Jüdischer Schauspielstar der Weimarer Republik

Angelika Wittlich im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 02.12.2012
"Alle Schauspieler verehren Granach", sagt die Regisseurin Angelika Wittlich über Alexander Granach. In der Weimarer Republik gehörte er zu den bekanntesten deutschen Schauspielern. Wittlich hat Granachs Leben verfilmt und dazu unter anderem dessen Sohn Gad befragt.
Liane von Billerbeck: Er war einer der Schauspielstars der Weimarer Jahre, Alexander Granach, und das war ihm bei seiner Geburt als neuntes von 13 Kindern einer armen jüdischen Familie in Galizien nicht unbedingt in die Wiege gelegt. Und doch ging dieser Junge sein Leben mit unglaublichem Selbstbewusstsein und Optimismus an. "Das Leben", schrieb Granach später an seine Liebe Lotte Lieven, "das Leben hat mich in meiner Jugend ganz hart am Schopf genommen, dasselbe tat ich dann mit dem Leben." Nach dem ersten Theaterbesuch wollte er nichts anderes mehr als spielen.

Und über diesen Alexander Granach hat Angelika Wittlich einen Film gedreht, "Da geht ein Mensch", und genau wie Granachs Autobiografie heißt er. Und mit der Regisseurin habe ich gesprochen vor unserer Sendung und sie zuerst gefragt, wie sie eigentlich auf ihn gekommen ist.

Angelika Wittlich: Ich kam auf Alexander Granach, weil ich seine Briefe herausgegeben habe, die er von '34 bis '45 an Lotte Lieven geschrieben hat. Und als ich daran arbeitete, habe ich gemerkt, wie unglaublich reich und spannend das Leben dieses Schauspielers und Schriftstellers, muss man ja sagen, war.

Ich hätte mich aber nie getraut, diesen Film zu machen, wenn ich nicht während der Recherche seinen Sohn Gad Granach in Jerusalem getroffen hätte. Er feierte seinen 92. Geburtstag, bei ihm waren alle Jeckes von Jerusalem, er erzählte Geschichten, er sang, er erzählte auch von seinen Erlebnissen in Berlin, und er war einfach so eine unglaublich kraftvolle, witzige Erscheinung, dass ich einfach dachte, mit diesem Menschen muss man drehen, egal ob das je wird, und so habe ich angefangen.

von Billerbeck: Nun heißt der Film ja "Da geht ein Mensch", und das ist ein doppelsinniger Titel. Da geht ein Mensch, also wir sehen jemanden laufen, gehen, da geht ein Mensch, im Englischen heißt es "he's gone" – er ist gestorben –, und sein Sohn, der ja inzwischen gestorben ist, den Sie also noch mal uns höchst lebendig vorführen, der hat in einem Gespräch im Film gesagt, dass sich sein Vater immer Sonntagskind genannt hat, was ziemlich absurd ist, weil er sei ein Schabbeskind, geboren im Getto in Galizien. Eigentlich ist es ja ein Wunder, dass so einer dann Schauspieler wird und dann noch einer der berühmtesten seiner Zeit. Was steckte in diesem Alexander Granach?

Wittlich: Ich denke, er hatte eine unglaubliche Kraft, gerade durch diese harte Kindheit, ja? Er hat ja schon als Bäckerbub gearbeitet, als andere – weiß ich nicht – noch fast in den Windeln lagen so ungefähr. Er hat mit 13 Jahren mit einer Prostituierten zusammengelebt, und er wurde dann sofort selbstständig, er ging nach Lemberg – also er hatte einen Reichtum an Erfahrung, den er später auch, glaube ich, auf die Bühne bringen konnte. Und so ging es ja eigentlich weiter, er zog dann ja in den Krieg, und er beschreibt das, und sagt immer, wenn er was ganz Furchtbares erlebt oder mit den schrecklichsten autoritären Militärs zu tun hat, sagt er immer: "Ja, ja, aber wenn ich mal so eine Rolle spielen muss, dann weiß ich, wie es geht".

