Junge Israelis vertrauen auf "harte Linie"

Ralf Hexel im Gespräch mit Ulrike Timm · 20.06.2011
Eine große Studie befragte junge Leute in Israel zu ihrem Lebensgefühl, zu ihrem Blick auf die arabische Welt und zu ihrem Deutschland-Bild. Ralf Hexel, Leiter der Friedrich-Ebert-Stiftung Israel, hat zum Teil überraschende Erkenntnisse gewonnen.
Ulrike Timm: Jeder Israeli ist von Kindheit auf gewohnt, in einer unsicheren Region zu leben, in einem kleinen und schwer erkämpften Staat, der sich behaupten muss, dessen Methoden sich zu behaupten aber auch zunehmend zur Debatte stehen. Wer heute in Israel jung ist, für den ist etwa der Sechstagekrieg von 1967 Geschichte; das Brodeln im ehemals besetzten und 2005 als palästinensisches Autonomiegebiet zurückgegebenen Gazastreifen, dieses Brodeln gehört dagegen zu den täglichen Nachrichten, die junge Leute erreichen.

Was denken junge Israelis über ihr Land, worauf hoffen sie und was haben die 15 bis 25 Jahre alten Menschen vielleicht jetzt schon an Hoffnung aufgegeben? Eine große Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung und des Macro Center for Political Economics aus Tel Aviv hat junge Leute zu ihrem Lebensgefühl und ihren Erwartungen befragt. Und wohl wissend, dass es die Jugend nicht gibt, haben sich für Ralf Hexel, den Leiter der Friedrich-Ebert-Stiftung Israel, doch Eindrücke ergeben, wie eine junge Generation in diesem Land tickt. Herr Hexel, ich grüße Sie!

Ralf Hexel: Guten Morgen!

Timm: Herr Hexel, gibt es etwas, was den meisten jungen Leuten in Israel heute gemeinsam ist, wenn sie an ihr Land denken?

Hexel: Ja, das gibt es. Ganz wichtig ist vielleicht, und Sie haben das auch schon angedeutet: Die jungen Israelis in dem Sinne als homogene Gruppe gibt es nicht, es gibt junge Juden in Israel, das sind ungefähr 75 Prozent der Bevölkerung, es gibt die Araber in Israel, die ganz anders ticken und andere Einstellungen haben. Aber was beiden großen Gruppen gemeinsam ist, dass sie, obwohl es ringsum unsicher ist und der Konflikt prägt ihr Leben, dass sie eigentlich ziemlich optimistisch ins Leben gucken, was ihre persönlichen Lebenserwartungen, Einstellungen betrifft. Wenn es aber um konkrete politische Einstellungen geht, um ihre Stellung zur israelischen Gesellschaft, zu Fragen von Demokratie oder zum Nahostkonflikt, dann gibt es eine ganze Menge Unterschiede.

Timm: Worin bestehen die denn, wenn zum Beispiel drei Viertel der jungen Israelis jüdisch sind, ein rundes Viertel arabische Israelis? Gibt es da Dauerkonflikte wie bei den Älteren, oder gehen die jungen Leute damit selbstverständlicher um?

Hexel: Selbstverständlich in dem Sinne, dass es für sie einfach eine Realität ist, mit der sie leben. Und die ist für die jungen Araber in Israel dadurch gekennzeichnet, dass sie eben nicht volle Chancengleichheit erfahren, dass es bestimmte Formen von Diskriminierung gibt. Im Gesetz ist Gleichstellung zwischen Juden und Arabern in Israel garantiert, aber in der ganz konkreten gesellschaftlichen Praxis sieht das dann doch ein bisschen anders aus. Und das nehmen die jungen Araber in Israel ganz bewusst wahr. Und auch für die andere Seite, für junge jüdische Israelis, ist das auch sozusagen eine Gegebenheit. Und vor allem sind beide Gruppen kaum in Kontakt miteinander, sie kennen sich persönlich nicht, sie leben zumeist in getrennten Städten, sei gehen getrennt zur Schule. Die jungen jüdischen Israelis dienen der Armee, die jungen Araber nicht. Also das sind getrennte Lebenswirklichkeiten dann auch für beide Gruppen.

Timm: Wenn man mal außenpolitisch guckt für Israel: Man sagt ja so vornehm, der Friedensprozess im Nahen Osten stagniert; Tatsache ist ja, dass die Region etwa seit der Regierungszeit des ermordeten früheren Staatschefs Rabin eine andere geworden ist, eine deutlich desillusioniertere, eine konservativere hinsichtlich der Regierungspolitik. Wie spiegelt sich das im Denken junger Leute, sind die konservativer als früher?

