Jugend und Politik

Zwischen Clicktivismus und Protest-Mails

Schüler schreiben SMS und telefonieren am 22.04.2013 auf einem Schulhof in Braunschweig (Niedersachsen).
Engagement heute: Auch mit Smartphones kann man sich politisch betätigen. © picture alliance / dpa
Wolfgang Gaiser im Gespräch mit Ute Welty · 27.02.2016
Unpolitisch? Von wegen. Auch die Jugend von heute engagiert sich, sagt Jugendforscher Wolfgang Gaiser, nur eben punktuell, spontan - und vor allem online. Damit den Parteien nicht der Nachwuchs abhandenkommt, wirbt Gaiser für flexiblere Angebote.
Der Jugend- und Partizipationsforscher Wolfgang Gaiser sieht bei der Jugend große Bereitschaft zu politischem Engagement. Junge Leute engagierten sich aber punktueller und spontaner. Zur Nachwuchsgewinnung sollten Parteien daher Mitwirkungsmöglichkeiten flexibler gestalten.
Ein Drittel der Jugendlichen zeige sich laut Studien interessiert oder sehr interessiert an Politik, auch das Engagement in Vereinen und Verbänden sei mit rund 60 Prozent relativ stabil, sagte Gaiser im Deutschlandradio Kultur über das politische Engagement von jungen Leuten in Deutschland.

Spontan, punktuell, wenig dauerhaft

Dabei gebe es aber das Bedürfnis, sich nicht fest zu binden und dauerhaft zu verpflichten, sondern sich lieber spontan und punktuell zu engagieren. Zu den Themen, für die sich junge Leute engagierten, zählten Umwelt- und Friedensthemen, "in die ein hoher Idealismus hineinspielt", erklärte der Soziologe.
Das politische Engagement der Jugendlichen bediene sich der neuen technischen Möglichkeiten. Internet und Social Media würden genutzt für Unterschriftenaktionen in Form von Online-Petitionen zu sozialen und politischen Aktionen, aber auch um generell "auf dem Laufenden zu sein" oder sich konkret über politische Organisationen wie Greenpeace, attac oder campact zu informieren.

Clicktivismus?

In der Debatte, ob das Versenden einer Protestmail oder der kurze Klick auf einer Kampagnenplattform die Verflachung politischen Engagements bedeute, betonte Gaiser die unterschiedliche Qualität auch im Online-Engagement. Auch hier sei das Spektrum der Beteiligungsmöglichkeiten groß und unterschiedlich intensiv: "Sie haben ja auch online verschiedene Varianten. Entweder eine ernsthafte Petition mit zu unterschreiben oder bloß irgendwo ein Like zu setzen oder selber etwas in Netz zu stellen, um zu aktivieren. Klar bleibt, dass das Engagement vor Ort noch einmal eine andere Qualität hat."
Eine mögliche Ursache für verkürztes, punktuelles Engagement der Jugend sieht der Jugendforscher in einer "zunehmenden Verdichtung der Jugendphase". Dabei spielten sowohl schulischer Druck aber auch die Vernetzung im Freundeskreis eine Rolle.

Impulse für die Nachwuchsgewinnung

Vor allem junge Frauen engagierten sich stärker im Bereich von Umweltthemen und kritischem Einkaufs- und Konsumverhalten, junge Männer dagegen zeigten mehr Bereitschaft, sich in öffentliche Diskussionen einzumischen und sich für Ämter bereitzustellen. Junge Frauen ließen sich stärker im Kontext der neuen sozialen Bewegungen wiederfinden. Währenddessen könnten sich junge Männer eher in die Welt klassischer Parteien oder Vereine hineinfinden, "mit kleinen Diskussionsrunden mit anschließendem gemeinsamen Bier-Trinken und Tagesordnung abarbeiten."
Damit den Parteien der Nachwuchs nicht abhandenkommt, rät der Partizipationsforscher, jungen Leuten flexiblere Angeboten der Teilnahme zu machen - "Und auch wenn Zwischenziele bloß erreicht werden, den politischen Erfolg und die Anerkennung" zu vermitteln, so Gaiser.

Das vollständige Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Es ist ein bemerkenswertes Zeugnis, das da Deutschland gerade ausgestellt wird: Jeder zehnte Deutsche engagiert sich in der Flüchtlingshilfe. Das ergab eine Studie des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Evangelischen Kirche in Deutschland. Und auch das Deutsche Rote Kreuz meint: Das Engagement ist überwältigend. Aber wer ist das genau, der sich da engagiert, und wie viele junge Leute sind dabei? Von den Deutschen Tafeln wissen wir zum Beispiel, dass die durchaus Nachwuchssorgen haben. Der Jugend- und Partizipationsforscher Wolfgang Gaiser hat sich dieser Frage im Auftrag der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung angenommen. Guten Morgen, Herr Gaiser!
Wolfgang Gaiser: Guten Morgen, Frau Welty!
Welty: Dieses positive Bild vom Engagement der Deutschen, gilt das auch für junge Deutsche?

"Themen, in die ein hoher Idealismus reinspielt"

Gaiser: Gilt auch für junge Deutsche. Es sind durchaus Umweltthemen, es sind Friedensthemen, das sind Themen, wo im Grunde genommen ein hoher Idealismus reinspielt und wo sozusagen die Erschütterung durch Skepsis und negative Erfahrungen nicht so stattgefunden hat.
Welty: Das, was Sie das sagen, dürfte den einen oder anderen überraschen in dieser Form! Denn in der Öffentlichkeit herrscht oft genug die Meinung vor, dass die Jugend von heute sich vor allem durch ein gerüttelt Maß an Politikverdrossenheit auszeichnet!

