Jüdisches Museum Berlin

Was macht der Golem in digitalen Zeiten?

Golem-Figurenstehen am 3.5.2016 an einem Souvenirstand im ehemaligen jüdischen Viertel in Prag.
Golem-Figuren an einem Souvenirstand im ehemaligen jüdischen Viertel in Prag © picture alliance / dpa / Filip Singer
Von Carsten Dippel · 16.09.2016
Die Golem-Legende steht für die Idee, tote Materie zum Leben zu erwecken. Das Jüdische Museum Berlin macht den alten Menschheitstraum zum Thema einer großen Ausstellung - die Schau "Golem" präsentiert den Mythos von der Entstehung - bis zu seiner Fortschreibung in digitalen Welten.
Als das Weizmann-Institut 1964 den zweiten Großrechner Israels präsentierte, hatte man einen ganz besonderen Festredner auserkoren: den Religionsphilosophen und Kabbala-Forscher Gershom Scholem. Scholem lobt die Entwickler und preist diese neueste technische Errungenschaft des jüdischen Staates. Vor allem aber gibt Scholem dem Großrechner einen würdigen Namen: Er tauft ihn auf den Namen "Golem Aleph". Nun mochte das kantige Design dieser aus Halbleitern und Transistoren bestehenden Maschine auf den ersten Blick wenig gemein haben mit dem menschengleichen Subjekt, das sich mit dem Mythos der Golem-Figur verbindet. Doch Scholems augenzwinkernde Namensgebung erfolgte nicht ohne Grund: "Golem Aleph" war schließlich eine wundersame Schöpfung aus Menschenhand.
Martina Lüdicke: "Gershom Scholem hat eine Analogie gemacht zwischen diesem Golem und seinen Prager Vorfahren. Also dass der Computer eben der Golem der heutigen Zeit ist. Der Golem wird eigentlich zu einer Denkfigur für die Menschen, die sich mit ihm beschäftigen. Zu einer Metapher für etwas, das geschaffen wird, um einem zu helfen, das dann aber außer Kontrolle gerät und sich gegen den Schöpfer wendet."
Die Idee, tote Materie zum Leben zu erwecken, ist ein uralter Menschheitstraum, sagt Martina Lüdicke. Sie ist Kuratorin einer großen Ausstellung zum Golem-Mythos im Jüdischen Museum Berlin. Die auf einen Psalmvers zurückgehende Idee, der Mensch könne gottgleich etwas kreieren, fasziniert bis heute.

