Jonas Alexander Arnby

"Kein glamouröses Märchen"

Sonia Suhl als Marie in einer undatierten Szene des Films "When Animals Dream".
Sonia Suhl als Marie in einer Filmszene © picture alliance / dpa / Prokino Filmverleih
Moderation: Susanne Burg · 23.08.2014
Regisseur Jonas Alexander Arnby erklärt, weshalb er mit seinem Werwolf-Film nicht allzu sehr mit der Twilight-Geschichte in Verbindung gebracht werden möchte - und trotzdem hofft, genug Zuschauer zu erreichen.
Susanne Burg: Es geht ums Erwachsenwerden einer 18-Jährigen, um ihr sexuelles Erwachen, um das Loslösen von ihren Eltern. Warum haben Sie das als Horrorfilm mit Werwolf-Thematik erzählt?
Jonas Alexander Arnby: Ich wollte diese Transformation darstellen - wie ein Mädchen eine Frau wird. Sie haben Recht: es geht um Sexualität, um Frustration, darum, sich gegen seine Umwelt, seine Eltern zu wehren. Ich dachte, es wäre eine starke visuelle Metapher für menschliche Veränderung, wenn ich den Werwolf oder das Biest in eine sehr realistische, glaubwürdige, authentische Umgebung setze - so dass man die Geschichte fühlen und nachvollziehen kann und es nicht einfach wie ein Märchen wirkt.
Burg: Trotzdem ist ja seit der Twilight-Saga das ganze Genre Horror, Vampir - was die Sexualität angeht - nicht gerade das, was man mit Emanzipation der Frau in Verbindung bringt. War das nicht auch ein bisschen gewagt, das Genre zu wählen?
Arnby: Ja, das war es, vor allem, weil das Projekt mehrere Jahre gedauert hat. Aber ich habe mit dem Drehbuchautor zusammen beschlossen, dass wir uns davon nicht beeinflussen lassen. Denn unsere Geschichte hat wenig mit der amerikanischen Fantasy-Tradition zu tun. Wir wollten eben kein glamouröses Märchen erzählen. Bei uns geht's um Menschen, um menschliche Beziehungen, um die seelische Befindlichkeit von Teenagern.
Wir wollten, dass unsere Geschichte zeitlos und universell gültig ist. Wir hoffen, das ist uns gelungen. Das andere ist: wir haben die Psychologie und die Physiognomie dieser Kreatur sehr ernst genommen. Es musste nachvollziehbar und glaubwürdig sein. Ich hoffe daher, dass wir nicht allzu sehr mit der Twilight-Geschichte in Verbindung gebracht werden.
"Eine Metapher für die dunkle Seite des Menschen"
Burg: Häufig ist es so in Filmen mit Werwölfen: sie verwandeln sich in Biester und haben gar nichts Menschliches mehr. Marie, die Protagonistin, behält aber immer ihre Menschlichkeit. Was war die Herausforderung, diese Figur menschlich zu gestalten, aber trotzdem das Metaphysische, die Verwandlung, mit in die Geschichte zu nehmen?
Arnby: Es ist schwierig, weil sich die Geschichte zwischen zwei Genres begibt. Mein Drehbuchautor und ich hatten dabei auch Angst. Wir wollten nicht diejenigen sein, die einen schlechten Werwolf-Film gemacht haben. Deswegen haben wir so viel Energie darein gesteckt, dass Marie glaubwürdig ist, dass es eine Metapher für die dunkle Seite des Menschen ist, für das Biest, das in uns allen steckt. Es ist eine menschliche Sache. Und das wollten wir sehr intensiv in einer Stunde und 20 Minuten zeigen.
Burg: Und trotzdem hat man ja so den Eindruck, das ist das Böse, über das Marie überhaupt keine Kontrolle hat. Aber wenn es um Sexualität und ein selbstbestimmtes Leben geht, möchte man doch meinen, dass sie irgendwie die Kontrolle behält.
Arnby: Für mich ist das keine böse Kraft. Es ist eine menschliche bzw. eine animalische Kraft. Marie muss sich im Film entscheiden, ob sie sie ablehnt oder annimmt. Wenn sie sie ablehnt, lebt sie mit einer Lüge als Underdog in dieser Umgebung. Wenn sie's annimmt, kann sie als Frau aufblühen, für ihre eigene Identität einstehen, verstehen, dass die Menschen um sie herum sie nicht gut behandeln. Alles, was sie als Werwolf tut, hat eine menschliche Triebkraft. Marie tut Menschen nur weh, wenn sie in eine Ecke gedrängt wird.
