Judenspanisch

Vom Kampf gegen das Aussterben einer Sprache

In diesem Gebäude im portugiesischen San Miguel ist ein Jüdisch liturgischer Schrank zu finden. Es soll zu einem Jüdischen Museum umgebaut werden.
Jüdisches Gebäude in Portugal - dort wurde Judenspanisch früher gesprochen. © imago/GlobalImagens
Von Sebastian Mantei · 30.09.2016
Judenspanisch ist die Sprache, die die Juden nach Ihrer Vertreibung aus Spanien und Portugal mitgenommen haben. Doch bald stirbt sie aus. Die letzten Menschen, die der Sprache mächtig sind, und ein paar Judenspanischforscher kämpfen gegen das Vergessen.
Unterhalb des Domplatzes befindet sich im ehemaligen jüdischen Viertel die Klaussynagoge. Bis 1938 wurden in der Klaus - der Klausursynagoge aschkenasische Rabbiner ausgebildet. Durch eine große Holztür gelangt man in den Backsteinbau, 300 Jahre alte Holzdielen führen in die einstige Rabbinerwohnung. Doch statt Jiddisch oder Hebräisch hört man heute andere Klänge aus dem Studierzimmer des Rabbiners.
Junge WissenschaftlerInnen aus der ganzen Welt haben sich zur International Sephardic Summer School getroffen. Sie forschen über die judenspanische Sprache, die die Juden nach ihrer Vertreibung aus Spanien 1492 in alle Welt mitnahmen. Es ist eine Mischung aus Spanisch, Portugiesisch und Hebräisch. Die Sprache wird von der Karibik bis zum Bosporus noch von wenigen sephardischen Juden beherrscht. Doch gerade das fasziniert die Teilnehmer, wie die junge serbische Hispanologin Ivanna Vucina-Zimovic.
"Ich habe zuerst Hebräisch gelernt, weil ich mich schon immer für das Judenspanisch interessiert habe. Und später als Wissenschaftlerin lernte ich dann noch die Raschischrift, um auch die Kommentare in den Schriften der Rabbiner zu verstehen. Es ist eine spezielle Art von hebräischen Buchstaben, die in den sephardischen Jahrhunderten genutzt wurde und heute fast vergessen ist."
Die Geschichte des Judenspanischen ist auch mit Ivannas Familie verbunden, so sprach ihr Großvater noch diese Sprache. In den Räumen der Moses-Mendelssohn-Akademie in Halberstadt kann sich Ivanna mit ihren Kolleginnen aus der ganzen Welt über ihre Forschungsarbeiten austauschen. Organisiert hat diesen Workshop der Hamburger Psycholinguist Michael Halewi. Er selbst stieß über eine Anstellung in Bukarest auf eine judenspanische Gemeinde. Seither bemüht sich der stets freundlich blickende Sprachforscher um den Erhalt des Judenspanischen, das derzeit eine kleine Renaissance erlebt.
"Einige deutsche, israelische, englische Universtäten bieten Kurse an im Judenspanischen. Aber Kurse dauern nur 14 Wochen, ein Semester. Und man hat keine Gelegenheit die Sprache intensiver zu lernen. Und da kam die Idee auf, bei uns zumindest vor fünf Jahren, eine Summerschool zu gründen und zwar dort, in diesem Fall Bulgarien, wo es noch Menschen gibt, ungefähre 200 bis 250, die noch relativ gut Judenspanisch sprechen. Also wir konnten unterrichten und gleichzeitig korrigiert werden von denen, die diese Sprache als Muttersprache sprechen. Wie gesagt, die Sprecher sind alle 80 bis 90 Jahre alt. In fünf oder zehn Jahren wird das zu Ende sein. Aber mit den Studenten hoffen wir, dass Arbeiten entstehen, Magisterarbeiten, Staatsexamen und Promotionen. Vielleicht arbeiten manche Später als Judaisten, als Historiker, als Romanisten an Universitäten, in Gesellschaften oder Bibliotheken, so dass die Kenntnis vom Judenspanischen von der sephardischen Welt einfach weitergegeben werden kann und nicht ganz verloren geht. Weil die sephardische Welt durch den 2. Weltkrieg und Holocaust nahezu zerstört worden ist."
Die ersten Sephardischen Summerschools fanden in Sofia statt, die letzten beiden in Halberstadt im alten jüdischen Viertel - ideale Bedingungen zum Studieren, schwärmt Alexandra Federovska aus Gdansk:
"Die Idee dieser Schule ist großartig und es ist eine spannende Herausforderung, Wissen auszutauschen, Materialen, Quellen. Es ist ein wunderbarer Platz, friedlich und ruhig. Wir lieben Halberstadt, es ist eine schöne Stadt."
Während der Summer School sollen sich die Teilnehmer zum einen austauschen, zum anderen soll aber auch eine gemeinsame Arbeit entstehen, die publiziert wird, erzählt Ivanna Vucina-Zimovic.
