Jüdisches Purimfest

Wenn trauern, dann laut

Ultraorthodoxe Juden feien das Purimfest in Jerusalem.
Ultraorthodoxe Juden feien das Purimfest in Jerusalem. © picture alliance / dpa / EPA / Abir Sultan
Von Gerald Beyrodt · 18.03.2016
Kurz vor dem stillen Feiertag Karfreitag wird es bei Juden so richtig laut: mit Pfeifen, Gebrüll, Klappern und Ratschen. Dabei hat auch Purim ein ernstes Thema. Eine Glosse über das Laute und das Leise in den Religionen.
Ein Kollege fragte mich neulich, welche Rolle Stille eigentlich im Judentum spielt. Er dachte wohl an stille Einkehr, stille Feiertage wie den Karfreitag, stilles Gebet und stilles Zu-sich-kommen.
Nichts davon im Judentum. Wir halten nicht die Klappe, sondern reißen sie auf. Wir kommen nicht zu uns, sondern stehen manchmal neben uns. Am Schabbat lassen wir die Arbeit ruhen, dafür quatschen wir umso lauter. Kaum ein jüdisches Gebet lässt wirklich Stille einkehren. Selbst wenn Juden alleine beten, sollen sie die Worte aussprechen. Askese ist unsere Sache nicht.
Angeblich hat Moses vierzig Tage gefastet, wir halten gerade mal einen durch, länger dauert das jüdische Fasten nicht. Einen Zölibat kennen wir nicht. Das soll jetzt kein Eigenlob sein, wir haben jede Menge anderen Unfug, aber diesen gerade nicht.

Juden suchen ihr Glück in der Gemeinschaft

Meist heißt es in jüdischen Gebeten "wir" und nicht "ich": Juden stellen sich als Gruppe vor Gott und führen noch die Taten der Vorväter ins Feld, die bei näherem Hinsehen so tugendhaft nicht waren, aber ist ja egal. Wir suchen unser Glück nicht in der Einsamkeit, sondern in der Gemeinschaft, und Gemeinschaften machen nun mal Krach. Was wiederum die Frage aufwirft, ob wir so unser Glück jemals finden können.
Dieses Jahr fallen christliche Einkehr und jüdische Ausgelassenheit fast zusammen. Doch so schrecklich weit auseinander sind die Feiertage gar nicht. Während Christen an Karfreitag um ihren gekreuzigten Gott trauern, denken Juden an Purim an die Pogrome gegen Juden.
Während Christen einfach konventionell traurig sind, wohl auch weil nach zwei Tagen schon wieder Auferstehung gefeiert wird, kippt die Trauer bei Juden ins Derbe. "Sie wollten uns umbringen, darauf trinken wir einen, und am besten trinken wir so lange, bis wir Gut und Böse nicht mehr unterscheiden können."

Unsere Sache ist die Stille nicht

Und dann erzählt die Geschichte von Purim noch, dass eine Jüdin Königin im persischen Reich wird, dass Juden die Macht bekommen und sich an ihren Feinden rächen. Das ist wirklich komisch. Das hat es in der Geschichte kaum jemals gegeben, schon gar nicht im persischen Reich. Und den Namen des Übeltäters Haman, der die Juden im persischen Reich alle umbringen wollte, übertönen wir mit Ratschen und meinen alle ähnlich gestrickten Übeltäter gleich mit. Wenn schon trauern, dann doch wenigstens mit Lärm.
Nicht auszudenken, was passiert, wenn christliche Dialoggruppen das Rezept übernehmen und die Kreuzigung mit Wodka begießen.
Es gibt Tage, da kann man froh sein, dass Juden nicht missionieren, nicht einmal zum Krach. Wir haben nichts dagegen, dass andere still sind. Nur unsere Sache ist die Stille nicht. Der Kollege hätte auch gleich fragen können, welche Rolle Buddha im Judentum spielt.
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