Josef-Neuberger-Medaille

Deutsch-Punk gegen das Vergessen

Der Sänger der Toten Hosen, Campino, Oktober 2013 in Düsseldorf
Der Sänger der Toten Hosen, Campino, Oktober 2013 in Düsseldorf © picture alliance / dpa
Von Thomas Becker · 10.10.2014
Für ihren Kampf gegen den rechts hat die Jüdische Gemeinde Düsseldorf die Toten Hosen mit der Josef-Neuberger-Medaille geehrt. Sänger Campino war bei der Preisverleihung sichtlich bewegt.
Eric Fiedler: "'Du bist a Mensch', heißt es in einer jiddischen Redensart. Mensch sein – das ist das höchste Lob im Jiddischen. Der höchste Ausdruck für einen guten, ehrlichen, redlichen Charakter. Liebe Hosen, ja, ihr seid Menschen."
Grimme-Preisträger Eric Fiedler, der vor zwei Jahren den Dokumentarfilm "Nichts als die Wahrheit" über die Toten Hosen gedreht hat, hält die Laudatio auf die Band am Abend der Preisverleihung. Die Band habe nie ein Blatt vor den Mund genommen, immer Tacheles geredet, sagt er. Gegen Rechts, für Flüchtlinge, für Gerechtigkeit und mehr Menschlichkeit. Fiedlers Worte haben Campino, den Sänger der Toten-Hosen, sichtlich berührt.
"Es war jede Sekunde wert"
Campino: "Es gibt oft Phasen, wo man müde ist, sich auseinanderzusetzen. Wo man feststellt, dass man erstaunlich oft auch angefeindet wird für das, was man sagt. Dass man hin und wieder dasteht und sagt: Ach, dann sollen sie es doch alleine machen, wenn sie es nicht kapieren, zum soundsovielsten Mal. Oder dass man einfach müde ist und diesen Kampf teilweise aufgeben will. Und diese Abende, so wie heute, die bringen einen wieder dazu zu sagen: Es war jede Sekunde wert und beflügelt einen zu sagen, wir gehen da wieder raus. Und das ist was ganz, ganz Feines."
Campino hebt den Blick, schaut gen Himmel – und muss in diesem für ihn so wichtigen Moment an seine verstorbenen Eltern denken.
"Ich weiß nicht, warum ich hochgucke. Aber ich gucke oft hoch in solchen Momenten und denke: 'Na, ihr beiden, da seht ihr mal, dass euer Sohn im Leben nicht nur wegen seiner Dummheiten auffällt.'"
Aufgefallen sind die Toten Hosen durch drei Konzertabende im Herbst 2013. Die Initiative ging von Thomas Leander aus, der als Professor an der Robert Schumann Musikhochschule in Düsseldorf lehrt. Er wollte Musik von Komponisten aufführen, die von Nationalsozialisten bei einer Ausstellung im Jahr 1938 als "entartet" diffamiert wurde. Genau 75 Jahre später wollte Leander diese Musik aufführen und rehabilitieren. Auf der Bühne standen 120 Musiker, ein Ensemble aus Studenten, Dozenten und den Toten Hosen.
"Eines schönen Tages befahlen uns unsre Obern
Die kleine Stadt Danzig für sie zu erobern.
Wir sind mit Tanks und Bombern in Polen eingebrochen
Und haben es erobert in zwei Wochen."
Punker geben Konzerte mit Liedern von Kurt Weill
Heute, am Abend der Preisverleihung, sitzt Thomas Leander am Klavier, Campino singt. In diesem Fall das Lied 'Deutsches Miserere'. Ein Bußgebet. Den Text hat Bertolt Brecht geschrieben, die Musik Hanns Eisler komponiert, der von Nazis gleich dreifach geächtet war: als Jude, Kommunist und Musiker, der unter anderem abstrakte Zwölftonmusik der damaligen Avantgarde komponierte.