"Für ein sozialrealistisches Märchen der perfekte Ort"
Burg: Sie fängt an, in einer Fischfabrik zu arbeiten. Die Männer dort starren sie an. Warum diese ländliche Umgebung?
Arnby: Dänemark ist sehr ländlich. Wir haben den Film in Jütland gedreht. Das ist eine sehr spezielle, magische Gegend. Es gibt dort diesen sehr hohen Himmel, wunderschöne Aussichten, eine großartige Landschaft, das Meer, die Fischindustrie. Die Region hat eine lange Geschichte. Sie ist sehr religiös, sehr protestantisch. Diese Stimmung und diese Chemie bei den Leuten findet man nur hier. Ich habe vor vielen Jahren mal ein Musikvideo dort gedreht und war erstaunt, dass noch nie jemand einen Film in Jütland gemacht hatte. Für ein zeitgenössisches sozialrealistisches Märchen war es – wie ich fand – der perfekte Ort.
Burg: Was haben Sie sich denn überlegt bei der visuellen Umsetzung der Geschichte, denn es ist ja auch sehr sozialrealistisch. Man sieht eben die Frau in der Fischfabrik arbeiten. Man sieht die wunderschöne Landschaft. Wie wollten Sie dann dieses phantastische Element visuell mit in den Film hineinbringen?
Arnby: Es ist sozialrealistisch, aber ich wollte auch einen unbestimmten Mikrokosmos schaffen, einen eigenen Realismus, eine Art poetischen Realismus. Der Film zeigt nicht eins zu eins die Welt, in der wir leben. Es gibt zum Beispiel keine Computer. Ich wollte einen besonderen Ort schaffen, wo bestimmte Werte leben. Und mit diesem Sozialrealismus konnte ich den Film dann auch in ein neues Genre tragen.
Bei dem Biest war es wichtig, dass es realistisch aussieht. Wir haben echtes Haar benutzt. Wir haben nichts in 3D gedreht. Wir haben die meisten Effekte direkt am Set eingesetzt, wir haben viel beim Drehen diskutiert. Es war also nicht wie bei Twilight: man dreht und kümmert sich um die Special Effects in der Postproduktion. Die analogen Elemente waren für mich sehr wichtig.
"Ich habe 400 Mädchen gecastet"
Burg: Man muss vielleicht auch sagen, dass die Schauspielerin sehr jung war. Sie war 17. Wie haben Sie mit ihr gearbeitet. Und warum war es so wichtig, dass sie aus der Region kommt?
Arnby: Ich wollte, dass die Schauspielerin die Region versteht. Wie ich schon sagte, die Region hat eine sehr eigene Atmosphäre. Man muss in der Lage sein, in Gummistiefeln im Regenguss zu stehen, einen Fisch auszunehmen und dabei nicht zu denken, dass er stinkt. Die Schauspielerin musste wissen, wie man sich in einer solchen Region bewegt.
Ich wollte niemanden aus Kopenhagen haben, dem ich all das mühsam beibringen muss. Aber wir haben eineinhalb Jahre gebraucht, bis wir Sonia Suhl gefunden haben. Ich habe 400 Mädchen gecastet. Und dann haben wir weitere eineinhalb Jahre mit Sonia gearbeitet.
Burg: Der Film lief dann in Cannes, hat viele gute Kritiken bekommen. Eine Frage, die sich aber auch den Kritikern dort gestellt hat, ist: Wer wird den Film gucken? Denn sobald man liest, dass da ein Werwolf-Motiv mit drin ist, könnte das die Leute, die Arthouse gucken, vielleicht abschrecken und für die andere Fraktion, die die Twilight gewöhnt ist, ist es dann vielleicht doch zu sehr Arthouse.
Arnby: Das stimmt. Das ist die große Herausforderung. Die Zuschauergruppen sind sehr festgefahren. Aber ich denke eben, dass unser Film eine universelle Geschichte erzählt. Unsere Erfahrung in Cannes war, dass sowohl 18-Jährige als auch 40-Jährige den Film mochten, dass die Altersspanne also recht groß war und ich hoffe, dass die ins Kino gehen und wir nicht nur auf den durchschnittliche Horrorfilmfan angewiesen sind.
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