Journalistin: Russischen Künstlerinnen drohen sieben Jahre Haft

Moderation: Liane von Billerbeck · 23.03.2012
Am Samstag wird entschieden, ob sich die putinkritischen russischen Punkrockerinnen Pussy Riots für ihre Auftritte vor Gericht verantworten müssen. Ihnen drohten bis zu sieben Jahre Haft, meint die Journalistin Elfie Siegl. Man wolle "ein Exempel statuieren".
Liane von Billerbeck: Sie treten mit gehäkelten Strumpfmasken in Neonfarben und kurzen Röcken auf und fordern die russische Gesellschaft und besonders Wladimir Putin heraus, die feministischen Punkrockerinnen Pussy Riots. Sie arbeiten mit sogenannten Flashmobs, tauchen also plötzlich auf irgendeinem Baugerüst auf, geben ein Konzert, schreien obszöne Texte heraus und verschwinden wieder. Ihr bislang spektakulärster Auftritt hat einen Skandal ausgelöst: Am 21. Februar veranstalteten sie eine Performance ausgerechnet in der Moskauer Christi-Erlöser-Kirche. Mutter Gottes, bewahre uns vor Putin, lautete die Forderung, und das hörte sich so an:

((O-Ton))

Die Pussy Riots, die feministischen Punkrockerinnen. Drei der Pussy Riots sitzen mittlerweile in Haft, ihnen drohen hohe Gefängnisstrafen. Elfie Siegl ist kürzlich aus Moskau zurückgekehrt und hat die Debatte um die Pussy Riots intensiv verfolgt. Frau Siegl, herzlich willkommen!

Elfie Siegl: Ja, guten Tag!

von Billerbeck: Die Moskauer Pussy Riots, wir haben sie eben gehört – was sind das für Frauen?

Siegl: Das sind junge, selbstbewusste Frauen, die sehr politisiert sind und die seit dem vergangenen Herbst sich interessiert haben für das, was in Russland passiert, und die nicht wollten und nicht wollen, wie viele junge Leute, dass Putin noch mal Präsident wird, und dass sich im Land dann eigentlich wenig ändern wird, und sie haben das eben künstlerisch in die Öffentlichkeit getragen und greifen verschiedene Probleme der russischen Gesellschaft an, Sie sagten es schon, als Flashmob. sie haben auch auf dem Roten Platz eine Performance abgegeben, auf dem Dach eines Untersuchungsgefängnisses, da wollten sie gegen die schlechten Bedingungen in Untersuchungsgefängnissen protestieren, und jetzt, sozusagen als Höhepunkt, wenngleich auch sicher grenzwertig, in der Christi-Erlöser-Kirche.

von Billerbeck: Nun gehört ja einiger Mut dazu, und man sieht, dass Putin und der russische Staat sehr heftig darauf reagiert, denn die Pussy Riots – drei von ihnen wurden festgenommen. Was droht ihnen denn jetzt?

Siegl: Eigentlich eine unverhältnismäßig hohe Strafe eventuell, sollten sie angeklagt werden, und es sieht ganz so aus, als wollte man ein Exempel statuieren und andere junge Künstler in Zukunft abschrecken, ähnliche Sachen zu machen. Also es könnte ihnen drohen bis zu sieben Jahren Gefängnis. Und das ist umso schlimmer, weil zwei von den jungen Frauen kleine Kinder haben.

von Billerbeck: Der orthodoxe Patriarch hat auch harte Strafen gefordert. Reagiert der Staat auch deswegen so hart, weil es sich bei den Pussy Riots eben um junge Frauen handelt, aufsässige Frauen, die dann auch noch so Punkerinnen sind und Feministinnen?

Siegl: Die russische Gesellschaft ist ja, zumindest was Männer anbelangt, doch noch sehr machohaft, muss man sagen. Und man hat etwas gegen Leute, die, wie es dort genannt wird, etwas anders orientiert sind. Das sind Feministinnen genauso wie Lesbierinnen oder Homosexuelle, also da ist die Gesellschaft noch sehr, sehr rückständig. Und das spielt natürlich auch mit eine Rolle, dass man sich von jungen Frauen schon erst mal gar nichts sagen lässt, und umso mehr – ich muss es noch mal betonen –, als diese letzte Aktion in einer russisch-orthodoxen Kirche stattgefunden hat.

von Billerbeck: Aber es gibt ja auch innerhalb der orthodoxen Kirche unterschiedliche Meinungen darüber. Der Patriarch hat harte Strafen gefordert, aber Gemeindemitglieder sehen das durchaus anders.

Siegl: Ja, wissen Sie, diese Gruppe hat einen ungeheuren Stein ins Rollen gebracht, das ist eigentlich ein Schneeball, der allmählich zu einer Lawine wird, weil die Kirche ist gespalten – in Moskau zumindest –, die Gesellschaft ist gespalten. Es geht darum - der Patriarch selber, Kyrill, hat nicht reagiert, er hat in seiner Umgebung Leute gefunden, die reagiert haben, und zwar von Tag zu Tag härter, die Forderungen werden immer, immer radikaler, immer schärfer, was mit den jungen Frauen geschehen soll. Andererseits gibt es Tausende von Gläubigen, die haben einen offenen Brief an den Patriarchen unterschrieben und sagen, Christentum bedeutet Barmherzigkeit, Vergebung, bitte schön, lasst die Frauen frei, redet mit denen, die können ja eine kleine symbolische Strafe bekommen, und so was werden sie sicherlich nicht machen.