"Wir transliterieren einen in hebräischen Buchstaben geschriebenen Text in lateinische Buchstaben. Der Aufsatz ist von 1933 aus Saloniki. Der unbekannte Autor schrieb in Judenspanischer Raschischrift über das Leben von Adolf Hitler. Das Ergebnis wird dann in der Türkischen Judenspanisch-Zeitung El Amaneser in einer Serie publiziert. Dann kann die sephardische Öffentlichkeit das lesen, was wir hier gemacht haben."
Der Autor kommt in seinem Text zu dem Schluss, dass der rasante Aufstieg Adolf Hitlers schnell Geschichte sein wird und er wenig Schaden anrichten kann. Das denkt er 1933 im griechischen Saloniki, einer Stadt mit über 53.000 Juden. Doch es kommt anders, das kann auch die 73 jährige Seminardozentin Drita Tutunovic bezeugen, deren Familie aus Saloniki deportiert und teilweise ermordet wurde. Drita wird 1944 in einem KZ bei Wien geboren. Den Eltern gelingt die Flucht. Die neue Heimat von Drita und ihrer Familie wird Belgrad in Jugoslawien.
"Ich habe Judenspanisch zuhause gelernt. Vor allem von meiner Großmutter. Sie konnte nur Judenspanisch, weil sie ursprünglich nicht aus Serbien kam. Unsere Familie stammt aus Saloniki in Griechenland stammte und nach dem 2. Weltkrieg gingen wir nach Serbien ging, so konnte sie kaum Serbisch."
Die Judenspanische Gemeinde im Nachkriegsjugoslawien ist relativ groß. Doch nach dem Jugoslawienkrieg in den 90er Jahren ändert sich das. Viele junge Leute verlassen das Land, ältere Sprecher sterben und es bleiben nur noch wenige zurück. Das macht Drita Tutunovic besonders zu schaffen, erzählt die kleine Frau, mit ernster Stimme.
"Es ist eine schlechte Situation. Im Grunde sprechen nur die Älteren dieses Judenspanisch und von denen sind bereits viele gestorben. Viele geben es auch nicht an ihre Kinder weiter. Ein anderer Grund ist die Assimilation, dass nicht nur innerhalb der sephardischen Gemeinde geheiratet wird, sondern dass auch andere Ethnien einheiraten und dadurch die Sprache verloren geht.
Mir macht das sehr zu schaffen. Denn die Häuser, die zuvor voller Leben waren, sind jetzt leer. Es gibt kein Lachen mehr in diesen Häusern und das ist eines der schlimmsten Gefühle, die ich habe."
Dritha Tutunovic beließ es aber nicht dabei, statt zu resignieren, will sie ihre Sprache retten und sie für die Zukunft bewahren.
"Begonnen habe ich mit einem Wörterbuch Judenspanisch - Serbisch mit 5000 Lexemen und Redewendungen, weil ich Angst hatte dass das Judenspanisch abhandenkommt. Dann habe ich weitergemacht mit einem Buch: Deine Antwort auf den Mond - da stehen auch Lieder und Ratschläge drin - Davon gibt es auch eine Kassette. Danach publizierte ich eine Sammlung mit verschiedenen Liedern, Sprichwörtern und Redewendungen.
Und mein letztes Buch mit dem Titel "Spuren im Schnee", die dann auch verschwinden, wenn der Schnee schmilzt, soll mein ganzes Werk zusammenfassen. Der Schnee, der schmilzt mit der Hoffnung, dass trotzdem etwas bleibt."
TeilnehmerInnen, wie Drita Tutanovic, die diese Sprache lebendig werden lassen und mit ihr viele Geschichten erzählen können, bereichern die Sephardic summer school. Das begeistert vor allem junge WissenschaftlerInnen, die sich mit dieser fast vergessenen Sprache beschäftigen, freut sich Seminarleiter Michael Halevy.
"Der Funke springt erstaunlich schnell über und mit großem Erfolg, wenn man das mit etwas Stolz sagen darf. Wie kann man das messen? Messen kann man das, wenn Studenten kommen, Interesse haben an der Sprache, an der Kultur und wiederkommen und plötzlich entscheiden, sie wollen darüber promovieren, magistrieren, eine Staatsarbeit darüber schreiben, einen Aufsatz schreiben. Und wir haben, glaube ich, in den fünf Jahren vier Doktoranden gehabt, die fertiggeworden sind. Wir haben noch zwei, die hoffen wir fertig werden. Und das heißt, man kann Menschen begeistern. Das Problem ist nur, es gibt wenig Betreuer für diese Studenten, es gibt im Ostblock wenige Bibliotheken mit den Büchern, die wichtig sind. Sie können auch nicht so reisen, wie wir reisen. Es ist eine Geldfrage aber immerhin es zeigt sich, dass so ein Treffen hier, eine Woche, mal zehn Tage mal vierzehn Tage, dass da der Funke überspringt. Und dass in der Tat Arbeiten entstehen und diese Arbeiten sind wieder ein Beitrag zum Überleben dieser Kunst und Kultur."
Mittlerweile sind die Studenten und Dozenten wieder nach Schweden, Kolumbien, Israel oder Polen zurückgekehrt. Doch fest steht für sie, im nächsten Jahr wiederzukommen und andere für die sephardische Kultur zu begeistern.
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