Jüdische Geschichte

Die Geschichte der Gemeinde Hohenems

Blick auf Hohenems
Der Blick auf die östereichische Gemeinde Hohenems © imago/Westend61
Von Katrin Kühne · 20.11.2015
Im Jahr 1617 erhalten die ersten 17 jüdischen Familien einen Schutzbrief mit dem Recht zur Ansiedlung: Die Geschichte der österreichischen Gemeinde Hohenems wird heute in der Dauerausstellung des jüdischen Museums vor Ort nacherzählt.
"Wir sind hier gerade im Eingang zur ehemaligen Jüdischen Schule, 1825 erbaut, die sog. Deutsche Normalschule der jüdischen Gemeinde. Das geht zurück auf die Josephinischen Reformen, die die jüdischen Minderheiten in Österreich u.a. dazu verdonnern sollten, deutsch zu lernen."
Denn die Mitglieder der Kultusgemeinde von Hohenems sprechen nach wie vor jiddisch und schreiben in hebräischen Lettern.
Man wollte die Juden besser unter Kontrolle haben, erzählt der Direktor des Jüdischen Museums des Vorarlberger Städtchens, Hanno Loewy. Heute ist das restaurierte, weiße Schulgebäude ein angesagtes Restaurant mit jüdisch-orientalisch angehauchter Küche.
Gleich daneben steht das kleine wieder hergestellte Ritualbad, das heute einzige Österreichs.
"Das ist 1828/1829 gebaut worden und ist ganz typisch, also in der Bauweise von außen, für viele süddeutsche alte Mikwen, Ritualbäder, die zu dieser Zeit dann eigentlich nur noch von den Frauen benutzt wurden."
Nach dem ersten Weltkrieg zusammengeschmolzen
1617 erhalten die ersten 17 jüdischen Familien einen Schutzbrief von Reichsgraf Kaspar von Hohenems mit dem Recht zur Ansiedlung. Als die Grafschaft an Österreich fällt, garantiert ein Schutzbrief Maria Theresias 1765 relative Sicherheit für die nächsten rund anderthalb Jahrhunderte.
Die Kultusgemeinde blüht auf und hat im 19.Jahrhundert rund 600 Mitglieder, etwa ein Sechstel der damaligen Bevölkerung. Wirtschaftsschwerpunkt der jüdischen Familien ist die Textilindustrie. Lange Zeit war das alles vergessen.
Heute weisen überall Schilder auf das Jüdische Viertel mit seinen herausgeputzten Häusern hin, das mitten im Zentrum liegt. Nach dem ersten Weltkrieg war die Gemeinde durch Abwanderung und Wirtschaftskrise auf wenige Mitglieder zusammengeschmolzen.
"Es begann eh schon ein Stück weit der Niedergang der Häuser, dann kamen die Nazis, die wenigen Häuser die noch Privatjuden gehörten, wurden natürlich arisiert."
"Zweisamkeit" von Juden und Christen nicht immer konfliktfrei
Überall wird gehämmert, gebohrt, gebaut um und im ehemaligen Jüdischen Viertel, das eigentlich gar keines war, sondern eine Straße.
"Wo jetzt gebaut wird, das ist die ehemalige Christengasse. Hohenems ist, glaube ich, der einzige Ort in Europa, wo die Judengasse die Hauptstraße war, jedenfalls eine von den beiden Hauptstraßen."
Und in der Mitte, wo die beiden zusammenlaufen, seit reichsgräflichen Zeiten eine Kneipe mit dem sinnigen Namen Engelburg.
"Es gab eine Zeitlang zwei politische Gemeinden hier, nach dem Nachgang der Östereichischen Revolution 1848/49 wurde den Juden aber hier immerhin erlaubt, sich ‚politische Gemeinde Hohenems' zu nennen, einen eigenen Bürgermeister zu wählen, einen eigenen Gemeinderat."
Erst in den 1880er-Jahren werden die Gemeinden verschmolzen. Die gelebte "Zweisamkeit" von Juden und Christen ist durchaus nicht immer konfliktfrei. 1804 wird der musikalisch-berühmteste Sohn der Stadt in der damaligen Judengasse geboren.
Feuerwehrhaus aus Synagoge
"Salomon Sulzer war einer der drei bedeutendsten jüdischen Komponisten, Musiker des 19.Jahrhunderts. Er war Kantor, schon hier in Hohenems, ist dann nach Wien abgeworben worden als Oberkantor am Stadttempel ab 1826 und im hohen Alter in Wien gestorben als 'Papa Sulzer'."
Neben seinem Geburtshaus steht der heutige Salomon-Sulzer-Saal, die ehemalige, 1771 erbaute Synagoge.
"Denn schon die Nazis hatten die 'geniale' Idee, aus der Synagoge ein Feuerwehrhaus zu machen und nach dem Krieg wurde das dann tatsächlich getan."
Und "Erbaut 1955" stand dann auch noch an dem Gebäude.
Die Architekten Ada und Reinhard Rinderer haben die schwierige Rücktransformation der ehemaligen Synagoge durchgeführt. Ada Rinderer stammt aus der Nähe von Tel Aviv.
"Als ich nach Vorarlberg gekommen bin, 1994, so habe ich das Gebäude gesehen, als Feuerwehrhaus. Und ich bin auch 2.Generation Holocaust-Überlebende, konnte ich selber auch nicht verstehen, wie sowas kann auch zu einem Gebäude wie eine Synagoge passieren."
