Junge Probeabgeordnete mit "viel Freude" dabei

Petra Ernstberger im Gespräch mit Nana Brink · 12.06.2012
Es sei für echte Abgeordnete motivierend, die Teilnehmer der dreitägigen Veranstaltung Jugend und Parlament im Bundestag zu erleben, so Petra Ernstberger, Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD. Die Parteien müssten aber ihre Strukturen verändern, um für mehr junge Menschen attraktiver zu werden, und nicht nur für die sowieso von Politik begeisterten, forderte sie.
Nana Brink: Generation Null Bock – so würden wahrscheinlich viele Erwachsene gerne ihre pubertierenden Kinder bezeichnen, was beim genaueren Hinsehen aber nicht stimmt. Viele junge Leute interessieren sich sehr wohl für Politik im Kleinen, organisieren Kampagnen, nicht nur prominente wie die Occupy-Bewegung. Aber – und das ist auch die Wahrheit – für die Parteien interessieren sie sich weniger. Nicht umsonst fällt es, mal abgesehen von den Piraten, den etablierten Parteien schwer, junge Menschen zu gewinnen, auch für den Job des Politikers.

Vor diesem Hintergrund ist die Veranstaltung Jugend und Parlament zu sehen, von Sonntag an bis heute haben 312 Jugendliche aus dem gesamten Bundesgebiet sozusagen ein Probemandat. Das heißt, sie übernehmen im Deutschen Bundestag die Rolle von Abgeordneten und simulieren den politischen Alltag, müssen Gesetzesinitiativen erarbeiten und im Plenum Mehrheiten gewinnen.

Eine, die das Projekt schon lange begleitet, ist jetzt am Telefon, Petra Ernstberger, SPD-Bundestagsabgeordnete und Berichterstatterin für Jugend und Parlament beim Ältestenrat. Schönen guten Morgen, Frau Ernstberger!

Petra Ernstberger: Guten Morgen!

Brink: Gestern gab es Fraktions- und Ausschusssitzungen. Können Sie sich als Abgeordnete von den jungen Leuten schon was abschauen?

Ernstberger: Also die Begeisterung ist es. Es ist wirklich ein Erlebnis, was einen selber motiviert, wenn man sieht, mit wie viel Freude die jungen Leute wirklich an diese manchmal auch zähe und harte Arbeit gehen. Und das ist etwas, was man wirklich auf unsere Arbeit manchmal auch übertragen sollte.

Brink: Also doch was abschauen. Wie muss ich mir das denn vorstellen, mussten die jungen Leute wirklich direkt in Parteiausschusssitzungen und Gesetzestexte erarbeiten?

Ernstberger: Ja, also das Allererste und eines der schwierigsten Hürden ist, dass bei diesen Simulationen jeder eine neue Identität bekommt. Er bekommt also einen Kurzlebenslauf – ich sage mal, da ist jemand, 60 Jahre alt, kommt aus Karlsruhe, hat Volkswirtschaft studiert und in einem Unternehmen gearbeitet, und landet jetzt in der Partei, der Christlichen Volkspartei, und muss als solcher als Abgeordneter dort agieren. Der Junge oder das Mädchen kommt vielleicht aus Nordrhein-Westfalen, ist 21 Jahre alt und vielleicht von seiner Einstellung her eher – sage ich jetzt mal – den Grünen zuzuordnen.

Und das ist die erste Hürde, die die jungen Menschen übergeben müssen, dass sie sich wirklich in diese Rolle auch einlassen. Wie würde jemand mit diesem Hintergrund agieren, welche Argumente würde der finden, um dann wirklich – sie bekommen ja vier Themen vorgegeben, in denen die dann wirklich auch Gesetzesinitiative erarbeiten müssen. Da muss nun dann halt auch argumentiert werden und verteidigt werden, und eben nicht aus dem eigenen Standpunkt heraus, sondern dem der Rolle. Und das ist manchmal nicht ganz einfach.