Hexel: Ja, ich glaube, die Region, Sie haben jetzt Jitzchak Rabin angesprochen, der 1995 ermordet wurde … Mit ihm verbunden waren große Hoffnungen, großer Aufbruch sowohl in Bezug auf den Friedensprozess, er hat mutige Schritte eingeleitet, den Friedensprozess mit den palästinensischen und den arabischen Nachbarn, aber auch innerhalb Israels hat er, wie es noch kein Premier vor ihm gemacht hat, politische Maßnahmen ergriffen, die in Richtung Gleichstellung, Chancengleichheit für die arabischen Bürger Israels bedeuteten. Das ist vorbei, inzwischen gab es die zweite Intifada, es gab wieder Kriege im Nahen Osten, und die jungen Leute – wie der Rest der Bevölkerung auch – sind desillusioniert. Sie glauben nicht mehr daran, dass die Politik diesen Konflikt lösen kann. 90 Prozent der Jugendlichen sagen, die Politik schafft das nicht, während aber auch gleichzeitig fast genau so viele immer noch für eine Zweistaatenlösung sind, sie glauben, dass es gut ist.

Und einher damit geht, dass viele junge jüdische Israelis, sagen wir mal so, was wir so im Links-Rechts-Spektrum beurteilen, sich eindeutig mehr rechten politischen Einstellungen zugehörig fühlen. Weil sie desillusioniert sind von der Politik in Israel, von dem, was Politik in Israel erreicht hat. Und sie glauben, dass man im Konflikt mit einer harten Linie, mit einem starken Militär, mit einer starken Armee – das ist die am meisten geachtete Institution in Israel –, dass das die größte Sicherheit ist für die Existenz Israels und für das Weiterbestehen des jüdischen Staates.

Timm: Sie haben die 15- bis 25-Jährigen befragt, also die Generation, die in zehn, 15 Jahren, 20 Jahren das Ruder übernehmen wird. Wenn die jetzt schon nicht mehr an Verhandlung in der Politik glauben, dann ist das eigentlich ein ziemlich beunruhigendes Indiz, oder?

Hexel: Ja, das ist … Ich würde sagen, es ist auf alle Fälle, was da passiert und was diese Studie gezeigt hat, wir haben immerhin 1600 junge Leute in der Altersgruppe, die Sie genannt haben, befragt – übrigens nicht die, die bei der Armee sind, im Alter von 18 bis 21, die sind ausgeklammert, die wurden nicht befragt während des Militärdienstes …

Timm: … warum?

Hexel: Weil natürlich diese jungen Leute keine politischen Einstellungen abgeben sollen, und die sind sozusagen in der Zeit – das gilt auch für jegliche Umfragen, die in Israel gemacht werden …

Timm: … ach so, die sind im Dienst, selbst wenn man es nachträglich anonymisieren würde?

Hexel: Ja, die sind im Dienst, und es ist praktisch in Israel dann nicht erlaubt, dass man da junge Leute, die im aktiven Militärdienst sind, befragt. Also diese Gruppe, die sind dann nicht dabei. Ich glaube, es ist ein Weckruf, der zeigt, was man tun muss, wo Probleme liegen in der Gesellschaft: Einmal das, was wir so als Rechtsentwicklung beschreiben, zweitens auch dieser, ich würde gar nicht mal sagen Pessimismus, es ist einfach irgendwie auch eine realistische Einstellung. Denn schließlich ist es nicht gelungen, weder den israelischen und palästinensischen Politikern noch der massiven Hilfe der Amerikaner. Alle Präsidenten haben sich immer engagiert, von Bush bis jetzt Barack Obama, den Konflikt zu lösen. Und insofern ist es, glaube ich, nicht verwunderlich, wenn junge Leute sagen, ja mein Gott, seit 20 Jahren wird es versucht, wer soll es bringen, Politik nicht! Also vertrauen wir auf das, was sich bewährt hat: eine starke Armee! Gut ist das bestimmt nicht, aber das ist die Realität und zeigt auch, dass die jungen Leute eher nüchtern sind und realistisch, als jetzt vielleicht Wunschträumen nachzuhängen. So würde ich das sehen.

Timm: Das "Radiofeuilleton" von Deutschlandradio Kultur, Ralf Hexel, der Leiter der Friedrich-Ebert-Stiftung Israel ist zu Gast im Studio. Und wir sprechen über eine Studie, die sich dem Lebensgefühl und den Erwartungen junger Israelis widmet. Herr Hexel, wie sehen die jungen Israelis eigentlich den Aufbruch dieses Frühlings in den arabischen Nachbarländern? Mit Freude, mit Mitgefühl oder mit Angst?