Aber klar, dass da einer aus diesem galizischen Dorf kommt und im deutschen Theater landet, das ist schon ein Wunder.

von Billerbeck: Trotzdem, Galizien ist ja bis heute so ein Mythos, das ist so ein Schmelztiegel: ganz viele Sprachen, ganz viele Völker, da spielte ja vielleicht auch eine Rolle, dass er so viele verschiedene Typen in seiner Kindheit gesehen hat.

Wittlich: Ich habe mich lange damit beschäftigt, wieso kommen aus dieser Gegend so viele Begabungen. Elisabeth Bergner kam daher, Joseph Roth, Bruno Schulz, das ist ja eine unheimlich reiche Landschaft gewesen, das waren ja alles Juden, und ich glaube, dass Juden da so unendlich viel lernen mussten. Also erst mal waren sie nicht Analphabeten, was die übrige Bevölkerung war, sie lernten schon als Fünfjährige, lernten sie im jüdischen Cheder Hebräisch, eine neue Schrift. Die Umgebung sprach ukrainisch, das mussten sie sowieso lernen, und dann gingen sie später auf diese Robert-Hirsch-Schulen, wo sie Deutsch lernten.

Und ich glaube, das schärft die Intelligenz und fördert die Begabung, und dann natürlich auch dieser Reichtum an jüdischen Geschichten, mit denen die aufgewachsen sind, das ist so das Fundament, was der Granach auch hatte und was in seiner Sprache steckt.

von Billerbeck: Man hört ja in ihrem Film auch die Stimme von Granach, und die ist unglaublich berührend. Das geht einem durch und durch, und zwar in jeder Rolle, die Sie da zeigen. Und mit 22 Jahren bekam Granach ja eines der wirklich höchst begehrten Stipendien an Reinhardts Schauspielschule. Was war es, das ihn das hat schaffen lassen?

Wittlich: Na ja, er spielte damals ja schon im jiddischen Theater im Scheunenviertel, und er spielte ja, wie er selber sagt, alles. Und er wurde da entdeckt. Eines Abends kam ein Mann und sah ihn und empfahl ihm einen Sprachlehrer, und so ging das weiter. Und er lachte sich tot erst, als er Granach sprechen hörte, weil der sprach natürlich ein jiddisch gefärbtes Deutsch und hat ihm dann umsonst Sprachunterricht gegeben. Und er hat ihm dann Reinhardt empfohlen.

Und ich glaube, es war einfach diese unglaubliche Vitalität, oder wie sein Sohn sagt, diese Urkraft, die die Leute überzeugt hat, dass sie ihn einfach genommen haben.

von Billerbeck: Er kam nicht, er schlug ein, hat Martha Feuchtwanger, glaube ich, war das, dazu gesagt auf der Bühne, und diese Vitalität, die merkt man auch seinen Rollen an, und auch diese Kraft und dieses Ziel, ich will unbedingt Schauspieler werden, und ich will eine große Karriere machen, und dem hat er ja alles untergeordnet. Er hat sich ja dann noch als junger Mann seine X-Beine in einer sehr riskanten Operation brechen lassen – Sie führen uns im Film ja sogar einen Orthopäden vor, der uns erklärt, dass er da quasi mit seinem Leben gespielt hat. Hatte dieser Granach eigentlich vor nichts Angst?

Wittlich: Ich weiß es nicht, aber ich meine, so, wie er sein Leben bewältigt hat, muss man sagen, er war optimistisch und erst mal furchtlos.

von Billerbeck: Sein Sohn Gad, der sagt ja so schön über ihn, wenn Gründgens Mephisto spielte, dann war das gefährlich, dann war das Gestapo, wenn Granach spielte, dann war das eher ein fröhlicher Mephisto. Oder wenn es zum Beispiel um die Rolle Shylock geht in Shakespeares "Kaufmann von Venedig", da sagte Gad dazu: Wer Werner Krauß als Shylock sah, der ging aus dem Theater als Antisemit, und wer meinen Vater sah, der fühlte die ganze Tragödie des jüdischen Volkes. Nun hat ja Alexander Granach seine Identität nie verleugnet als Ostjude. Wie wichtig war sie für ihn?

