Jugendbegegnungsstätte Beit Noah

Wo Palästinenser und Israelis zusammenkommen

Karima am Tor zum Haus ihrer Mütter in Al Jib.
Karima am Tor zum Haus ihrer Mütter in Al Jib. © TorstenTeichmann
Von Torsten Teichmann · 24.03.2016
Eine Begegnungsstätte für behinderte Kinder und Jugendliche am See Genezareth schafft, was sonst in Israel kaum gelingt: Palästinenser und Israelis tauschen sich aus, ausgelassen und freundschaftlich. Benediktiner-Mönche betreiben die Einrichtung. Doch ihre Arbeit wird immer schwieriger.
Ein Oktober am See Genezareth. Ein Junge trommelt. Die anderen Kinder tanzen. Regen prasselt dazu auf das Vordach. Regen nach einem langen trockenen Sommer. Die Stimmung ist entsprechend ausgelassen. Die Gäste sind junge Palästinenser und junge Israelis. Es sind Kinder mit Behinderung. Kinder wie Daniel und Mohammed:

"Ich mag die Natur hier. Das war das erste Mal, dass ich den See gesehen habe, denn ich komme aus einem Ort, in dem es kein Gewässer gibt. Ich will hier gar nicht weg."
"Es macht Spaß allein ohne die Familie und mit den Freunden. Es ist interessant etwas Neues kennen zu lernen und dabei neue Freunde zu finden."
Basma im Al Basma Center in Beit Sahour
Basma im Al Basma Center in Beit Sahour© TorstenTeichmann
Drei Tage haben sie gemeinsam am See Genezareth in Israel verbracht. Ganz ohne ihre Eltern, erklärt Paul Nordhausen. Nordhausen ist Sonderpädagoge. Der Deutsche lebt und arbeitet seit bald sechs Jahren in Israel.
"Wir sind hier im Beit Noah in Tabgha. Das Ganze ist eine Begegnungsstätte, das kann man im Moment gut beobachten. […] Wir arbeiten vor allem mit Volontären und richten uns an Behinderten-Gruppen aus der Region, israelisch, wie palästinensisch."

Erste palästinensische Gruppen sagen ab

Die Begegnungsstätte Beit Noah in Tabgha gehört zum Kloster der Benediktiner Mönche; direkt am Westufer des Sees gelegen, in unmittelbarer Nähe der Brotvermehrungskirche. Der Überlieferung nach ist das der Ort, an dem Jesus mit fünf Broten und zwei Fischen 5000 Männer, deren Frauen und Kinder versorgt haben soll.
Und dort ist auch jetzt möglich, wozu das übrige Land kaum mehr in der Lage ist: Die Begegnungen von Israelis und Palästinensern. Allerdings ist die Arbeit schwerer geworden: Nach Wochen mit Messerattacken, mit tödlichen Anschlägen von Palästinensern und mit Gewalt der israelischen Armee wachsen Angst und Misstrauen. Erste palästinensische Gruppen haben Begegnungen im Beit Noah abgesagt. Paul Nordhausen macht sich deshalb auf den Weg ins Westjordanland. Auch um für die Begegnungsstätte zu werben.
Majdaa Abu Gosh hat versprochen ihn einen Tag lang mitzunehmen. Mit einem alten Ford Focus fegt die Sozialarbeiterin über die Dörfer nordwestlich von Ramallah. Die Straßen sind schmal. Sogenannte Speedbumps, gegossene Asphaltwellen im Straßenbelag zwingen sie immer wieder abzubremsen. Der Wagen beginnt zu dampfen.
Die Sozialarbeiterin hat ihr ganz eigenes Programm auf die Beine gestellt. Ihre Arbeit lässt sich verkürzt vielleicht so zusammenfassen: Majdaa Abu Gosh organisiert Hilfe, Ausflüge und Betreuung. Und wenn nötig holt sie Kinder mit Behinderung auch aus Familien raus. Bei Müttern sei die Scham noch immer groß:
"Einige von ihnen, fangen an zu weinen und andere denken, sie werden von Gott für eine böse Tat bestraft, die sie zuvor in ihrem Leben begangen haben. Weil es keine Programme und keine Einrichtungen gibt, wissen sie sich nicht zu helfen. Sie wissen nicht, wie sie den Bedürfnissen ihrer Kinder nachkommen können."
Die erste Station ist im Dorf Al Jib. Abu Gosh steigt aus dem Auto. Der Motor dampft noch immer. Die Palästinenserin trägt Stiefel, eine Hose mit Leopardenprint und eine schwere Jacke, dazu die Haare offen.
Torsten Teichmann bei der Arbeit für seine Reportage.
Torsten Teichmann bei der Arbeit für seine Reportage.© Torsten Teichmann
Bei der Familie öffnet niemand. Majdaa holt das Handy aus dem Wagen. Sie ruft einmal an. Ein zweites Mal. Ein Tor öffnet sich. Die ärmliche Wohnung dahinter hat zwei Zimmer. Die junge Frau wohnt zusammen mit ihrer Mutter und der älteren Schwester.
"Zuerst sprach Karima nicht, so dass Familie dachte, sie wäre taub. Sie wurde untersucht auf Gründe warum sie nicht sprechen kann, es wurde untersucht, ob sie hören kann oder nicht. Sie hatte Schwierigkeiten, zu sprechen. Mit dem Programm zeigt sie erste Fortschritte. Sie war kurz in der Schule aber sie hat dort nichts gelernt, da sie nicht sprechen konnte. Und weil sich niemand um sie kümmerte oder daran interessiert war, ihr Sonderunterricht zu geben."
Madjda bittet Karima ihre Hausaufgaben zu suchen. Die junge Palästinenserin trägt einen violett gemusterten, bodenlangen Jilbab. Sie ist 22 Jahre alt und spricht kaum. In ihrem Heft sind einfache Rechenaufgaben. Eine Beschäftigung, die ihr die Sozialarbeiterin bei jedem Besuch aufträgt.

