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Strom aus der Tiefe

Energie. - In Zeiten hoher Strompreise greifen Ingenieure zu vielen Konzepten, die früher erdacht, dann aber mangels Konkurrenzfähigkeit in der Schublade landeten. Eines dieser Konzepte ist ein Kraftwerk, das aus der Wärme des Ozeans elektrischen Strom erzeugt. Solch ein Meereswärmekraftwerk ist eines der Themen, die in dieser Woche im spanischen Bilbao auf der International Conference on Ocean Energy diskutiert wird.

Von Frank Grotelüschen | 07.10.2010
    "Man braucht einen Temperaturunterschied, wie er in tropischen Meeresgewässern herrscht: An der Wasseroberfläche ist das Wasser mehr als 25 Grad warm. In 1000 Metern Tiefe dagegen ist es nur etwa vier Grad kalt. Man hat also eine Temperaturdifferenz von mindestens 20 Grad. Und diese Differenz reicht aus, um eine Wärmemaschine anzutreiben."

    Emmanuel Brochard arbeitet bei DCNS, einer halbstaatlichen Marine-Werft in Frankreich. Das Konzept, das er verfolgt, heißt Meereswärmekraftwerk – oder im Fachjargon Otec. Otec steht für Ocean Thermal Energy Conversion. Das Prinzip: Durch ein kilometerlanges Rohr wird kaltes Wasser an die Oberfläche gepumpt. Dieses kalte Wasser dient dazu, ein geeignetes Gas zu verflüssigen. Anschließend wird das verflüssigte Gas durch das warme, tropische Oberflächenwasser zum Sieden gebracht, wodurch es dann, und das ist das Entscheidende, eine Stromturbine antreiben kann. Im Prinzip ein Dampfkreislauf wie in einem Kohlekraftwerk, aber bei deutlich niedrigeren Temperaturen. Solch ein Meereswärmekraftwerk hätte mehrere Vorteile: Es würde klimafreundlichen Strom liefern, also kein CO2 emittieren. Und, so Brochard:

    "Es würde immer Strom liefern, im Gegensatz zur Windkraft und zur Solarenergie. Die liefern ja nur Energie, wenn der Wind weht beziehungsweise die Sonne scheint. Und das ist wirklich ein großes Plus."

    In den 80er Jahren gab es bereits einige Prototypen. Doch damals, zu Zeiten des billigen Öls, waren sie schlicht zu teuer. Doch nun, wo der Ölpreis stetig klettert und der Klimawandel droht, scheint das Otec-Konzept wieder interessanter zu werden. Emmanuel Brochard jedenfalls hat ehrgeizige Pläne.

    "Wir planen eine Pilotanlage mit einer Leistung von immerhin 10 Megawatt. Eine Machbarkeitsstudie haben wir schon abgeschlossen. Das Hauptziel dieser Pilotanlage ist, Geldgeber von unserer Technik zu überzeugen. Und wir hoffen, dass unsere Anlage den ersten Strom im Jahr 2015 erzeugt."

    Die Pilotanlage ist eine Art künstliche Insel, 20 bis 30 Meter im Durchmesser, mit einem langen Rohr, das bis zu 1000 Meter in die Tiefe ragt, und einem kompletten Dampfturbinen-Kreislauf an Bord. Keine einfache Technik, sagt Brochard.

    "Es gibt eine ganze Reihe von Herausforderungen. Die eine ist: Wir müssen die Größe und Form einer Plattform anpassen an den jeweiligen Einsatzort. Beispielsweise gibt es im Indischen Ozean viel höhere Wellen als in der Karibik, und ein schwimmendes Kraftwerk muss damit fertig werden. Doch das wohl größte Problem ist das Rohr, mit dem wir das kalte Wasser hochpumpen wollen. Es muss stabil sein, darf aber nicht zu teuer werden. Und genau dafür suchen wir gerade eine Lösung."

    In stürmischen Regionen sollte das Rohr flexibel sein, in ruhigen Meeresgegenden darf es etwas starrer sein. Ob ein Otec-Kraftwerk irgendwelche Auswirkungen auf Fauna und Flora haben könnte oder sogar auf die Meeresströmungen, muss noch untersucht werden. Eines jedenfalls scheint klar: Die Meereswärmekraftwerke sind vor allem für eine Anwendung interessant – für die Versorgung jener tropischer Inseln, die heute noch nicht an ein Stromnetz angeschlossen sind. Doch ob sie in nennenswertem Umfang zur globalen Energieversorgung beitragen können, ist nach heutigem Stand wohl eher unwahrscheinlich.