Wittlich: Ich denke, er war sich immer bewusst, dass das seine menschliche Basis war, was er da in diesem Dorf gelebt hatte in seiner Familie. Und ich glaube, er wusste, dass das irgendwo seine Substanz war, diese Menschlichkeit, die doch, glaube ich, sehr entscheidend war da unter den Juden, auch unter der ständigen Bedrohung eines immer latenten oder auch manifesten Antisemitismus in der Ukraine auch.

von Billerbeck: Die Basis ihres Films und wahrscheinlich auch die Basis vieler Jahre im Leben von Alexander Granach war ja die Beziehung zu Lotte Lieven, auch wenn er ja einen großen Hang zu vielen anderen Frauen hatte. Er unterschrieb ja seine Briefe immer "dein Neger". Und da könnte man ja vieles drin lesen, aber sie war ja, wenn man es mal optisch nimmt, quasi das Gegenteil von ihm. Sie wirkte aristokratisch, sie war hochgewachsen, groß, blond, das Adoptivkind einer wirklich reichen Schweizer Familie.

Und er hat sie ja immer gebeten, auch als er es nach Amerika geschafft hatte, komm doch her, man muss sich retten, retten, retten. Und er hat das geschildert: Wir wurden jeder des anderen Sehnsucht und jeder des anderen Zentrum. Trotzdem ist Lotte ja nicht zu ihm nach Amerika gekommen, sie sind ja nicht mehr zusammengekommen, als er im Exil war und sie in der Schweiz.

Wittlich: Ja, ganz erklären kann man auch das nicht, weil man ihre Briefe nicht hat. Und erst mal muss man sagen, als er nach Amerika ging, war das in New York ja auch anfangs sehr schwierig. Erst '39 bekam er ja bei Lubitsch seine erste Rolle, und Lotte spielte in Zürich Theater, und sie lebte natürlich in dieser Villa in Rapperswil, und ihre Mutter lebte auch da mit ihr. Ob sie der Mutter wegen da geblieben ist – man weiß es nicht.

von Billerbeck: Nun haben Sie so beiläufig gesagt, er hat ja dann erst '39 bei Lubitsch Arbeit gefunden, das hat ja auch nicht jeder Exilant, auch nicht jeder Schauspieler geschafft, wir kennen viele unglückliche Geschichten. Wie ist ihm denn das wieder gelungen?

Wittlich: Na ja, man muss dazu sagen, die beiden kannten sich ja schon, die waren ja bei Max Reinhardt zusammen auf der Schauspielschule. Lubitsch mochte ihn auch sehr, und ich denke, es kam alles zusammen, und Lubitsch mochte ihn.

von Billerbeck: Und man könnte fast sagen, wenn das nicht zu schwarzhumorig klänge, er hat eigentlich bis zum Totenbett gespielt. Es gibt bei Ihnen im Film eine Äußerung, dass der Rabbiner, der ihn am Totenbett gesehen hat – Granach ist an einer ganz banalen OP, einer Blinddarm-OP, einer misslungenen, gestorben –, hat der Rabbiner zu ihm gesagt: Genug, hast lange genug den Toten gespielt, wach wieder auf! Was bleibt von diesem Alexander Granach in unserer Erinnerung?

Wittlich: Na ja, was bleibt, ist natürlich sein autobiografischer Roman, der einfach ein Meisterwerk ist. Und ich glaube, keiner hat so wie er die Liebe zum Theater beschrieben, deswegen lieben ja auch alle Schauspieler dieses Buch, und alle Schauspieler verehren Granach. Und es bleiben jetzt auch seine Briefe, und es bleibt, wenn man sich den Film anschaut, auch vielleicht das Staunen über einen Menschen, der mit so einer Kraft sich in immer wieder neuen Sprachen und immer wieder neuen Welten einen Platz erobert. Wir leben ja in eher ängstlichen Zeiten, und wenn wir uns das so anschauen, dann denken wir, meine Güte, was hat der alles erlebt und durchgestanden, und er hat eigentlich niemals geklagt.

von Billerbeck: Das sagt Angelika Wittlich. Ihr Dokumentarfilm über den Schauspieler Alexander Granach, "Da geht ein Mensch", kommt jetzt in die Kinos, die Briefe Alexander Granachs an Lotte Lieven lesen darin übrigens die Schauspieler Juliane Köhler und Samuel Finzi.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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