"Da müssen die Leute ja im Dunkeln das Zeug bringen"
Der lichte, 2006 eröffnete Saal hat wieder seine ursprüngliche Kubatur erhalten. Wo einst der Thoraschrein stand, hat das Architektenehepaar eine Leerstelle der Erinnerung gelassen.
Reinhard und Ada Rinderer kümmern sich auch um den bereits 1617 gegründeten "Israelitischen Friedhof" zusammen mit einem Verein, der von in St.Gallen lebenden Nachfahren der Hohenemser Fabrikantenfamilie Bollag gegründet worden ist.
"Jetzt muß ich Sie aber etwas fragen. Mit was kann man in Vorarlberg ein jüdisches Museum einrichten? Da müssen die Leute ja im Dunkeln das Zeug bringen."
Das Zitat stammt von Jenny Bollag-Landauer, als sie im Vorlauf zur Museums-Eröffnung Februar 1987 interviewt wird.
Zu lesen ist es im Treppenhaus des 1991 dann eröffneten Jüdischen Museums in der Villa Heimann-Rosenthal, die von einem alten Garten umgeben ist. Wenn man hineinkommt, empfängt einen das Zischen der Espresso-Maschine des kleinen Cafés und eine anheimelnde Atmosphäre. Heimat Diaspora, so das Motto der 2007 neu konzipierten Ausstellung.
Transnationale Beziehungen bringen liberale Atmosphäre in die Gemeinde
"Der Raum, in dem wir sind, war mal der Gartensaal oder Salon der Villa Rosenthal. Das war das Haus, das die Familie Rosenthal 1864 sich bauen ließ von einem Schweizer Architekten aus St.Gallen. Damals waren die Rosenthals als auch die jüdische Gemeinde in Hohenems quasi auf dem Gipfel angekommen."
Die Villa ist Ort und Objekt der Ausstellung zugleich. Die Glastüren im Piano Nobile zeigen elegante eingeschliffene Blumen- und Pflanzenmotive, schöne Kachelöfen verbreiten noch immer eine großbürgerliche Behaglichkeit wie zu Zeiten der Rosenthals.
"Was produzierten die? Die hatten natürlich auch noch eine Weberei, aber das eigentliche Geschäft, was sie machten, war, Baumwollstoffe zu bedrucken für Heimtextilien, für Mode und das war ein riesiger Erfolg und sie waren auch eine der führenden jüdischen Familien hier im Ort."
Stoffdruck ist damals das Neueste vom Neuen. Das seidene Hochzeitskissen der Tochter des Hauses, Clara Rosenthal, in der Ausstellung, ist beispielhaft dafür. Auf roten Rosen prangt – 1891 bereits in Fotodruck! - die elterliche Villa und das Brautpaar. Clara ist aus "strategischen Gründen" nach Antwerpen verheiratet worden, an den Kaufmann Josef Heimann.
Durch "strategische" Heiraten und Abwanderungen an neue Handelsplätze entsteht ein Netzwerk der Hohenemser jüdischen Familien in ganz Europa. Die transnationalen Beziehungen bringen eine weltgewandte, liberale Atmosphäre in die Kultusgemeinde.
"Er war ein ganz wilder Hund"
Clara Heimann-Rosenthal kehrt 1906 als junge Witwe ins Haus der Eltern zurück. Sie lebt dort noch bis zu ihrer Zwangsumsiedlung nach Wien 1940, nachdem sie das Haus 1936 an einen Arzt verkauft hatte, in einer kleinen Wohnung. 1942 wird sie in Theresienstadt ermordet.
Von den 1938 noch sechzehn jüdischen Hohenemsern werden neun von den Nazis ermordet und sieben gelingt die Flucht. So dem beliebten Kantor der Gemeinde.
Harry Weil, der auch Leiter einer Big Band war, entkommt in die nahe Schweiz und weiter nach Amerika. Von ihm ausgestellt ist seine zünftige "Krachlederne".
"Er war ein ganz wilder Hund. Er ist viel in die Berge. Hatte eine wunderschöne Lederhose. Ganz nebenbei war er auch noch Kommunist und '38 ist er dann noch gerade rechtzeitig aus Hohenems geflohen."
In der Nazi-Zeit ist die Stadt Durchgangsort für viele Juden aus Österreich und Deutschland, die versuchen, durch den flachen Alt-Rhein die Schweiz zu erreichen.
"1938 waren es ohnehin eher die Schweizer, die die Flüchtlinge daran hindern wollten in die Schweiz zu kommen. Die Nazis haben die Leute vertrieben und denen war es nur Recht, wenn die Leute über die Grenze gingen, wenn man sie vorher tüchtig ausgeraubt hatte, konnten sie gehen."
Fluchthelfer wie Harry Weil helfen jüdischen Menschen dabei, zu entkommen. Aber auch auf der anderen, der Schweizer Seite, wie der Polizei-Hauptmann Paul Grüninger. Durch systematisches Ignorieren der Anweisungen aus Bern rettet er viele Leben.
Das Jüdische Museum besitzt eine Datenbank der Hohenemser jüdischen Familien.
Nach zwei voran gegangenen Treffen der Nachkommen werden 2017, zum 400-jährigen Jubiläum der Ansiedlung, mindestens 150 von ihnen hier wieder erwartet.
Denn egal, wo sie leben, in Amerika, England, der Schweiz, Hohenems ist Herzensheimat für sie geworden. Heimat Diaspora.
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