Brink: Pardon – was war denn das, was die jungen Leute am meisten interessiert hat? Sie haben es angesprochen, es gab mehrere Themen, unter anderem auch Datenschutz in den digitalen Medien oder Pkw-Maut. Was war Ihr Eindruck, was hat die jungen Leute am meisten interessiert?

Ernstberger: Die Pkw-Maut war schon ein Thema, weil es sind ja schon auch viele dabei, die ja schon Fahrzeuge fahren. Und die Datenübertragung war natürlich auch was, das ist etwas, was den Alltag der jungen Leute wirklich beeinflusst und wo sie wirklich mit Herz und Seele dann auch dabei sind.

Brink: Normalerweise sagen ja viele junge Leute, der Job des Politikers gehört zu den am wenigsten angesehenen in Deutschland. Haben Ihnen die jungen Leute gesagt, warum? Was haben Sie ihnen geantwortet?

Ernstberger: Also diejenigen, die da hier sind, die sind wirklich auch sehr motiviert. Also das ist jetzt eigentlich eine Zielgruppe, die man diese Sachen eigentlich weniger fragen kann. Sicher gibt es welche, die null Bock auf so was haben, aber diese jungen Leute, die jetzt hierher kommen, das sind die, die sich gesellschaftlich irgendwo immer schon engagieren und engagiert haben.

Brink: Haben Sie denn auch erfahren, was sie über dieses politische System, also über den Bundestag halten?

Ernstberger: Also die meisten finden das System schwierig. Viele glaube nicht, dass so viel Handwerk dabei ist, viel arbeiten an Texten und solchen Dingen, und dass es natürlich auch manchmal schwer ist – da hat man eine Superidee, hat die in seinem Ausschuss durchgesetzt, und dann wird es noch mal in den Fraktionen diskutiert und man wird überstimmt. Das ist auch eine Erfahrung, die wichtig ist.

Brink: Jetzt erleben wir das ja gerade, etwas, was viele Menschen frustriert, der sogenannte Machtpoker, das Geschachere, wir erleben das jetzt gerade beim Fiskalpakt nach dem Motto: Ich gebe dir das, dann gibst du mir das. War das auch Thema?

Ernstberger: Da bin ich nicht direkt drauf angesprochen worden, nein. Also das kann sein, dass die jetzt das in den internen privaten Runden diskutiert haben, aber ich habe da jetzt keine direkten Erfahrungen mit gemacht.

Brink: Noch mal auf die Politikverdrossenheit zu sprechen zu kommen, eine Shell-Studie von 2002 besagt, dass der Anteil der politisch interessierten Jugendlichen von 57 Prozent im Jahr 1991 auf 34 Prozent gesunken ist. Womit erklären Sie sich das?

Ernstberger: Politik ist unheimlich kompliziert geworden, es gibt nicht mehr die einfachen Lösungen und auch nicht die einfachen Antworten, und man muss sich wirklich in Themen hineinarbeiten. Dazu ist auch viel oftmals nicht die Lust vorhanden, und auch nicht die Zeit. Auch die Jugendlichen stehen unter Leistungsdruck in Schule, Universität und so weiter, und das macht es dann manchmal schon schwierig, sich dafür zu begeistern.

Das Zweite ist natürlich, dass auch die Parteien als etwas angestaubt gelten. Und da müssen auch in den Parteien sich Strukturen verändern, um eine gewisse Attraktivität für Jugendliche auch zu haben.

Brink: Vielleicht können sich ja dann heute viele Abgeordnete mal das Plenum angucken, das tagt nämlich heute um 09:00 Uhr, und da kann man die Nachwuchspolitiker beobachten. Herzlichen Dank! Petra Ernstberger war das, SPD-Bundestagsabgeordnete und Berichterstatterin für Jugend und Parlament beim Ältestenrat.

Ernstberger: Herzlichen Dank ebenfalls!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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