Jungs als Bildungsverlierer

02.04.2009
Die katastrophale Situation im Bildungs- und Lehrstellenwesen ist vor allem eine Katastrophe für die Jungen. Das liegt vor allem daran, dass Mädchen in der Bildungspolitik gezielt gefördert und die Jungs komplett vergessen wurden, glaubt der Medienwissenschaftler Arne Hoffmann.
Es genügt ein Blick in die Statistik. Vor rund zwanzig Jahren war noch die Hälfte der Abiturienten in Deutschland männlichen Geschlechts, heute sind es nur noch nur 43 Prozent.

"Dafür brachen im Jahr 2005 16 Prozent mehr Jungen die Schule ab als noch im Jahre 1992."

Warum haben die Jungs in unseren Schulen zunehmend das Nachsehen? Warum werden den Schülerinnen die besseren Zeugnisse ausgestellt, scheinen die Mädchen vernünftiger, organisierter, leistungsfreudiger? Hoffmann bietet ein Spektrum von Erklärungen an: pädagogische, sozialpsychologische, medienwissenschaftliche, zuerst aber historisch-politische:

"Jungen waren unserer Gesellschaft jahrzehntelang egal."

Die Schattenseite der Frauenemanzipation, wie Hoffmann befindet. Die Achtundsechziger haben sie eingeläutet, und nun, vierzig Jahre später, ernten wir die faulen Früchte einer einseitig feministischen Politik. Sie hat den Kampf gegen das Patriarchat verwechselt mit dem Kampf gegen die Männlichkeit an sich.

"Das Negativ-Klischee vom 'Mangelwesen Mann' wird seit Jahrzehnten medienwirksam verbreitet."

heißt es im Vorwort. Frauenförderung dagegen werde großgeschrieben: die Schulen haben den "Girls' Day" eingeführt, rund 200 Millionen Euro gibt die Republik jährlich aus für die Integration von Frauen in Männerberufe. Dagegen hatten Jungen in der deutschen Bildungspolitik der letzten 40 Jahre kaum eine Lobby. Hoffmann zitiert den Bielefelder Jugendforscher Klaus Hurrelmann:

"Wir haben die Jungs gar nicht gefördert! Wir haben geglaubt, die setzen sich alleine durch, die sind ja Jungs, das starke Geschlecht. - Das war ein Irrglaube!"

Ein Grund für die männliche Bildungsmisere der Gegenwart, so Hoffmann, ist die Feminisierung der Schulen. Der Frauenanteil bei den Lehrerstudenten liegt inzwischen bei 87 Prozent, in Brandenburg sind schon 93 Prozent der Grundschullehrer weiblich.

Lehrerinnen stellen sich in ihrer Unterrichtsgestaltung aber eher auf Schülerinnen ein als auf Schüler.

"Es ist vermutlich kein Zufall, dass die Prüfungsergebnisse von Jungen in dem Maße schlechter werden, wie die Zahl der Lehrerinnen zunimmt. Hinzu kommt, dass in den Familien oft die Väter fehlen. 20 Prozent aller Mütter in Deutschland erziehen ihre Kinder allein. Und es sind überwiegend die Söhne von abwesenden Vätern, die in der Schule durch Verhaltensstörungen oder Leistungsprobleme auffallen."

Ein "abwesender Vater" ist nach Hoffmanns Definition auch einer, der zwar zu Hause wohnt, sich aber nicht um die Erziehung seiner Sprösslinge schert.

Von den Ansprüchen allein erziehender Müttern geprägt und durch weibliche Lehrkräfte beurteilt, die vor allem Ordnung, Fleiß und Anpassungsbereitschaft belohnen, werden Jungen zunehmend als Störfaktor wahrgenommen, vor allem die eher chaotischen und die mit aggressivem Temperament. Das Ergebnis:

"Die Jungen flüchten in eine Alternativwelt, die Computerwelt, für die sie mittlerweile bessere Ausstattungen mitbringen. In den virtuellen Welten sind sie, die ununterbrochen alles nur falsch machen, endlich vollkommen."

Nach Hoffmanns Prognose läuft die Bildungspolitik in diesem Land darauf hinaus, dass sich immer mehr junge Männer ohne Ausbildung und Arbeitsplatz aus der sozialen Wirklichkeit verabschieden zugunsten bunter virtueller Träume. Auf diese Weise wird nicht nur massenhaft persönliches Leid produziert, sondern auch eine tickende Zeitbombe für unsere Sozialkassen.

Aber Hoffmann ist nicht einfach ein schwarzer Prophet, Hoffmann sucht Wege aus der Krise:

"Wie wir unsere Söhne retten können. Das Zehn-Punkte-Sofortprogramm."

so ist das Schlusskapitel dieses Buches überschrieben - ein Appell an Politiker und Soziologen, Lehrer, Verleger, Leute von Film und Fernsehen: Wir brauchen Schulen, die neue pädagogische Konzepte erproben, wir brauchen Verlage, die sich mit den Leseinteressen speziell von Jungs beschäftigen, wir brauchen Medien, die jungen Männern attraktive männliche Vorbilder präsentieren.

Die gute Nachricht: All das gibt es schon in Deutschland, nur eben vereinzelt und sporadisch. Hoffmanns Buch versteht sich auch als Informationsübermittler. Und wenn der Autor feststellt:

"Wir müssen mehr Männer für erzieherische Tätigkeiten werben!"

dann will er nicht nur mehr männliche Abiturienten für ein Lehrerstudium begeistern. Er will vor allem auch Vätern Mut machen und ihnen ins Gewissen reden, sie mögen die Erziehung ihrer Kinder nicht einfach den Müttern und Lehrerinnen überlassen.

Am Ende kann man dem Autor nur beipflichten. Hoffmanns Appell, die Jungen vor Bildungsfrust, Computersucht und sozialem Abstieg zu bewahren, kann leider nicht abgetan werden als private Panikmache eines gekränkten Machos. Der Autor malt manchmal schwarz-weiß, keine Frage. Aber das Buch lebt von soziologischem Faktenmaterial und ist schon deshalb von erheblicher politischer Brisanz.

Rezensiert von Susanne Mack

Arne Hoffmann: Rettet unsere Söhne. Wie den Jungs die Zukunft verbaut wird und was wir dagegen tun können
Pendo Verlag, München 2009
188 Seiten, 16,95 Euro