Joseph O’Neill: "Der Hund"

Psychogramm der Hightech-Metropole Dubai

"Ein Dubai, das nicht ständig im Bau wäre, ergäbe weniger Sinn", lässt Joseph O’Neill seine Hauptfigur philosophieren.
"Ein Dubai, das nicht ständig im Bau wäre, ergäbe weniger Sinn", lässt Joseph O’Neill seine Hauptfigur philosophieren. © picture alliance / dpa / Robert Schlesinger
Von Marten Hahn  · 19.04.2016
Joseph O’Neill hat in seinen Roman "Der Hund" philosophische Essays eingeschmuggelt: über Ethik im Baugewerbe, Prostitution oder die soziale Funktion von Facebook. "Der Hund" ist eine Story über einen Anwalt im geldverseuchten Dubai - wegen dieses Romans wurde er für den Booker Prize nominiert.
Hätte Franz Kafka je den Burj Khalifa erklommen, hätte er folgende Geschichte geschrieben: Ein New Yorker Anwalt lässt sich nach dem Scheitern seiner Ehe von einem alten Studienfreund anstellen. Als "Family Officer" wird er nach Dubai entsandt und dient der steinreichen libanesischen Familie des Freundes als juristischer Puffer.
Er muss Dokumente unterzeichnen, die Vorgänge beschreiben, von denen er keine Ahnung hat. Er muss Geld-Transfers abnicken, deren Legalität er nicht durchschaut. Und er verfasst "Phantom-Mitteilungen" auf die niemand antwortet. Sein Handeln hat keine Konsequenzen.
Weil Kafka schon 1924 starb, die Stadt Dubai – wie wir sie kennen – aber erst nach 1966 entstand und der Burj Khalifa erst seit 2009 steht, musste Joseph O’Neill dieses Buch schreiben.
O’Neill, 1964 in Cork geboren, ist selbst Anwalt. "Der Hund" ist sein vierter Roman und ein weiterer Beweis dafür, dass gute Bücher keinen nennenswerten Plot brauchen. Eine Cocktail-Party hier, eine Prostituierte dort. Der Rest ist Büro-Alltag und Massage-Sessel. Passiert doch einmal etwas, dann geschieht das ungesehen. Maximal aus dem Augenwinkel. Ein Nachbar verschwindet spurlos. Ein Arbeiter springt vom Dach. War da was?

Ein Prügelknabe und Befehlsempfänger

Der Autor spendiert seinem Erzähler keinen Namen. In einem Moment der Selbsterkenntnis wurde dem Mann bereits in New York klar: "... der Hund war ich." Ein Prügelknabe und Befehlsempfänger. Distanziert beschreibt "der Hund" seine Umwelt. Gefühle sind wie durch Milchglas nur schemenhaft zu erkennen. Und brechen sie sich doch einmal Bahn, wirkt ihr Ausbruch unplausibel und absurd komisch.
Der Wucht des Romans tut das aus zwei Gründen keinen Abbruch: Der Plot ist bloßer Stichwortgeber für philosophische Exkurse. Und die eigentliche Hauptrolle auf diesen 320 Seiten spielt Dubai. O’Neill liefert ein Psychogramm der Hightech-Wüsten-Metropole zu Zeiten der Krise 2007.
"Ein Dubai, das nicht ständig im Bau wäre, ergäbe weniger Sinn", philosophiert "der Hund" und denkt darüber nach, wie sich die "Feindseligkeit der Wüste", die "Leiden und Erniedrigung" durch diese "trostlose Sandfläche" auf die Bewohner des Emirats auswirkt. Es folgen philosophische Monologe über Ethik im Baugewerbe, Prostitution und die sozialen Funktion von Facebook. Es sind diese essayistischen Inseln, die klar machen, warum "Der Hund" für den prestigeträchtigen Booker Prize 2016 nominiert war.

Joseph O’Neill weiß ganz genau, was er tut

Stellenweise ist der Roman unlesbar. Dann verpackt "der Hund" die Welt und seine Gedanken in Juristensprech. Erst Satzungetüm, dann knackiger Hauptsatz. Diese Kombination teilt O’Neill regelmäßig aus. Als Leser muss man da aufpassen nicht in die Knie zu gehen. Es ist wichtig, sich zu fangen. Dran zu bleiben. Denn irgendwann wird klar: O’Neill weiß ganz genau, was er tut.
Wer sich von diesen Ablenkungsmanövern nicht aus dem Buch werfen lässt, wird mit umwerfend klugen Beobachtungen belohnt und lernt: "Schokolade aus Kamelmilch schmeckt nicht nur gut, sondern funktioniert auch als Eisbrecher und Gesprächsthema."
"Der Hund" ist ein Roman über das Menschsein in der Leere des globalen Kapitalismus, der von Haus aus erst kaum mehr zu bieten hat, als ‚Immer Mehr’ und ‚Vorwärts’. Lesen sie das Buch nicht zur Unterhaltung. Lesen sie es wegen seiner Wahrheit.

Joseph O’Neill: Der Hund
Aus dem Englischen von Nikolaus Stingl
Rowohlt, Reinbek 2016
320 Seiten, 22,95 Euro

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