Joris Luyendijk - "Unter Bankern"

Eine abgeschottete Welt

Börsenhändler verfolgen am 14.03.2014 auf dem Parkett der Börse in Frankfurt am Main die Kursentwicklung.
Nichtautorisierte Interviews mit Journalisten gelten in der Finanzwelt als Verrat. © dpa/Boris Roessler
Von Wieslaw Jurczenko · 01.06.2015
Joris Luyendijks Buch "Unter Bankern" ist das Ergebnis von über 200 Interviews mit Insidern: Luyendijk versucht, die Finanzwelt von innen heraus auszuleuchten.
Viele Bücher sind in den letzten Jahren über die Finanzbranche geschrieben worden – entweder aus der Perspektive eines Insiders oder von Fachleuten, die von außen auf die Bankenwelt geblickt haben. Der niederländische Journalist und Sozialwissenschaftler Joris Luyendijk hat einen anderen, investigativen Weg gewählt.

Er hat sich neben den üblichen Recherchen zum Thema mit etwa 200 Akteuren verschiedenster Funktionen am Finanzplatz London unterhalten, der berühmten "Londoner City", und entwirft ein sehr differenziertes Bild des Gewerbes. Im Laufe der Gespräche stößt er auf bis heute ungelöste Grundprobleme des Finanzsystems und zeigt auf, wie die Beteiligten durch das bestehende System geprägt und in ihren Verhaltensweisen bestimmt werden.
Das flüssig geschriebene Buch gewährt auch dem Laien einen spannenden Einblick in eine in sich geschlossene Berufswelt, die sich auch selbst gegen Außenstehende sorgsam abschottet: Nichtautorisierte Interviews mit Journalisten gelten in dieser Sphäre gelten als Verrat und sind nicht selten ein Kündigungsgrund. Luyendijk ist es gelungen, dieses "Schweige-Gebot" zu durchbrechen. Im Schutz zugesicherter Anonymität geben nicht nur Top-Manager schließlich bereitwillig und erstaunlich offen Auskunft, sondern auch Mitarbeiter aus allen wesentlichen Funktionen, insbesondere von Investment-Banken.
Eine sehr authentische Einschätzung
Ob Personalabteilung, Compliance und Risikokontrolle, Analysten, Händler, Manager, Mitarbeiter aus den Bereichen Fusionen und Übernahmen und mehr - sie alle kommen zu Wort und geben jeweils eine sehr authentische Einschätzung ihrer Branche aus ihrer Warte ab. Das ist eine der Stärken des Buches, weil dadurch eine vor allem menschliche Vorstellung entsteht, die das Stereotyp und öffentliche Feindbild des "gierigen Bankers" auflöst und dem Leser Männer und Frauen aus Fleisch und Blut bietet, die in ihrer Welt doch meist sehr rational agieren.
Luyendijk zeigt sehr genau, wie aus eigentlich normalen Menschen diejenigen werden konnten, die am Ende auch für die Finanzkrise 2007/2008 verantwortlich wurden. Er kommt im Laufe des Buches sehr präzise auf die fundamentalen Probleme, wie etwa das finanzielle Anreizsystem, die Interessenkonflikte, die Ursachen des kurzfristigen Denkens zu sprechen, die bis heute in dieser Industrie vorherrschen und nach wie vor eine Gefahr für das gesamte Finanzsystem und die Gesellschaft darstellen.
Hierbei enthält sich der Autor bewusst, Lösungen zu entwerfen, sondern beschreibt vielmehr die Ohnmacht der Politik und ihrer Ursachen.
So empfiehlt sich "Unter Bankern" auch für Leser, die bislang keinerlei Berührungspunkte mit der Finanzindustrie hatten und sich einen ersten Eindruck von deren Arbeitsweise verschaffen wollen. Hierbei zieht der Autor auch Parallelen zu anderen Branchen, insbesondere der Macht von global agierenden Konzernen, die eine ähnlich starke politische Macht besitzen wie die Finanzindustrie.
Insoweit ist das Buch durchaus ein wertvoller Beitrag zur öffentlichen Diskussion, die aufgrund der immer noch bestehenden Gefahren des gegenwärtigen Finanzsystems mehr denn je notwendig ist.

Joris Luyendijk: "Unter Bankern, eine Spezies wird besichtigt"
Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2015
267 Seiten, 19,95 Euro

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