Junge Abenteurer im Nachkriegsdeutschland

11.07.2012
Der Schriftsteller Oliver Storz hinterließ nach seinem Tod 2011 ein Fragment und einige kurze Erzählungen, die in dem Band "Als wir Gangster waren" erscheinen. Mit schnoddriger Sprache erzählt er von den Sehnsüchten der Halbwüchsigen nach dem Ende des Krieges.
Lucky Strikes sind die neue Währung, doch die GIs im Jeep sind nicht für jeden die Befreier. Schon in seinem bekanntesten Roman, der "Freibadclique" (2008), erzählt Oliver Storz von jener Umbruchszeit, dem letzten Kriegsjahr auf dem Land irgendwo im Hohenlohischen und dem ersten Sommer 1945. Ein hinreißendes Pubertätsdrama über eine Jugendgang, in der sich keiner mehr um verordnetes Heldentum scherte, stattdessen jeder nach Swing gierte, dem ersten Kuss und Chewing-Gum.

"Als wir Gangster waren" sollte eine Fortsetzung sein. Doch Oliver Storz hinterließ bei seinem Tod 2011 nur ein Fragment, in dem freilich Motive und Figuren des Vorgängers wieder aufgenommen und fortgeschrieben wurden. Wie dort wird aus der Perspektive der Jugendlichen erzählt, unsentimental, knapp, mit geradezu unheimlicher Leichtigkeit.

Im Zentrum steht wieder ein in der Kleinstadt S. plötzlich auftauchender junger Mann, der mutig, arrogant, halbstark sich an die Spitze der Clique stellt, auf dem Schwarzmarkt mitmischt und am Ende von amerikanischen Soldaten versehentlich erschossen wird. Auch hier beschäftigt den seiner eigenen Biographie nachspürenden Autor die Frage, ob man sich auf die Erinnerung verlassen kann, denn "das Gedächtnis ist unsolide". Immer wieder wird geprüft, für zu leicht befunden und verworfen: "Halt, halt, das ist doch Unsinn! Nachkriegswissen! Woher soll ich damals diese Bilder…genommen haben im April 1945".

Um jene Umbruchszeit, als "wir des Führers Jugend nur noch widerwillig gewesen" sind ("einen neuen Besitzer wollten wir nicht… nie mehr"), kreisen auch die vier posthum erstmals veröffentlichten Erzählungen. " Ein Ausflug im Sommer" erzählt von einer Familie, die eine Wanderung ins Nachbardorf unternimmt. Der Ich-Erzähler, in die Tochter verliebt, schließt sich der Gruppe an, nicht ahnend, dass das Ziel ein Schulhof ist, wo in einem grausamen Spektakel ein polnischer Zwangsarbeiter durch die SS gehängt wird.

Wie subtil Storz das brutale Geschehen im sommerlichen Idyll vorbereitet und es an pubertäre Träume knüpft, das fördert mehr über die Zeit zutage, den Alltag im Dritten Reich, als jedes Geschichts- oder Sachbuch über die Traumatisierung der dritten Generation. Grandios auch die Erzählung "Flatts Sieg", in der aus dem Blickwinkel des unbeteiligten Jugendlichen die Mühen eines wieselflinken Mitläufers gezeigt werden, eines Opportunisten, der immer durchkommt, egal ob unter der Diktatur oder den Befreiern.

Was Oliver Storz auszeichnet, ist nicht nur die grundsätzliche Skepsis gegenüber einfachen Wahrheiten und jeder Art von pathosgeladener Erinnerung. Es ist auch, wie Dominik Graf in seinem Vorwort schreibt, ein ungewöhnlicher Sound, der "immer schon Jazz" war. In der Tat, die schnoddrig-raue Sprache, die er seinen halbwüchsigen Protagonisten in den Mund legt, kennt keine falschen Gefühle. Während zwischen den Zeilen etwas von deren Verzweiflung aufscheint, in eine verbrecherische, jeden um seine Jugend betrügende Zeit geworfen zu sein, behauptet der trotzige Ton die Sehnsucht nach einem anderen, offenen Leben.

Nur ein Fragment und ein paar kurze Erzählungen, aber "Als wir Gangster waren" ist ein wunderbar zeitloses und somit aufklärerisches Buch im besten altmodischen Sinne.

Besprochen von Edelgard Abenstein

Oliver Storz: Als wir Gangster waren
Graf Verlag, München 2012
185 Seiten, 18 Euro