Christliche Leiter, muslimische Schüler

Karima macht Fortschritte, aber eigentlich bräuchte die junge Palästinenserin eine Gruppe mit anderen Jugendlichen, mit Aktivitäten an jedem Tag. Doch es gibt keine Angebote. Daheim beschäftigt sich niemand mit der 22-jährigen. Mutter und Schwester beschweren sich nur, wenn Karima vor lauter Langeweile laut wird.
"(...) Die Zustände sind in manchen Familien einfach brutal, das kann man sich nach unseren westlichen Maßstäben gar nicht vorstellen. […] Diese Ablehnung kann man nicht anders beschreiben, als dass die hier Normalität ist. Das zu sehen, ist nicht leicht aber muss man wenn man wirklich hier mit Behinderten arbeiten will, muss man das auch verstehen und man muss sich das angucken."
"Wir sind jetzt im Al Basma Center, das ist ein Daycare Center für circa dreißig behinderte Jugendliche oder junge Erwachsene. Die arbeiten unter dem Schirm der Arab Womens Union. Das ist ungewöhnlich, dass in der Leitung von dieser Organisation tatsächlich nur christliche Frauen sind."
Die Jugendlichen im Al Basma Center lernen Handarbeit. So nennt Basma die Aufgaben. Dazu gehört eine Art kleine Hotelschule. Eine Gruppe übt den Tisch zu decken. Und Jamla leitet in einem anderen Raum zwei junge Palästinenser an, die Decken mit Bettbezügen zu beziehen.
"Die Kinder werden hier ausgebildet. Das sollte nicht länger als zwei bis drei Jahre dauern. Die Kinder bleiben aber für immer. Denn wenn ich eines der Kinder bitte, das Zentrum zu verlassen, wird es auf der Straße landen, da niemand mit ihm arbeiten kann."
Es fehlen aber nicht nur Verständnis und Vertrauen in der palästinensischen Gesellschaft – die könnten wachsen. Es fehlen vor allem sämtliche Strukturen bei den Kommunen und den staatlichen Organen. Alles muss privat organisiert werden.
"In fast jeder Organisation, die ich hier besuche, ist die Führung christlich, die Mehrheit der Schüler sind aber Moslems. Ich glaube dahinter steckt eine lange Tradition des christlichen Glaubens, anderen zu helfen. Ich glaube wirklich, dass es damit verbunden ist. ABER ich kann auch beobachten, dass in den letzten Jahren das Bewusstsein innerhalb der moslemischen Gesellschaft gewachsen ist. Es wächst langsam, aber es wächst."
Mehr zum Thema