Hexel: Ich glaube, auch eher nüchtern, mit gemischten Gefühlen. Ich glaube, junge Israelis finden es schon gut, wenn auch in den Nachbarländern, wenn es mehr Demokratie gibt, wenn die Menschen beteiligt sind an der Gestaltung von Gesellschaft und Politik. Zugleich haben sie natürlich die Erfahrung ihres Landes, Israel wird von vielen arabischen Nachbarn nach wie vor nicht anerkannt in seiner Existenz, es wurden mehrere Kriege geführt. Und das wissen die jungen Leute, die meisten haben in der Armee gedient und sie sind sehr skeptisch. Und ein großer Teil von ihnen sagt auch in dieser Umfrage, dass sie glauben, dass dann, wenn die Araber die Möglichkeit hätten, dass sie Israel zerstören würden. So, das ist eine Sache, sozusagen die eigene historische Erfahrung. Da hat sich einiges verändert, man kann, glaube ich, heute nicht mehr sagen, dass alle arabischen Länder Israel beseitigen oder vernichten möchten.

Aber wenn wir in den Iran gucken – kein arabisches Land zwar, aber auch ganz in der Nähe –, der spricht ganz offen davon, Israel beseitigen zu wollen. Das ist die eine Sache. Und die zweite ist, dass man natürlich auch, wenn man von hier schaut, die Bilanz dieses arabischen Frühlings natürlich gemischt ist. Jetzt ist klar, dass es Demokratien gibt, das wissen wir nicht, es gibt Instabilität, es gibt Bürgerkrieg, in Libyen ist er schon bereits in vollem Gange, in Syrien. Insofern, glaube ich, ist eine gewisse Zurückhaltung aus israelischer Sicht auch gar nicht so verfehlt, denke ich. Und auch da sind junge Leute, glaube ich, ziemlich nüchtern und realistisch und machen sich da keine Illusion über sozusagen Träume einer schnellen Demokratie in ihrer Nachbarschaft.

Timm: Und wie es sein würde, wenn Israel nicht mehr die einzige Demokratie im Nahen Osten ist. Herr Hexel, eine deutsche Stiftung im Gespräch mit jungen Israelis, die macht natürlich auch deren Blick auf Deutschland zum Thema, ganz klar, auf die Geschichte, auch auf den Holocaust. Wie sehr ist denn das bei den jungen Israelis heute von Interesse?

Hexel: Da hat die Studie uns ein bisschen überrascht. Wir machen diese Studie ja zum dritten Mal, wir haben das 1998 zum ersten Mal gemacht, dann 2004, 2010 zum dritten Mal, da könne wir also auch schon etwas längerfristige Entwicklungen und Trends sehen. Und zwischen 1998 und 2010 hat sich die Zahl von jungen Leuten, für die der Holocaust ein wichtiges Thema ist, mit dem sie sich sehr beschäftigen, von 61 auf 81 Prozent zugenommen. Das ist also schon eine ziemlich große Steigerung. Der Holocaust spielt also eine große Rolle für junge Israelis, für ihre Identität, für die Identifikation mit dem Land. Das hat damit zu tun, dass innerhalb des israelischen schulischen Ausbildungsprogramms jedes Jahr Tausende - ungefähr 20.000 sind es – Oberschüler in die Vernichtungslager fahren, nach Auschwitz, nach Treblinka, und da ganz direkt natürlich erleben, sehen können, was passiert ist.

Zugleich damit – und das ist auch überraschend – sehen junge Israelis heute Deutschland nicht mehr als Land sozusagen von Nazis, von denen, die Israel bedrohen, sondern sie haben eine positive Einstellung gegenüber Deutschland, Deutschland wird als eine Demokratie gesehen, als ein Land, das Israel freundlich gesinnt ist. Und das Interessante ist, dass auf der einen Seite diese ganz klare Wahrnehmung des Holocaust und auch, was die Deutschen damals getan haben, irgendwie getrennt ist von der heutigen Wahrnehmung. Das führt nicht zu einer Relativierung dessen, was damals passiert ist, sondern sie sind sehr klar in ihrer Wahrnehmung der Vergangenheit und entwickeln trotzdem mehr und mehr eine positive Einstellung gegenüber Deutschland. Und sehr viele kommen ja nach Berlin. Da gibt es Zahlen, manche sprechen von 15.000 jungen Israelis, die in Berlin derzeit leben.

Timm: Ralf Hexel, Leiter der Friedrich-Ebert-Stiftung Israel, war unser Gast. Eine Studie, die die Friedrich-Ebert-Stiftung gemeinsam mit dem Macro Center for Political Economics erstellt hat, wird morgen in Berlin vorgestellt, eine Jugendstudie zu dem, was junge Israelis denken, meinen, hoffen, glauben. Herr Hexel, ich danke Ihnen sehr für Ihren Besuch im Studio!

Hexel: Danke!

Friedrich-Ebert-Stiftung Israel
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