Julius Posener

Julipo war ein Bourgeoisaurus

Der im Jugenstil erbaute S-Bahnhof Mexikoplatz mit seiner markanten Kuppel im Berliner Bezirk Steglitz-Zehlendorf
In der Nähe lebte Julius Posener: Der im Jugenstil erbaute S-Bahnhof Mexikoplatz im Berliner Bezirk Steglitz-Zehlendorf © picture alliance / dpa / Manfred Krause
Von Peter Kaiser · 31.10.2014
110 Jahre alt wäre er geworden, der als "Nestor" bezeichnete Julius Posener. Sein Charisma strahlt bis heute. Für die Architekturgeschichte war Julius Posener ein seltener Glücksfall. Denn wie keiner vor ihm konnte "Julipo", wie ihn seine Vertrauen nannten, Altes mit Neuem zu etwas Anderem verbinden. Ein Porträt.
Helga Schmidt-Thomsen: "Dieser Platz mag in den ersten Augenblicken sehr unspektakulär aussehen"
Am 17. 8. 2012 wurde der Julius-Posener-Platz im gutbürgerlichen Berliner Bezirk Zehlendorf eingeweiht. Der Platz liegt idyllisch an der Rehwiese und nah des Nikolassees.
Helga Schmidt-Thomsen: "... es war der Ort, von dem aus man mehrere Villen sehen konnte, die von Hermann Muthesius erbaut sind. Und die Rehwiese war ein Lieblingsort von Julius Posener, schon immer der richtige Ort."
Heike Ularich: "Julius Posener, das ist eine schöne Geschichte. Als ich meine Magisterararbeit anfing zu schreiben, da ging es um die Landhäuser von Erich Blunck, und bei den Recherchen stellte ich fest, dass in einem dieser Landhäuser Julius Posener wohnte."
Heike Ularich hat 1993 ihre Magisterarbeit über die Landhäuser von Erich Blunck, einem Architekten der 1910er-Jahre verfasst.
Heike Ularich: "... dann habe ich ihn also angeschrieben, ich habe einen Brief geschrieben ... und ihn gebeten mir das Haus anzusehen."
Am 4. November 1904 wird Julius Posener geboren. Er entstammt einem jüdisch-bürgerlichen Haus, und wächst im Villenviertel Lichterfelde-West als "Bourgeoisaurus" auf, wie er sagte. Später schreibt er zur Jugendzeit im kaiserlichen Berlin.
Zufrieden mit sich und der Welt
Aus: Julius Posener, Heimliche Erinnerungen, 2004:
"Ich lebte in Deutschland, dem besten Land, das es gab, in Lichterfelde, dem besten Villenvorort seiner Hauptstadt, im besten Haus mit dem besten Garten weit und breit ... wenn ich mir das abends vor dem Schlafengehen vorsagte, war ich zufrieden mit der Welt und dem lieben Gott sehr dankbar."
Heike Ularich: "... und er lud mich ein, ... dass ich mir das Haus von innen ansehen durfte."
Neues und altes Bauen, Architektur als Ganzes – in dieser geistes-wissenschaftliche Disziplin wird Julius Posener lebenslang wohnen wie kaum ein zweiter. Nach dem Architekturstudium ist er im Büro von Erich Mendelssohn in Berlin tätig. Erich Mendelssohn ist unter anderem auch der Architekt des einzigartigen Einsteinturms auf dem Potsdamer Telegrafenberg.
Die Architektin Helga Schmidt-Thomsen: "Erich Mendelssohn war für Julius Posener außerordentlich wichtig. Er war jemand, der einen eigenen Weg gefunden hat mit so einem expressiven Bauen, was noch sehr skulptural ist, und nicht so an der Funktion ausgerichtet."
Heike Ularich: "Es war dann nämlich so, dass Herr Posener es sich nicht hat nehmen lassen, nicht nur mir das Haus zu zeigen, in dem er wohnte und mir die Dinge zu erklären. Nein, er hat mich dazu eingeladen zu einer Privatführung mit ihm durch den Schlachtenseekiez zu laufen, wo ja alle relevanten Architekten der 20er Jahre und auch Jahrhundertwende gebaut haben. So lief ich also mit Julius Posener im Januar an den Häusern vorbei von Mies van der Rohe, Walter Gropius, Muthesius, und durfte mit ihm diskutieren, was daran jetzt wichtig für die Zeit ist und was nicht."
Renate Flagmeier: "Julius Posener hat immer gesagt, es kann nicht nur darum gehen hier die Akten zu horten zur Geschichte, sondern es geht immer um die zeitgenössische Relevanz der Fragen: was interessiert uns heute daran?"
Renate Flagmeier ist Leitende Kuratorin im Berliner Werkbundarchiv, dessen Ehrenvorsitzender Julius Posener war.
Renate Flagmeier: "Er war ja jemand, der Geschichte sozusagen sehr lebendig machen konnte durch seinen zeitgenössischen kritischen Blick. Also eben gar nicht das Verstaubte."
Schmidt-Thomsen: "Man muss doch Stellung nehmen, das hat er auch sehr oft so gesagt."
Ein gelungenes Leben
1933 flieht Julius Posener vor den Nazis und emigriert nach Palästina. 1941 meldet er sich zur britischen Armee und überquert als "erster Palästinenser", wie er notiert, in Xanten den Rhein. 1961 wird er Professor für Baugeschichte an der Berliner Hochschule für bildende Künste und ist Autor von noch heute gültigen Standardwerken zu den Architekturreformern der Jahrhundertwende, den Pionieren der Arts and Crafts-Bewegung, der englischen Gartenstadt und ihren deutschen Nachfolgern. Und immer gilt seine zweite Liebe den Studenten, dem Lehren.
Heike Ularich: "Es war einen sehr denkwürdige Erinnerung: selbst 20 Jahre danach habe ich das noch ganz deutlich in Erinnerung, was für ein warmherziger, offener, dem Menschen zugewandter Mensch er war. Und obwohl er bestimmt diese Themen mit seinen Studenten, ich weiß nicht wie oft durchgesprochen hat, hatte ich keine Sekunde das Gefühl, dass ihn das langweilt das mit jemandem noch mal durchzusprechen, und zu erläutern und zu erklären.
Am 29. Januar 1996 stirbt "Julipo", wie ihn liebevoll seine engsten Vertrauten nannten. Seitenlange Nachrufe würdigen den Doyen der Architekturgeschichte. Zweiundzwanzig Jahre zuvor, als Glückwünsche zu seinem siebzigsten Geburtstag in einer Huldigung seines Schaffens mündeten, konterte "Julipo" mit einem Gedicht:
"Wo bleiben mir nach solche Huldigungen
Für meine Schwächen die Entschuldigungen?
Die Alten preisen mich, es loben mich die Jungen.
So wär mein Leben denn – das wusst ich nicht – gelungen?"