"Judas" von Amos Oz

Große Themen auf engstem Raum

Der israelische Schriftsteller Amos Oz
Der israelische Schriftsteller Amos Oz © picture-alliance / dpa / Rolf Vennenbernd
Von Carsten Hueck · 31.03.2015
Liebe, Verrat, Religion und ihre unterschiedlichen Lesarten - das sind die Bausteine im neuen Roman des israelischen Schriftstellers Amos Oz. Er problematisiert darin insbesondere die Frage der Staatsgründung Israels.
Um Liebe, Verrat und Religion geht es in dem neuen Roman von Amos Oz. "Judas" heißt er auf Deutsch, "Das Evangelium nach Yehuda" im hebräischen Original. Dieser Titel macht sogleich deutlich, dass der israelische Autor in der Figur des Yehuda (= Judas) Christliches mit Jüdischem zusammenführt.
Judas ist Gegenstand einer wissenschaftlichen Untersuchung, an der Oz' Hauptfigur, der fünfundzwanzigjährige Student Schmuel Asch, arbeitet. Im Winter des Jahres 1959 aber macht sein Vater Pleite und kann ihn nicht mehr unterstützen. Seine Freundin verlässt ihn und heiratet einen anderen. Und auch der "Arbeitskreis zur sozialistischen Erneuerung" in dem sich Schmuel für die kubanische Revolution begeistert, spaltet sich. Der sympathische Antiheld, ein empfindsamer, asthmatischer Bär mit Zauselhaaren und Zottelbart steckt also in einer tiefen Krise. "Jeder Tag seines Lebens war ein zermürbendes Hindernisrennen im Kreis."
Doch das Motiv des Verrats beschäftigt Schmuel weiterhin. Er stellt die These auf, dass Judas der erste Christ gewesen sei, ein Verräter aus Liebe, der die gute Sache befördern wollte. Derjenige, der tatsächlich an die Göttlichkeit Jesus' glaubte und ihn überredete nach Jerusalem zu gehen, um dort dann publikumswirksam vom Kreuz herabzusteigen.
Ebenfalls als "Verräter" gilt Scheatiel Abrabanel, langjähriger Mitarbeiter Ben Gurions, und von diesem verstoßen, als er gegen die Gründung eines jüdischen Nationalstaates votierte. Bald darauf starb er, von der zionistischen Geschichtsschreibung totgeschwiegen.
Düsternis von Ironie erhellt
Schmuel zieht in sein Haus, in dem die 45-jährige Atalja, Abrabanels schöne und distanzierteTochter und ihr Schwiegervater Gerschom leben. Schmuel übernimmt dessen Betreuung. Vor allem muss er ihm abends als Gesprächspartner zur Verfügung stehen. Kost und Logis sind dafür frei. Im Haus des Alten lebt auch die 45jährige Atalja, Abrabanels schöne und distanzierteTochter.
Während Amos Oz aus den gelehrten, anti-idealistsichen Monologen des Alten und den weltverbesserischen Ansichten des Studenten einen fein gesponnenen Diskurs über Vergangenheit und Gegenwart des Staates Israel entwickelt, eine Auseinandersetzung über Religionsgeschichte und Politik, entspinnt sich zwischen Atalja und Schmuel eine verspätete coming of age Geschichte, die von Verlauf und Setting an den Roman "Abschied von der Unschuld", der Britin Olivia Manning erinnert.
Der Roman hat wenig Handlung - und doch nimmt er sofort gefangen. Oz liebt seine Protagonisten, er zeichnet sie ambivalent. Ihre unterschiedlichen Meinungen bringt er gleichberechtigt zu Gehör und schafft es so, auf engstem Raum überzeugend große Themen der Menschheitsgeschichte zu entfalten. Die seitenlange Schilderung der Kreuzigungsszene Jesu aus Sicht des Judas ist dabei ein Höhepunkt.
"Judas" spielt in der jüngeren israelischen Vergangenheit, weist von dort noch weiter zurück - und erzählt doch unsere Gegenwart. Oz problematisiert insbesondere die Frage der Staatsgründung Israels. Nach den holzschnittartigen Erzählungen der letzten Jahre, greift der Autor in diesem Roman wieder zum Pinsel. Wie in "Eine Geschichte von Liebe und Finsternis" malt er mit den Worten - Gassen und Häuser Jerusalems, das Licht, Tageszeiten, Interieurs, Menschen und ihre Seelen. Oft düster, aber immer auch wieder von Ironie erhellt und der souveränen Hand eines alten Meisters, der das Leben im Detail liebt.

Amos Oz: "Judas"
Aus dem Hebräischen von Mirjam Pressler
Suhrkamp Verlag, Berlin 2015
331 Seiten, 22,95 Euro

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