Jüdischer Terror

Ein verdrängtes Problem in Israel

Das Bild zeigt den national-religiösen Juden Meir Ettinger in einem Gerichtssaal in Nazareth. Rechts hinter ihm steht ein israelischer Wachbeamter.
Der national-religiöse Jude Meir Ettinger sitzt seit dem Anschlag in den Palästinensergebieten in Haft. © picture-alliance / dpa/ EPA / NIR Kafri
Von Tim Aßmann · 09.08.2015
Der Brandanschlag auf eine palästinensische Familie im Westjordanland hat echte Abscheu bei der israelischen Regierung hervorgerufen, kommentiert Tim Aßmann. Die neue Gangart gegen diese Extremisten sei aber keine Wende, sondern nur vorübergehender Aktionismus.
Das Entsetzen und die Abscheu sind echt. Die Empörung nicht gespielt und die Verurteilungen sind glaubwürdig. Israels Regierung ist geschockt von den jüngsten Gewalttaten jüdischer Extremisten. Überrascht sein darf sie allerdings nicht. Die Messerattacke auf der Jerusalemer Homosexuellen-Parade und der Brandanschlag auf eine palästinensische Familie sind tragische Höhepunkte einer absehbaren Entwicklung.
Es sind Verbrechen aus blindem Hass, begangen von teils polizeibekannten, ultra-orthodoxen oder national-religiösen Fanatikern, die vor Gewalt zur Durchsetzung ihrer menschenverachtenden rassistischen und religiös-verblendeten Ansichten nicht zurückschrecken und das auch in der Vergangenheit bewiesen haben. Dass sie nun auch von Teilen der israelischen Regierung als das bezeichnet werden was sie sind – als jüdische Terroristen – war überfällig, sollte aber nicht als Tabubruch verstanden werden.
Die israelische Regierung muss sich am Umgang mit den Fanatikern messen lassen
Terroristen gibt es überall auf der Welt und eben auch innerhalb der jüdisch-israelischen Gesellschaft. Die Existenz des Phänomens kann man der rechts-religiösen Regierung in Jerusalem nicht vorwerfen. Sie muss sich aber am Umgang mit den Fanatikern messen lassen. In der Vergangenheit gingen Politik und Justiz mit den Extremisten meist milde um. Übergriffe radikaler jüdischer Siedler gegen die palästinensische Zivilbevölkerung im Westjordanland sind seit vielen Jahren Alltag, blieben aber für die Täter meist folgenlos. Ermittlungsverfahren verliefen überwiegend im Sande, Anklageerhebungen gab es selten und Verurteilungen noch viel seltener. Es wurde juristisch mit zweierlei Maß gemessen.
Und nun? Abseits der ernst gemeinten Verurteilungen der Gewalttaten ist der Regierung noch nicht viel mehr eingefallen als unüberlegte Sofortmaßnahmen. Die sogenannte Administrativhaft wird jetzt also auch gegen jüdische Verdächtige eingesetzt. Das war rechtlich vorher auch schon möglich, wird der Öffentlichkeit jetzt aber als entschlossenes Vorgehen präsentiert. Falsch ist es allemal. Die Administrativhaft, die bisher fast ausschließlich gegen Palästinenser angewendet wurde, gehört nicht ausgeweitet, sondern grundsätzlich abgeschafft. Sie erlaubt die Inhaftierung von Verdächtigen auf unbestimmte Zeit ohne Prozess. Den Betroffenen muss nicht einmal erklärt werden, was ihnen vorgeworfen wird und welche Beweise gegen sie vorliegen.
Durch Administrativhaft wird Unrecht mit Unrecht bekämpft
Eine solche Praxis verletzt Grundrechte und ist eines demokratischen Rechtsstaates unwürdig. Wenn die Regierung die Administrativhaft nun auch gegen jüdische Terroristen einsetzt, bekämpft sie einmal mehr Unrecht mit Unrecht.
Dabei brauchen die Ermittler gar keine erweiterten Befugnisse. Nötig ist vor allem juristische und politische Unterstützung. Ein parteiübergreifender, dauerhafter und damit glaubhafter Schulterschluss gegen die Extremisten wäre ein viel deutlicheres Signal und die bisher nichtvorhandene Rückendeckung für die Sicherheitsbehörden im Kampf gegen die Feinde im Inneren.
Doch zu diesem Konsens ist Israels Politik nicht in der Lage. Die rechts-religiöse Regierungskoalition, zu der auch die Parteien von Ultra-Orthodoxen und Siedlern gehören, wird den nötigen Willen auf Dauer nicht haben und zwischen Koalition und Opposition verläuft außerdem ein tiefer Graben. Immer wieder haben Politiker des rechtsnationalen Parteienspektrums in den vergangenen Jahren mit schrillen und teils fremdenfeindlichen Tönen gegen Palästinenser, arabische Israelis und Homosexuelle gehetzt und so den Boden für Extremismus bereitet.
Die jüdischen Extremisten erkennen den Staat Israel nicht an
"Terror ist Terror – egal gegen wen er sich richtet", hat Premier Netanjahu gesagt, aber viele in seiner Koalition sehen das nach wie vor nicht so und auch der Regierungschef selbst weigerte sich bis vor Kurzem noch vehement von jüdischem Terror zu sprechen. Dabei richtet sich dieser Terror nicht nur gegen Palästinenser oder Homosexuelle. Die Extremisten erkennen den Staat Israel als solchen und seine Regierung nicht an. Sie verachten ihn und sind in Teilen bereit, ihn auch direkt zu bekämpfen und durch ein System ihrer Wahl zu ersetzen.
Die Regierung in Jerusalem hat diese Bedrohung bisher nicht ausreichend ernst genommen und es ist zu befürchten, dass die aktuelle, härtere Linie gegen die Extremisten im eigenen Lager keine grundsätzliche Wende ist, sondern nur vorübergehender Aktionismus.
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