Imitation des göttlichen Schöpfungsaktes

Peter Schäfer ist Direktor am Jüdischen Museum in Berlin:
"Insofern ist der Golem eine sehr jüdische Idee. Denn die Idee, die dahinter steht ist ja, dass der Mensch, indem er dem Golem Leben verleiht, den Schöpfungsakt Gottes imitieren kann, mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen. Und insofern ist er auch ein Schöpfer, der in gewisser Weise mit der Schöpfungsallmacht Gottes in Konkurrenz tritt. Dann natürlich in die ganzen Bereiche des Roboters, des Klonens, der Medizin, das alles kann man verstehen auch als Eingriffe in die alleinige Schöpfungsallmacht Gottes. Und da haben wir ja die gegenwärtigen Probleme alle. Warum haben wir einen Ethikrat, der sich über genau diese Dinge den Kopf zerbricht heute?"
Wenn das Jüdische Museum jetzt diesen uralten Mythos aufgreift, dann geschieht dies in einer Zeit grundsätzlicher Debatten um Fragen zur Ethik. Sei es bei der Stammzellenforschung oder dem Klonen. Und über all dem scheinen am Horizont dank technologischer Fortschritte ungeahnte Möglichkeiten künstlicher Intelligenz auf. Computer gewinnen zunehmend ein Eigenleben. Sie emanzipieren sich von ihren Schöpfern. Passierte das nicht auch der berühmten Golem-Figur, die der Legende nach Rabbi Löw in Prag zu Zeiten Rudolfs II. schuf?
Peter Schäfer: "Natürlich ist auch im Judentum das verurteilt worden. Es gibt scharfe Äußerungen dagegen, dass das genau in die Schöpfungskompetenz, die Allmacht Gottes eingreift. Aber gleichwohl ist es im Judentum immer auch eine Möglichkeit gewesen. Aber immer gebunden gewesen an die Selbstverteidigung. Und ist dann insofern weniger als theologische Anmaßung verstanden worden, sondern als Notwehr gegenüber der übermächtigen Außenwelt, die die Juden vernichten wollte."
Michael Blumenthal (r), amtierender Direktor des Jüdischen Museums Berlin, und Peter Schäfer, Judaist und designierter Direktor des Jüdischen Museums Berlin, reichen sich am 19.06.2014 in Berlin auf einer Pressekonferenz die Hände.
Vor zwei Jahren hat Peter Schäfer (l) das Direktorenamt von seinem Vorgänger Michael Blumenthal übernommen.© picture-alliance / dpa / Daniel Naupold
Ein Smartphone kann heute mehr Dinge, als sich die Schöpfer des "Golem Aleph" am Weizmann-Institut wohl je hätten erträumen können. Zu ihrer Zeit beruhte künstliche Intelligenz allein auf simplen Logarithmen, eine unendliche Permutation von Nullen und Einsen. Doch wo stehen wir heute?
In der schwedischen Fernsehserie "Real Humans" von 2012 werden all die Fragen zur künstlichen Intelligenz so faszinierend wie beunruhigend realitätsnah durchgespielt. Da treten sogenannte "Hubots" auf, die aussehen wie Menschen und im Grunde alles besser können. Fast alles zumindest:
Martina Lüdicke: "Er kann eben nur diese Gefühle nicht transportieren. Das ist interessant, wie die Macher dieser Fernsehserie diese Grenze zwischen Roboter und Maschine ausloten. Und wie man merkt, dass diese Welt eigentlich gar nicht so weit von der Welt entfernt ist, in der wir leben. Also es ist kein Science Fiction, sondern es ist vielleicht die nächste Generation."

Ist der Golem Bedrohung oder Beschützer?

Doch ist das nicht alles eine Anmaßung? Ist der Golem nicht Ausdruck einer menschlichen Hybris? In der Rezeption des Mythos, die im Golem vor allem etwas Mystisch-Bedrohliches sieht, steckt oft eine grundsätzliche Kritik an der Moderne, eine Skepsis gegenüber dem menschlichen Schöpferdrang. In die Kritik am Golem mischten sich auch antijüdische Töne. Gerade in der Romantik, in der die Golem-Geschichte als düstrer Mythos sehr populär war, finden sich christlich-konservative Sichtweisen zur Bewahrung der Schöpfung. Veränderung wird eher als Bedrohung empfunden. Im jüdischen Diskurs werden hier manche Dinge deutlich anders akzentuiert, sagt Peter Schäfer:
"Das ist wieder eine ganz elementar jüdische Auffassung: Gott hat dem Menschen die Schöpfung gegeben und verlangt vom Menschen, dass er auch beteiligt daran ist, die Schöpfung Gottes nicht nur zu verwalten, sondern weiterzuentwickeln und an ihr gutes Ende zu bringen."
In 50 oder 100 Jahren werden künstliche Wesen vielleicht schon ganz selbstverständlich an unserer Seite leben. Doch kann da etwas außer Kontrolle geraten? Einen Golem zu kreieren, verband sich seit dem Mittelalter immer mit der Idee, einen Helfer, einen Gefährten und Beschützer zu haben. In Kunst und Literatur ist diese Art der Rettungsgeschichte immer präsent gewesen, sagt Martina Lüdicke. In der Verselbstständigung des Golem als Denkfigur habe jedoch der Amoklauf des außer Kontrolle geratenen Wesens eine viel größere Bedeutung bekommen.
Martina Lüdicke: "Es ist vielleicht auch eher ein Appell, an diese Aspekte zu denken. Also dass man sich dessen bewusst ist, dass die Schöpfung, mit der man unglaubliche Hoffnungen verbindet, auch außer Kontrolle geraten kann oder sich gegen einen wenden kann. Dass denke ich schon, dass dieser Appell in der Ausstellung ein Thema ist. Also die soziale Verantwortung, die man trägt, für das, was man geschaffen hat."

Die Ausstellung "Golem" ist vom 23. September 2016 bis 29. Januar 2017 im Jüdischen Museum in Berlin zu sehen.

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