Auch Kompositionen von den Comedian Harmonists, von Kurt Weill, Emmerich Kálmán und Arnold Schönberg gehörten 2013 in der Düsseldorfer Tonhalle zum Repertoire. Ebenso das Gedicht 'Im Nebel' von Hermann Hesse, der bekanntlich kein Jude war, dessen Werke aber ab den 1930er-Jahren im Nationalsozialismus verfemt waren.
"Seltsam, im Nebel zu wandern!
Einsam ist jeder Busch und Stein,
Kein Baum sieht den anderen,
Jeder ist allein."
Noch immer ist Campino bewegt von der Konzertreihe, die – trotz 30 Jahren Banderfahrung – einen tiefen Eindruck bei ihm hinterlassen hat, wie er fernab der Preisverleihung sagt.
"In meiner Wahrnehmung ist diese Aktion eine der fünf wichtigsten Sachen gewesen, die die Toten Hosen jemals gemacht haben. Das war fantastisch."
Campino lag gerade deswegen so viel an dem Projekt, weil er, 1963 geboren, im Bewusstsein aufwuchs, dass Deutsche Verantwortung für die im Nationalsozialismus begangenen Verbrechen tragen.
"Mir geht es um die Integration von allen"
"Ich fand diesen Satz 'Man muss doch mal vergessen können', der ist mir immer aufgestoßen. Den finde ich nicht richtig. Ich finde es auch nicht richtig, in gebückter Haltung durch die Gegend zu laufen für Dinge, die man unmittelbar nicht zu verantworten hat. Ich denke, dass es uns gut zu Gesicht steht, zu wissen, was in der Generation vor uns war und was unsere unmittelbaren Vorfahren damals mit zu verantworten haben. Und es ist, glaube ich, ganz in Ordnung, in die Weltgeschichte zu gehen und zu sagen: Ja, ich bin Kind dieser Generation. Aber ich werde Euch beweisen, dass wir anders sind als damals. Und zwar grundsätzlich. Und dann gehören solche Themen für mich in einen Bereich. Mir geht es ja überhaupt nicht um die Juden oder so was, sondern um die Integration von allen."
Aus dieser Haltung leitet Campino sein Engagement ab – ob auf der Bühne oder daneben, ob es nun um deutsche Innen- oder Außenpolitik geht. So klar er meist Position bezieht, fällt es ihm nicht leicht, sich zum israelisch-palästinensischen Konflikt zu äußern.
"Es ist unheimlich schwer, eine Position zu beziehen, weil man dann direkt vereinnahmt wird von einer oder der anderen Seite."
Darf man denn als Deutscher Israel kritisieren?
Antisemitismus in Deutschland noch immer virulent
"Ich glaube schon, dass man das eigentlich tun muss, wenn unter deren Verantwortung Unrecht geschieht. Und gleichzeitig müssen damit sehr, sehr vorsichtig umgehen, weil wir dem jüdischen Volk gegenüber doch in einer ganz besonderen Form verpflichtet sind, klar. Für das, was wir getan haben, ist dieses Bekenntnis, dass man auf deren Seite ist, ernst zu nehmen. Aber das heißt ja nicht: Freifahrtschein bis ins Geht-nicht-Mehr. Das wäre ja auch Unsinn."
Dass Antisemitismus noch immer – oder wieder – virulent in der Bundesrepublik ist, daran zweifelt Campino nicht.
"Und umgekehrt gibt es jede Menge Leute, die diese Situation jetzt gerade ausnutzen, um ihre Asympathie gegen Israel und das jüdische Volk prima unauffällig einzubetten und wieder anzufeuern. Und das geht natürlich auch nicht. Das ist schwer zu lesen, welche Kritik ist jetzt wohlgemeint und ernst gemeint und welche bezieht sich wirklich nur um diesen Konflikt und wie Israel gedenkt, das zu lösen. Und wo geht's darum, eigentlich wieder die alte Hassschaufel auszupacken und in alte Wunden zu stechen."
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