Judith Holofernes: "Du bellst vor dem falschen Baum"

Jeder noch so doofe Kalauer wird mitgenommen

Musikerin Judith Holofernes
Musikerin und Autorin Judith Holofernes © Deutschlandradio / Jana Demnitz
Von André Hatting · 21.11.2015
Heinz Erhardts Made oder Robert Gernhardts Zoo-Impressionen - Tiere inspirieren bis heute Dichter und Musiker. Judith Holofernes' Tierporträts in "Du bellst vor dem falschen Baum" fehlt aber nicht nur Witz: Ihre Albernheiten können richtig weh tun.
Von Äsop bis Loriot: Das Tier im Mensch und der Mensch im Tier fasziniert Dichter seit Jahrtausenden. Eine besonders eindrucksvolle, weil bis heute fortdauernde Tradition begründet im 2. Jahrhundert nach Christus der Physiologus. Diese Sammlung moralisierender Natur- und Tiergeschichten ist einer der ersten gesamteuropäischen "Bestseller".
Der Erfolg schafft Nachahmer: die Bestiarien entstehen. Das sind Verssammlungen, die Eigenschaften von Tieren allegorisch zunächst mit der christlichen Heilslehre, später dann mit weltlichen Themen verbinden. Moderne Versionen wie Franz Bleis Großes Bestiarium der modernen Literatur erneuern diese Tradition mit satirischem Treibstoff.
Blei hat in seiner Sammlung von 1922 die damals berühmtesten Schriftstellerkollegen (Altenberg, Heinrich Mann, D'Annunzio et al.) zu Tieren gemacht und sie auf diese Weise porträtiert und parodiert.
Holofernes nimmt es nicht so genau mit Reimen
Heinz Erhardts Made, Robert Gernhardts Animalerotica und Zoo-Impressionen, Fanny van Dannens Fruchtfliegen: Tiere inspirieren bis heute die Dichter – oder wie im Fall van Dannens eben auch Musiker – zu manchmal nachdenklichen, manchmal lustigen Texten.
Bei der Sängerin und Songwriterin Judith Holofernes ist das leider nicht der Fall. Den meisten ihrer Tierporträts fehlen Witz und Originalität. Sie sind oft nur albern:
"Ren, Tier, ren, so schnell du kannst"
"Schau, ein Wisent –
schau mal, wies rennt!"
"Ach, Kakadu
du Kacker, du"
Jeder noch so doofe Kalauer wird mitgenommen und in Knittelverse gequetscht. Selbstverständlich immer mit Endreim, mehr oder weniger zumindest. Die Autorin nimmt es nicht so genau: "nass" – "Spaß"; "Nachbarn" – "Krach gern"; "Schecks – Dreck"
Wortspiele in "Du bellst vor dem falschen Baum" schmerzhaft schlecht
Beim Gedicht Tuberkelhokko – eine Hühnerart – tut die Lektüre zum ersten Mal richtig weh:
"Machst nichts locker vom Hokko
Bist kein Rokko!"
Das sind Schmerzen, die ein paar Seiten später bei der Heineverhunzung Schaf in einen Wutanfall münden:
"Denk ich an Deutschland in der Nacht
hab ich kaum je ein Schaf gebraucht
Eh jenes sich zum Sprung aufmacht
Bin ich schon in den Schlaf geschlaucht."
Als Songwriterin der Band Wir sind Helden sind Judith Holofernes früher einige schöne Texte gelungen. Große Lyrik war das nie, musste es aber auch nicht sein, war halt Popmusik.
Immerhin: ein großartiger Bildband
Es scheint ein hartnäckiges Missverständnis im Literaturbetrieb zu sein, dass gute Musiker auch automatisch ganz tolle Lyriker sind. Spätestens das Beispiel Adam Green hätte an dieser scheinbaren Logik erste ernste Zweifel aufkommen lassen dürfen.
"Du bellst vor dem falschen Baum" ist ein großartiger Bildband, dessen prächtige ausklappbare Illustrationen besonders beeindrucken. Die Künstlerin Vanessa Karré knüpft damit gelungen an die Tradition der Bestiarien an. Diese Sammlungen waren auch Meisterwerke der Bebilderung. Leider hat sich Karré für ihr Buch die falsche Texterin ausgesucht.

Judith Holofernes: Du bellst vor dem falschen Baum
Klett-Cotta (Tropen), Stuttgart 2015
104 Seiten. 17,95 Euro

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