"Durch einen Klick zeigen, wo man dahintersteht"

Gaiser: Ja gut, von der Jugend heute kann man nicht sprechen. Aber wenn Sie meinetwegen nach dem Interesse für Politik fragen, da antwortet immerhin noch ein Drittel, dass es ziemlich oder sehr interessiert wäre. Also, Engagement in Vereinen und Verbänden ist relativ stabil bei etwa 60 Prozent der jungen Leute, die sich in so einem Zusammenhang engagieren. Hinzugekommen sind neue Formen durch das Internet und die Social Media. Dass die genutzt werden für Information, für meinetwegen das Unterschreiben von Online-Petitionen, um sich zu informieren über alternative Organisationen, sei es Greenpeace oder Attac oder Campact, wo man auf dem Laufenden sein möchte und dann relativ schnell eigentlich auch durch einen Klick zeigen kann, wo man dahintersteht.
Welty: Ist das denn gleichzusetzen, ob ich eine Online-Petition unterzeichne, eben mit einem Klick, oder ob ich beispielsweise einen ganzen Tag lang auch physisch, vielleicht sogar anstrengend mich irgendwo engagiere und auch wirklich da bin?

Auch online ist das Beteiligungsspektrum groß

Gaiser: Das ist sicherlich ein sehr großer Unterschied. Sie haben ja auch online verschiedene Varianten, entweder eine ernsthafte Petition mit zu unterschreiben oder irgendwo bloß ein Like aufzugeben oder selber was ins Netz zu stellen und irgendwas zu aktivieren. Also, auch im Online ist das Spektrum der Beteiligung ziemlich groß. Ist aber klar, dass natürlich das Engagement vor Ort noch mal eine andere Qualität hat. Und das ist auch ein Bereich, wo man sehen muss, dass die Jugendlichen eher Formen bevorzugen, die punktuell sind, themenbezogen und nicht so auf Dauerverpflichtung setzen.
Welty: Warum ist das so?
Gaiser: Das hat eigentlich mit sozusagen Verdichtung und Formierung mit der Jugendphase zu tun, dass man zunehmend mehr unter Druck steht, gute Noten zu machen, gute Zeugnisse zu kriegen, auch meinetwegen vernetzt zu sein mit den breiten Freundeskreisen. Und von da aus die Einstellung, ich mache da mal zwar mit, ich zeige da meine Meinung, aber das soll dann eigentlich mit einer Aktion möglichst abgeschlossen sein! Man möchte nicht regelmäßig dann am Freitagabend oder Sonntagnachmittag die Pflicht haben, irgendwo hinzugehen.
Welty: Gemeinhin heißt es ja, das Ehrenamt sei weiblich. Ist das auch bei Jugendlichen, bei jüngeren Leuten so? Überwiegen da auch die Mädchen?

Junge Frauen und Männer engagieren sich verschieden

Gaiser: Nein, das kann man nicht sagen. Es gibt eigentlich Bereiche, was ich auch gerade angesprochen habe, Umweltthemen, meinetwegen auch Bereiche kritischer Konsum, wo man sozusagen im Einkaufen oder Boykottieren von Waren seine Position zeigt, da finden Sie mehr Mädchen. Andere Bereiche finden Sie mehr junge Männer, also in Diskussionen sich einmischen zum Beispiel, in der Öffentlichkeit finden Sie mehr junge Männer. Und Sie finden immer noch, wenn es dann um Besetzung von Ämtern geht oder … mehr junge Männer als junge Frauen.
Welty: Herr Gaiser, lässt sich da nachvollziehen, was diese jungen Männer, diese Jungen womöglich antreibt? Ist das reine Nächstenliebe?
Gaiser: Der Ausgangspunkt ist sicher ein Informationsniveau, die Bereitschaft, sich zu informieren, und dann der nächste Schritt ist auch, sich zu engagieren. Und von da aus ist die eigentliche Frage, was treibt die jungen Männer an. Und das andere, was legt den jungen Frauen eher so gewisse Hinderungsgründe in den Weg.
Welty: Fragen wir so!
Gaiser: Und von da aus ist das vereinsbezogene Engagement der jungen Männer, Runden, die diskutieren, hinterher noch zusammensitzen, ein Bier trinken, Tagesordnungen abarbeiten, sozusagen eher die Welt, wo die jungen Männer sich reinfinden können, und die jungen Frauen eher im Kontext der neuen sozialen Bewegungen, dass die sich da eher finden.
Welty: Das heißt, bei den Parteien, die möglicherweise von dieser Bewegung auch irgendwann profitieren, kommen dann auch eher die jungen Männer denn die jungen Frauen an?
Gaiser: So ist es, ja.
Welty: Eigentlich schade, oder?

Neue Impulse zur Nachwuchsgewinnung

Gaiser: Eigentlich schade und natürlich auch sozusagen ein Impuls an die Parteien, bei der Nachwuchsgewinnung auf solche Dinge zu achten. Also mehr flexible Angebote zu machen und ihnen dann, wenn sie es eingebracht haben, auch wenn die Zwischenziele bloß erreicht werden, so was auch zu vermitteln, also den politischen Erfolg und auch die soziale Anerkennung. Das trifft aber die jungen Männer und jungen Frauen in gleicher Weise, dass das Aspekte wären, die ein parteipolitisches Engagement stärken könnten.
Welty: Sagt der Jugend- und Partizipationsforscher Wolfgang Gaiser. Ich danke sehr für dieses Gespräch hier in "Studio 9", das wir aufgezeichnet haben!
Gaiser: Okay, danke fürs Gespräch meinerseits auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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