfe der indigenen Völker verteidigt. Er wolle Katholiken weltweit anregen, mit der gleichen Großherzigkeit und dem gleichen Mut auf den Ruf Gottes zu antworten, wie Junipero Serra es tat.
Ungewohntes Essen und fremde Kultur aufgedrängt
Der spanische Theologe gab 1749 eine sichere Professorenstelle auf, um in Mexiko als Missionar zu arbeiten. 1769 kam er nach San Diego. Er beaufsichtigte dort den Bau der Missionsstation und die Bekehrung von "Indios", wie die Ureinwohner damals genannt wurden. Er kränkelte, war schwach und 55 Jahre alt - für damalige Verhältnisse fast ein Greis. Trotzdem gründete er noch acht weitere Missionsstationen. Der Erzbischof von Los Angeles, José Gomez, hält die Heiligsprechung Serras für hoch verdient.
"Junipero Serra war ein Mann von heldenhaften Werten und Heiligkeit. Er hatte nur ein Ziel: die Botschaft von Jesus Christus nach Amerika zu bringen. Außerdem war er ein Pionier der Menschenrechte. Die Heiligsprechung ist eine Aufforderung an uns, den Menschen auch die Botschaft Jesu mitzuteilen."
Norma Flores wird unruhig, wenn sie solche Worte hört. Sie blättert durch ihre Unterlagen, erzählt dabei, wie die Missionare den Indianern ungewohntes Essen und fremde Kultur aufdrängten, sie aus ihren Weidengeflecht-Hütten holten und in enge Behausungen nahe der Kirche zwängten, sie mit Masern, Pocken und Syphilis ansteckten. 300.000 Indianer lebten an der kalifornischen Westküste, als die spanischen Eroberer kamen. Über 80 Prozent von ihnen starben während der Kolonisation.
Flores liest aus einem Brief Junipero Serras an seinen Militärkommandanten in Mexiko vor. Den Brief gab er im Jahr 1771 vier Indianern mit, die mehrfach versucht hatten, aus einer Missionsstation zu flüchten.
"Ich schicke sie zu Ihnen, damit Exil und zwei oder drei Auspeitschungen an verschiedenen Tagen - je nach Belieben Ihrer Lordschaft - ihnen und anderen eine Warnung ist. Wenn Ihre Lordschaft keine Fesseln hat, können wir sie Ihnen von hier gerne zuschicken."
Physische Bestrafung müsse im Kontext gesehen werden
Dokumente wie dieser Brief sind Teil der Petition. Die Nachfahren der Indianer hoffen, dass sie Papst Franziskus zum Umdenken bewegen. Sie verstehen nicht, wie er im gleichen Jahr die indigenen Völker Amerikas um Vergebung für schwere Sünden während der Eroberung bitten und Junipero Serra heiligsprechen kann.
Das Erzbistum von Los Angeles erklärt, die physische Bestrafung von Indianern müsse man im Kontext sehen. Generalvikar Robert Brannon in einem Video auf der Website des Bistums:
"Körperliche Bestrafung war damals nichts Ungewöhnliches, auch wenn wir sie von unserem aufgeklärteren Standpunkt heute als nicht optimal ansehen."
Historiker John Macias hat für beide Seiten Verständnis. Seine Vorfahren stammen von indigenen Völkern Mexikos ab. Katholizismus spielt eine zentrale Rolle in seinem Familienleben. Macias wurde in der Mission San Gabriel getauft und ist dort inzwischen Vorstandsmitglied. Als "kompliziert" bezeichnet er die Heiligsprechung Serras.
"Der Papst fordert uns heraus, uns unserer katholischen Herkunft und Geschichte bewusst zu sein, der Rolle der Missionsstationen und dessen, was das alles für die indigenen Völker bedeutete - nämlich die Zerstörung ihrer Kultur, Herkunft und Identität."
Die Heiligsprechung des Franziskanerpriesters sei wichtig für die Anerkennung lateinamerikanischer Katholiken. Macias ist sicher: der Papst will die Geschichte der Eroberungen nicht so glorifizieren, wie das im Museum und auf den Tafeln im Garten und auf dem Friedhof dieser Missionsstation noch passiert.
"Momentan verbreiten wir eine sehr verklärte Version, vereinfacht und schöngefärbt. Andererseits - Serra war Missionar. Er folgte dem Auftrag der Kirche, Heiden zu bekehren. Das ist für manche schwer nachzuvollziehen. Die Indianer sollten zur Kirche gehen, arbeiten und den Sitten der spanischen Kolonien folgen."
"Diese schönen Missionen waren Sklavenlager"
Dabei arbeiteten spanische Kirche, Staat und Militär Hand in Hand. Strategisches Ziel war es, den Westen des Kontinents zu erobern, bevor Russland oder England es taten. Von Serra ist überliefert, dass er dabei gegenüber dem Militär mehrfach die Position der Indianer verteidigte, mindestens einmal die Todesstrafe gegen Revolutionäre verhinderte und gegen Vergewaltigung von Indianer-Frauen durch Soldaten persönlich beim Vizekönig protestierte.
Für Norma Flores, die Sprecherin der Kizh-Nation, war Serra trotzdem ein williges Werkzeug der Krone ohne Mitgefühl und Respekt für die Menschen, die in dem Land seit Generationen lebten.
"Diese schönen Missionen waren Sklavenlager, unser Volk war versklavt. Sie starben an Krankheiten, Frauen wurden vergewaltigt. Wir glauben wirklich: für Junipero Serra ist kein Platz im Himmel."
Auch wenn nur noch wenig Zeit bleibt bis zur Heiligsprechung - Norma Flores ist überzeugt: Papst Franziskus kann seine Entscheidung zurückziehen. Schließlich ist er der Papst!
"The Pope can do anything. He ist the Pope!"
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