Jubiläum

Eine wie keine zweite

Die Christi-Verklärungs-Kirche auf der russischen Insel Kizhi.
Die Christi-Verklärungs-Kirche auf der russischen Insel Kizhi. © dpa
Von Vera Block · 17.08.2014
Sie gilt als russisches Heiligtum: Die Christi-Verklärungs-Kirche auf der Insel Kizhi in Nordwestrussland, die komplett aus Holz gebaut ist. Zigtausend Interessierte pilgern jedes Jahr dorthin. Jetzt feiert sie 300-jähriges Jubiläum - ist aber eigentlich noch gar nicht bereit dafür.
"Es gab nie, es gibt nirgends und es wird niemals eine Zweite geben", das soll der Legende nach Zimmermann Nestor gesagt haben, als er die hölzerne Verklärungskathedrale fertiggestellt hatte. Danach soll er seine Axt in die stahlblauen Wellen geworfen haben.
Die Kirche, die nun seit 300 Jahren die Landschaft mitten im karelischen Onegasee prägt, ähnelt von weitem einer Pyramide. Früher erinnerte ihre gen Himmel strebende Form vielleicht an die Flamme einer Kerze. Heute drängt sich der Vergleich zu einer verwegen aufgetürmten Portion Softeis auf. So oder so – 37 Meter, elf Stockwerke, hoch, aus Holz bis ins letzte Detail, vom Wasser umgeben –für viele Russen gilt diese Kirche als ein Weltwunder.
Eine Pilgerstätte für Architektur-Begeisterte
70 Kilometer vom Festland entfernt, inmitten Dutzender Inseln, liegt Kizhi – ein sieben Kilometer langes und nur rund 500 Meter breites Eiland. Seit jeher soll hier eine Stätte heidnischer Feste gewesen sein. Später errichtete man Kirchen darauf, und auch heute noch ist die Insel eine Pilgerstätte – allerdings für Architektur- und Volkskunst-Begeisterte. Über 150.000 Interessierte besuchen jährlich das Kizhi-Freiluftmuseum für sakrale und profane Holzarchitektur.
"Es gibt einige Dutzend ähnlicher Open-Air-Museen in Russland. Kizhi ist besonders, weil es die Spitzenbeispiele der russischen Holzarchitektur zeigt",
...sagt einer der ältesten wissenschaftlichen Mitarbeiter des Museums, Boris Guschin.
An dem Museum ist beides gleich bedeutend – die Kirchen, die ursprünglich auf der Insel standen, und die Wohnhäuser und andere Bauten wie Scheunen, Mühlen oder Kapellen, die seit der Gründung des Museums 1960 hierher gebracht und aufgebaut wurden. Die Kunstfertigkeit der Zimmerleute fasziniert umso mehr, wenn man daran denkt, dass es eine abgeschiedene Bauerngegend war. Es gab hier kein Kloster, in dem die Baukunst hätte gepflegt werden können. Das alles wurde von Bauern gebaut.
Eine Touristengruppe hält neben einem Steinwall an. Zur Rechten plätschern die Wellen, zur Linken wird die Sonne von der mächtigen Zwiebelturmkathedrale verdeckt.
Der Grundriss kommt angeblich von Zar Peter der Große
"Groß, mächtig, aus der Ferne sichtbar, also das war eine große und prächtige Kirche, diese Christi-Verklärungs-Kirche. Aber das war eine kalte, ungeheizte, sogenannte Sommerkirche, wo der Gottesdienst nur in den Sommermonaten abgehalten wurde."
Galina arbeitet seit über zehn Jahren als Guide auf der Insel. Drei, manchmal auch vier Führungen pro Tag sind in der Hochsaison normal, erzählt sie. Immer wieder würden am Pier Kreuzfahrtschiffe aus Sankt Petersburg anlegen. Die meisten bringen Touristen aus dem Ausland. Alle ganz begierig danach, die berühmte Verklärungskathedrale aus der Nähe zu erleben.
"Bestimmt ist das das Wichtigste und Schönste, was wir hier in unserem Freilichtmuseum haben."
