Jüdische Lebenswelten

Offene Worte statt Höflichkeiten

Von Jürgen König, Kulturkorrespondent im Hauptstadtstudio · 22.11.2013
Einen Ort echten Dialogs über jüdische Gegenwart und Geschichte will die Akademie des Jüdischen Museums schaffen. Dabei sollen auch die Lebensgeschichten der jüdischen Migrantinnen und Migranten in Deutschland beleuchtet werden und ein islamisch-jüdisches Forum aufgebaut werden.
Zu "Forschung, Diskussion und Gedankenaustausch über jüdische Geschichte und Gegenwart sowie gesellschaftliche Vielfalt" will die Akademie einladen, einer der Schwerpunkte: das plurale, multireligiöse und multiethnische Einwanderungsland Deutschland. Migration, so Michael Blumenthal, der Direktor des Jüdischen Museums, Migration sei doch der Normalfall der Geschichte, und gerade sein Haus hätte dazu viel zu erzählen.
"Denn in der Geschichte der deutschsprachigen Juden gibt es viel Erfahrung von dem Zusammenleben einer Minderheit innerhalb einer Gesellschaft, der deutschen Gesellschaft, die auch auf die heutigen Probleme sehr gut angewendet werden können."
Nicht mit religiösen Fragen habe sich das Jüdische Museum und mit ihm dessen Akademie vorwiegend zu beschäftigen, hält Blumenthal Kritikern entgegen, die genau dies von ihm fordern.
"Das Jüdische Museum ist ein deutsches Geschichtsmuseum, das sich auch mit kontemporären Fragen befasst, und da glauben wir, dass wir durch unsere Programme in Kooperation mit anderen Institutionen, die sich mit Integration beschäftigen, einen besonderen Beitrag leisten können und darauf werden wir uns in der Akademie besonders spezialisieren."
Für Migranten, deren Kinder, deren Enkel
Zum Auftakt werden Migrationsforscher mit politischen Entscheidungsträgern über "neue Ansätze der Migrations- und Integrationspolitik in Deutschland" diskutieren, generell ist vorgesehen, den Kreis derer, die da miteinander sprechen, endlich auch um die zu erweitern, um die es geht: die Migranten, deren Kinder, deren Enkel. Dass Millionen Menschen, die seit Jahrzehnten in Deutschland leben, viele noch dazu längst mit deutschem Pass, im Bewusstsein der deutschen Öffentlichkeit immer noch nicht wie selbstverständlich auch zur Geschichte dieses Landes gehören – das müsse sich ändern, und das werde der zweite Schwerpunkt der Akademieprogramme sein, sagt deren Leiterin, Yasemin Shooman:
"Ein wesentlicher Aspekt von Teilhabe, gesellschaftlicher Teilhabe ist eben auch die kulturelle Teilhabe, sich repräsentiert zu sehen auch im historischen Bewusstsein und dazu wollen wir beitragen, indem wir beispielsweise über Lebensgeschichten, über Alltagsgeschichte von Migrantinnen und Migranten und ihren Nachkommen einen Zugang schaffen. Und das auch in einer vergleichenden Perspektive: Nicht nur die BRD, sondern auch die DDR hatte eine Migrationsgeschichte und wir wollen diesen Geschichten einen Raum geben, einen Platz im, wenn man so will, historischen Bewusstsein der Öffentlichkeit verschaffen."
Islamisch-jüdisches Forum
Der dritte Schwerpunkt soll der "Aufbau eines islamisch-jüdischen Forums zu theologischen Themen und zur muslimisch-jüdischen Beziehungsgeschichte" werden. Dafür will man sich Zeit lassen und vor allem – wie bei der gesamten Akademie-Arbeit, - darauf achten, dass
"wirkliche" Dialoge zustande kommen. Man will offene Worte hören, keine wohlformulierten Höflichkeiten. Weshalb die Presse immer wieder auch ausgeschlossen werden wird.
Michael Blumenthal: "Insbesondere Menschen, die in Verbänden organisiert sind, die auch nach außen wirken, müssen sich oft über ihre Wirkungsweise Gedanken machen, und sobald Medienvertreterinnen und –vertreter anwesend, gibt es auch eine politische Agenda von Organisationen, das können wir ein stückweit, denke ich, aushebeln, wenn wir also Settings schaffen, Gesprächskreise, wo man ein bisschen mehr zur Sache spricht und weniger über seine Außenwirkung nachdenken muss, weil man eben in einem geschützten Rahmen sich unterhalten und austauschen kann. Da erhoffe ich mir einfach eine ehrlichere, offenere Debatte, dass man vielleicht auch mal Dinge sagt, die man in der Öffentlichkeit so aus verbandspolitischen Gründen nicht unbedingt sagen würde."
Und noch ein Ziel der Akademie lässt Direktor Michael Blumenthal lächelnd durchblicken: indem er Migration als etwas Normales ansieht, indem er Politiker, Wissenschaftler, Migranten und Nicht-Migranten zum Gespräch freundlich zwingend zusammenbringt, will er auch den Politikern Mut machen.
"Politiker sollen immer Mut beweisen, und Mut ist in der Politik auf der ganzen Welt Mangelware. Und es sind ja (...) also NGOs, also Außenstehende, nicht offizielle Kreise, auch akademische Kreise, die sich mit gesellschaftlichen Fragen befassen, können da immer eine gewisse Vorarbeit leisten, die den Politikern nützlich sein kann."
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