Jon Fosse: "Trilogie"

Perspektive zwischen Leben und Tod

Der norwegische Dramatiker Jon Fosse in Bergen, Norwegen; Aufnahme vom August 2009
Der norwegische Dramatiker Jon Fosse in Bergen, Norwegen; Aufnahme vom August 2009 © picture alliance / dpa
Von Tobias Wenzel · 26.05.2016
Für seine "Trilogie" erhielt Jon Fosse den Literaturpreis des Nordischen Rates. An diesem Freitag erscheint der Band in deutscher Übersetzung.
Ein regnerischer Herbsttag im fiktiven Küstenort Bjørgvin, der wohl dem norwegischen Bergen nachempfunden ist. Alida und Asle, ein junges Paar, sie hochschwanger, suchen vergeblich ein Zimmer. So lässt Jon Fosse "Schlaflos" beginnen, die erste der drei zusammenhängenden Erzählungen seines neuen Buchs "Trilogie". Unwillkürlich muss man an die Weihnachtsgeschichte denken.
"Als ich diese Erzählung geschrieben habe, habe ich ehrlich gesagt überhaupt nicht an die Bibel gedacht. Ich halte nichts von literarischen Anspielungen. Ich kann dieses ganze Intertextualitätszeug nicht leiden. Wenn ich schreibe, bin ich lieber unwissend. Schreiben ist Lauschen."
2008 sagte das der norwegische Autor und Nobelpreiskandidat. Da wusste er noch nicht, dass er Jahre später mit den beiden Erzählungen "Olavs Träume" und "Abendmattigkeit" die Geschichte von Alida und Asle weiterführen und er selbst gläubiger werden würde. Diese "Trilogie" wirkt gleich mehrfach biblisch: Es geht um Liebe und Mord, um Barmherzigkeit und Kälte. Und das in dieser Jon Fosse eigenen minimalistischen und archaischen Sprache, die so viel Gefühl transportiert und so rhythmisch klingt wie ein ins Unendliche gezogenes Vaterunser.
In "Olavs Träume" haben Alida und Asle neue Namen angenommen, um sich und ihren nun geborenen Sohn zu schützen. Denn als Reaktion auf die ihnen begegnete Unmenschlichkeit haben auch sie Schuld auf sich geladen. Besonders Asle, wie es scheint. Und dafür soll er mit dem Leben bezahlen, als er für seine Frau in der Stadt Schmuck kaufen will. Aber sicher ist sich der Leser im Gegensatz zu den nahezu allwissenden Figuren selten in dieser dreiteiligen finsteren Liebesgeschichte. In der hat Fosse Wirklichkeit und Traum und Leben und Sterben zu einem großen Bewusstseinsstrom verwoben, der in der Erzählung "Abendmattigkeit" in einem doppelten Selbstmord endet:
"[…] am Ufer bleibt sie stehen, sie hört die Wellen schlagen und spürt den Regen auf den Haaren, im Gesicht, und dann geht sie hinaus in die Wellen und alle Kälte ist Wärme […]"
"Ich bin an einem Fjord aufgewachsen, mit Blick auf den Fjord bei Tag und Nacht. In meinen Texten kommt viel Wasser vor: das Meer, der Fjord, der Regen. Beim Schreiben suche ich nach Sicherheit, vor allem wenn es sich um eine traurige oder gefährliche Geschichte handelt. Und ich verbinde Wasser irgendwie mit Sicherheit."

Fosse versetzt Leser in Schwebezustand

Das Wasser, in dem man sich ertränkt, als Sicherheit – Jon Fosse versteht es meisterhaft, dieser eigentlich tieftraurigen Liebesgeschichte einiges von ihrer Schwere zu nehmen und mit seiner Sprache den Leser in den Schwebezustand zu versetzen, den der Norweger aufgrund eines Unfalls als Kind erlebte.
"Mit sieben war ich dem Tod sehr nah. Ich wäre fast verblutet. Ich habe für meine Mutter aus dem Keller eine Getränkeflasche geholt, bin auf dem Eis ausgerutscht, die Flasche ist zerbrochen und ich habe mir die Pulsader aufgeschnitten. Da habe ich unser Haus gesehen, aber nicht mit meinen eigenen Augen, sondern aus der Distanz, wie außerhalb von mir selbst. Ich war nicht traurig. Ich habe nur gedacht: 'Ich sehe das Haus zum letzten Mal.'
Ich glaube bis heute, dass ich durch diesen Unfall zum Schriftsteller geworden bin. Die Hauptperspektive meiner Texte ist nämlich die von jemandem, der sich an der Grenze zwischen Leben und Tod befindet."
Und so entschweben wir auch an jener Stelle der düster-betörenden "Trilogie" ein wenig dem Diesseits, als Asle, als angeblicher Mörder, hingerichtet wird und dabei an seine Frau und seinen Sohn denkt. Oder ist es nur ein Traum?
"[…] und er spürt das Seil am Hals und er hört Alida sagen, da bist du ja, mein lieber Junge, du bester Junge auf der Welt, du bist da, und ich bin hier, jetzt nicht denken, jetzt nicht kränken, jetzt keine Angst mehr, mein lieber guter Junge, sagt Alida und Asle ist ein Schweben, er ist ein Schweben und dann schwebt es über den blau glänzenden Fjord dahin [...] und in den blauen Himmel hinauf und Alida nimmt Asle bei der Hand und dann steht er auf und dann hält er Alida bei der Hand".

Jon Fosse: "Trilogie"
Aus dem Norwegischen von Hinrich Schmidt-Henkel
Rowohlt Verlag 2016. 204 Seiten. 19,95 Euro