Eine der beliebten Anekdoten der Museumsmitarbeiter behauptet, den Grundriss des oktogonen Baus habe Zar Peter der Große eigenhändig in die Inselerde geritzt, als er seine nördlichen Länder erkundete. Wahrheitsgehalt eher gering, Wirkung auf die Touristen, da schmunzelt Galina, umso eindrücklicher. Und der Entwurf war ein Geniestreich, denn eine der Besonderheiten dieser Holzkirche sei ihr nach allen Seiten fast identisches Erscheinungsbild.
"Wenn wir nochmal die Kirche anschauen, sehen wir, dass die Kuppeln mit den Schindeln bedeckt sind. Und dieses malerische Schindelnkleid war hier immer aus Espenholz oder Zitterpappel angefertigt. Und im Laufe der Zeit gewinnt dieses Holz verschiedene Schattierungen, bei verschiedener Beleuchtung. So ist das frische Espenholz immer golden, so wie hier, und dann, im Laufe der Zeit, gewinnt es diesen edlen silbernen Glanz, und bei Morgen- oder Abendrot hat die Kirche eine rote Schattierung und bei trübem Wetter steht sie so ganz grau."
Die Schindeln, die wie Schuppen einer Rüstung auf den Zwiebeltürmen liegen, sind die einzigen Elemente des Baus, die mit Nägel befestigt wurden, erzählt Galina. Der Rest der Konstruktion – und das sei das Spektakuläre an der Verklärungskathedrale - wird allein durch ausgeklügelte Holzverbindungen zusammengehalten.
Der obere Teil schwebt über den Wänden des unteren Gebäudeteils
"Die Kirche ist mit 22 Kuppeln gekrönt, die in vier Ebenen liegen, und wenn wir genau sie anschauen, sehen wir, dass sie alle verschieden in der Größe sind, und vielleicht verleiht dieser Unterschied in der Größe einen besonderen architektonischen Rhythmus der Kirche, wir können ihre Bewegung, ihr Streben zum Himmel spüren."
Dieses "zum Himmel streben" wird zurzeit auf geradezu verstörende Weise real. Auf ein Metallgerüst aufgespannt, schwebt der obere Teil des Gebäudes über den Wänden des unteren Kirchenschiffes wie eine ins Weltall abhebende Rakete. Denn die Kathedrale wird seit gut zwei Jahrzehnten restauriert. Vor 300 Jahren, als die Kirche aufgebaut wurde, zogen Zimmerleute die bis zu 80 Meter langen Kiefernstämme einfach mit den Booten auf die Insel. Sie arbeiteten schnell, nicht auf Jahrhunderte bedacht. Und so wurden Stämme morsch. Verbindungen verzogen sich, das Gleichgewicht drohte zu kippen. Nach langen Diskussionen beschloss man, das russische Nationalheiligtum einem so genannten "Lifting" zu unterziehen. Den Korpus in kleinen Schritten anheben, Stämme austauschen und so die ganze Kirche von unten nach oben generalüberholen.
"Das ist ein spezielles System mit Trägern und Schrauben-Hebern, einfach, aber ausgeklügelt",
...erklärt ein Mitarbeiter des Restaurationsteams.
Mindestens drei Jahre dauern die Arbeiten noch
"Die erste Hebung dauerte acht Stunden... Und die vorangegangene Montage einen ganzen Monat. Dabei haben wir die Hauptkuppel um gerade mal 20 cm angehoben..."
Fünf Jahre ist die erste Probehebung inzwischen her. Der ursprüngliche Wunsch, zum 300. Jubiläum einen Gottesdienst in der Verklärungskathedrale zu feiern, gehört mittlerweile zum Konvolut der Insellegenden.
"Die Lebensumstände und die Infrastruktur sind hier schwierig, und auch die Zufahrtswege sind kompliziert. Hierher kann man kein schweres Gerät vernünftig transportieren oder aufbauen, wie auf dem Festland."
Der Restaurator deutet auf riesige Hangars, in denen, wie in einem Weinregal, riesige Kiefernstämme zwischengelagert werden. Mindestens drei Jahre werden die Arbeiten noch andauern. Und so wird die Verklärungskathedrale die Feiern zu ihrem 300-jährigen Bestehen auf Metallkrücken erleben – mit in der Luft hängender Zwiebel-Türmchen-Silhouette. Als ob sich die legendäre Kirche endgültig von der Erde lösen und zum Himmel schweben würde.
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