Diese Leute, die Christen, die protestiert haben, werden nicht gehört, so als gebe es sie überhaupt nicht. Andererseits werden Geistliche in Moskauer Kirchengemeinden wohl verpflichtet, Erklärungen vorzulesen ihren Gläubigen in Gottesdiensten, die gegen diese Gruppe gerichtet sind, und diese Erklärungen sollen von den Geistlichen unterschrieben werden, damit man nachher mehr Argumente hat vor Gericht und sagen kann, bitte schön, unsere Kirche, die wollen ja alle, dass diese jungen Frauen ins Gefängnis kommen. Mehrere Geistliche haben sich geweigert, diese Erklärung zu unterschreiben – man kann sagen, zum Glück.

von Billerbeck: Eigentlich ist das doch aber ein Armutszeugnis, wenn die orthodoxe Kirche da Erklärungen verlesen muss gegen ein paar junge Künstlerinnen, die da so eine Aktion gemacht haben.

Siegl: Ja, wissen Sie, es zeigt, dass eine große Verunsicherung natürlich in der Kirche besteht, weil diese jungen Frauen, die stehen ja nicht alleine. Viele junge Leute in Russland gehen ja nicht mehr zur orthodoxen Kirche, die gehen lieber zu Katholiken oder Protestanten, weil sie sagen, die Kirche ist völlig verstaubt, veraltet, die kümmert sich nicht um unsere Probleme, die erstarrt in Zeremonien, in Liturgien, in Gottesdiensten, die sehr prunkvoll sind. Was die Spitze der Kirche anbelangt, es wird dem Patriarchen Kyrill vorgeworfen, er habe sich in den 90er-Jahren bereichert – damals durfte die Kirche zollfrei Zigaretten und Tabak einführen und verkaufen –, er hat einen verschwenderischen Lebensstil, wird ihm vorgeworfen, übrigens auch von der Gruppe Pussy Riots.

Und die Kirche ist in einer gewissen schwierigen Situation, sie kommt an die Menschen nicht mehr ran, auch nicht die russisch-orthodoxe Kirche, auch nicht an die jüngeren Menschen. Und das spielt natürlich auch mit eine Rolle, wobei die Kirchenherren, die jetzt fordern, dass man so scharf nicht nur gegen diese Punkgruppe vorgeht, sondern auch gegen Journalisten, die über diese Gruppe berichten, übrigens – die sollen auch gerichtlich belangt werden –, ich meine, das ist ein Eigentor.

von Billerbeck: Hat sich denn in den vergangenen Jahren – Sie sind ja viel in Moskau, in Russland unterwegs – hat sich da etwas geändert, dass die Öffentlichkeit auch solche Aktionen, die möglicherweise auch religiöse Gefühle ja verletzen kann, eher toleriert oder sagt, das ist Kunst, und wir müssen es entsprechend behandeln?

Siegl: Also die breitere Öffentlichkeit bekommt eigentlich – also bekommt von solchen Aktionen eigentlich nichts mit, aber dadurch, dass darauf hingewiesen wird von den orthodoxen Geistlichen, den hohen Geistlichen, dass das Internet voll ist von Filmen, von Clips über diese Gruppe, kommen natürlich immer mehr Leute darauf, sich das anzugucken, und sich einzuschalten in die Diskussion. Und ich meine, das kann man auch nicht isoliert sehen, die Protestbewegung wird ja inzwischen auch diskreditiert vom staatlichen Fernsehen, da werden Filme gezeigt, die manipuliert sind, zum Beispiel Szenen, wo behauptet wird, dass Mitglieder dieser Protestbewegung kaufen sich Prostituierte und Obdachlose, damit die zu dieser Demonstration gehen, damit möglichst viele Leute hinkommen.

Und dagegen wehrt man sich auch, da gibt es dann spontane Demonstrationen, da gibt es offene Briefe, da gibt es Bemühungen, vor Gericht zu gehen, sich zu wehren, und das alles ist ziemlich neu. Das hätte es, sage ich mal, vor einem Jahr so nicht gegeben, dann hätte es so eine Gruppe wie Pussy Riots nicht gegeben beziehungsweise dann hätte man geschwiegen, vielleicht aus Vorsicht, aus Angst, und jetzt sind die Leute doch mutiger geworden und wehren sich.

von Billerbeck: Wird das auch den Punkerinnen helfen, dass die möglicherweise um diese Haftstrafe rumkommen? Ist die Öffentlichkeit inzwischen so stark?

Siegl: Ich meine, das ist sehr schwierig, weil gerade die Sache mit Pussy Riots ist etwas zwiespältig. Ich habe in Moskau, als ich da war, viel mit Leuten darüber gesprochen. Und Leute, die sehr putinkritisch sind und auch Menschenrechtler haben gesagt, wir würden ja gerne öffentlich eintreten massiv für diese Gruppe, aber wir haben Probleme damit, diese Gruppe hat mit ihrem Kirchenauftritt den Bogen überspannt. Und das, diese Aktion fanden wir nicht gut, aber die Reaktion darauf finden sie auch nicht gut – also sie sind so ein bisschen gespalten, aber ich denke, wenn es zu einem Gerichtsverfahren kommt – das wird morgen entschieden –, wenn diese jungen Frauen da verurteilt werden, womöglich zu fünf, sechs, sieben Jahren, dann wird der Protest, glaube ich, doch erheblich sein.

von Billerbeck: Elfie Siegl war das über die Debatten um die Aktionen der feministischen Punkerinnen von Pussy Riots, denen hohe Haftstrafen drohen könnten. Danke Ihnen!


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